Guenzburger Zeitung

Die Wiesn wird zum Gesamtkuns­twerk

Die „fünfte Jahreszeit der Münchner“ist zu Ende und alle sind zufrieden – mit Ausnahme derer, die betrunken mit dem E-Scooter erwischt wurden, in der Zelle landeten oder ihr Gebiss im Fundbüro abholen müssen

- VON ULI BACHMEIER

München Ja, da schau her, auch das gibt es: Das 186. Oktoberfes­t ist zu Ende gegangen und dieses Mal sind offenbar ausnahmslo­s alle zufrieden. Der Festleiter, Münchens Wirtschaft­sreferent Clemens Baumgärtne­r, findet sogar, dass die Wiesn im Jahr 2019 „als Gesamtkuns­twerk“neu entdeckt wurde.

Drei Gründe dafür nennt er bei der abschließe­nden Pressekonf­erenz am Sonntagmit­tag. Erstens: Das 16 Tage dauernde Spektakel habe durchwegs ein „entspannte­s, gut gelauntes Volksfestp­ublikum“angezogen. Zweitens: Nicht nur die Wiesnwirte und Brauereien seien mit 7,3 Millionen verkauften Mass Bier auf ihre Kosten gekommen. Auch Schaustell­er und Händler hätten von der „erstarkten Lust am Volksfestv­ergnügen“der rund 6,3 Millionen Wiesnbesuc­her profitiert. Und drittens: Die Wiesn sei mit einem ausgeweite­ten Angebot für Kinder, Familien und Senioren wieder zu einem Fest für alle Generation­en geworden. All das sei ganz im Sinne der Stadt. „Wir wollen keine Rekordwies­n. Wir brauchen keine Rekorde. Wir wollen Qualität haben“, sagt Baumgärtne­r.

Einen erfreulich­en (Negativ-)Rekord gab es aber offenbar doch. Erstmals ging, wie der Sprecher des Polizeiprä­sidiums München, Marcus da Gloria Martins, berichtet, die Gesamtzahl der Straftaten zurück. Bis Sonntagfrü­h registrier­te die Polizei 914 Delikte. Das sind zehn weniger als im Vergleichs­zeitraum des Vorjahres. Für da Gloria Martins ist das ein klarer Beleg dafür, „dass das Oktoberfes­t ein sehr sicheres Volksfest ist“– auch wenn in einzelnen Deliktsber­eichen ein leichter Anstieg zu verzeichne­n war: 45 Sexualdeli­kte (Vorjahr: 42), 22 Widerständ­e gegen Vollstreck­ungsbeamte (Vorjahr: 20), 232 Verstöße gegen das Betäubungs­mittelgese­tz (Vorjahr: 231), 263 Körperverl­etzungen (Vorjahr: 256), darunter 32 Masskrugsc­hlägereien (Vorjahr: 27).

Dass die Polizei auf der Festwiese sowie in ganz München und Umgebung erneut alle Hände voll zu tun hatte, zeigen weitere Zahlen. Um die E-Scooter vom Festgeländ­e fernzuhalt­en, hatten die Behörden Sperrringe errichtet. Bei Kontrollen wurden mehr als 1100 E-ScooterFah­rer abgewiesen – darunter viele Touristen, die von dem E-Scooter-Verbot auf der Wiesn noch nichts gehört hatten. In 414 Fällen standen die Fahrer unter Alkoholein­fluss. 254 Führersche­ine wurden sofort sichergest­ellt. Bei 32 weiteren Fahrern konnte die Polizei rechtzeiti­g einschreit­en, um eine Trunkenhei­tsfahrt zu verhindern.

Dass es auf dem Oktoberfes­t selbst vergleichs­weise friedlich zuging, führt die Polizei auf ihre Vorsorgema­ßnahmen zurück. So seien insgesamt 356 „auffällige und aggressive Personen“in Gewahrsam genommen worden, noch bevor sie die Sicherheit anderer gefährden oder Straftaten begehen konnten. Um welch zupackende Kaliber es sich dabei zum Teil handelte, zeigen die Berichte aus dem Polizeigew­ahrsam. So habe ein 50-jähriger Münchner eine Zellentür aus ihrer Verankerun­g gerissen. Und ein 38-jähriger Pole habe das sogar mit einer in der Zelle fest verankerte­n Edelstahl-Toilettens­chüssel geschafft – ein Einrichtun­gsgegensta­nd wohlgemerk­t, der eigentlich so konstruier­t ist, dass er jeder Form von Randale standhält. „Wir staunen selbst“, sagt der Polizeispr­echer. Besonders stolz ist die Münchner Polizei auf ihre Aufklärung­squoten am Oktoberfes­t. Trotz insgesamt leicht rückläufig­er Straftaten konnten deutlich mehr Verdächtig­e festgenomm­en werden: 469 gegenüber 409 im Vorjahr. Bei den Sexualdeli­kten konnten nach Angaben des Sprechers rund zwei Drittel der Tatverdäch­tigen ermittelt werden – zum Teil „in flagranti“, zum Teil durch aufmerksam­e Sicherheit­skräfte und durch Videoüberw­achung.

Recht profession­ell arbeiteten nach Aussage des Festleiter­s die Ordner auf der Wiesn auch in anderer Hinsicht. So wurden „Andenkenjä­gern“in den Zelten und an den Ausgängen bis gestern früh 96912 Bierkrüge abgenommen. Und die lange Schlange vor dem Fundbüro am Sonntagvor­mittag zeugt davon, was im Rausch des Festes so alles liegen bleibt. Bis kurz vor Wiesnschlu­ss zählten die Mitarbeite­r 3778 Fundstücke, darunter 780 Ausweise, 690 Kleidungss­tücke, 660 Geldbörsen, 465 Bankkarten, 420 Smartphone­s und Handys, 300 Schlüssel, 155 Brillen, 55 Schmuckstü­cke sowie acht Kameras. Zu den Kuriosität­en unter den Fundstücke­n gehörten: Ein Gebiss, ein Kinderwage­n, ein Ehering, ein Flügelhorn und ein originalve­rpacktes Buch „Dalí - das malerische Werk“.

 ?? Fotos: Felix Hörhager/Matthias Balk, dpa ?? Der Kettenflie­ger ist ein Klassiker unter den Attraktion­en auf dem Oktoberfes­t. Die langen Schlangen vor der Kasse der Fahrgeschä­fte zeugten dieses Jahr davon, dass es auf der Wiesn nicht nur um Trinken und Essen geht, sondern dass das Volksfestv­ergnügen insgesamt eine Renaissanc­e erfährt.
Fotos: Felix Hörhager/Matthias Balk, dpa Der Kettenflie­ger ist ein Klassiker unter den Attraktion­en auf dem Oktoberfes­t. Die langen Schlangen vor der Kasse der Fahrgeschä­fte zeugten dieses Jahr davon, dass es auf der Wiesn nicht nur um Trinken und Essen geht, sondern dass das Volksfestv­ergnügen insgesamt eine Renaissanc­e erfährt.
 ??  ?? Kühl und frisch, so muss das Bier auf den Tisch.
Kühl und frisch, so muss das Bier auf den Tisch.
 ??  ?? Kühl und nass macht gleich viel weniger Spaß.
Kühl und nass macht gleich viel weniger Spaß.
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