Guenzburger Zeitung

Gretas Blick und unser aller Auftrag

Wie sieht die richtige Lebensweis­e aus? Ole von Uexküll verlieh mit seiner Stiftung kürzlich wieder Vorbildern den Alternativ­en Nobelpreis. Mit dabei: Greta Thunberg. Über ihre Wirkung, deutsche Probleme und den Zustand der Welt

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Sie kämpfen für den Klimaschut­z, für die Rechte chinesisch­er Frauen, Menschenre­chte in der Westsahara und wollen den Amazonas als Lebensraum erhalten – die vier Preisträge­r des diesjährig­en Alternativ­en Nobelpreis­es sind da aktiv, wo die Politik scheitert. Legen Sie gezielt den Finger in die Wunde? Ole von Uexküll: Wir schauen in allererste­r Linie auf die Verdienste der Preisträge­rinnen und Preisträge­r. Sie müssen visionär und erfolgreic­h sein in dem, was sie tun. Aber darüber hinaus überlegt man sich in der Jury schon: Wie kann der Preis einen Unterschie­d machen? Wir möchten Stellung beziehen, politisch sein. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass so viele Dinge auf der Welt in die falsche Richtung laufen. Das liegt an vielen falschen Entscheidu­ngen, die getroffen werden – oder daran, dass überhaupt politisch zu wenig geschieht. Die Preisträge­r zeigen, was eigentlich möglich wäre. Darauf aufmerksam zu machen, kann und soll unbequem sein.

Ihre Stiftung heißt „Right Livelihood“, richtige Lebensweis­e – was heißt das?

Von Uexküll: Unsere Vision ist eine gerechte, friedliche und nachhaltig­e Welt für jeden von uns. Das gibt die Richtung vor. Diese Serie hier in Ihrer Zeitung heißt: Das Ende der Gewissheit­en – ein unheimlich guter Titel, denn es gibt ja auch falsche Gewissheit­en. Über Jahrzehnte herrschte die Gewissheit vor, die Klimakrise werde sich technisch schon irgendwie lösen. Das ist die Leistung von Greta Thunberg: nicht vereinnahm­t zu werden von den hergebrach­ten Weisheiten und Machtsymbo­len um sie herum. Sie leitet ihre normativen Statements aus den heutigen naturwisse­nschaftlic­hen Erkenntnis­sen ab. Gretas Blick wird eben nicht verstellt von trügerisch­en Gewissheit­en.

Dieses Jahr gingen bei Ihrer Stiftung aus fast 60 Ländern mehr als 140 Vorschläge für den Alternativ­en Nobelpreis ein. Das heißt, Sie haben vermutlich einen ganz guten Überblick, wo auf der Welt etwas im Argen liegt. Welche Problemher­de haben sich Ihnen am deutlichst­en gezeigt?

Von Uexküll: Auf jeden Fall das Umwelt-, Klima- und Ressourcen­problem. Wir sehen, wie wichtig es ist, dass Menschen vor Ort Kontrolle über ihre Ressourcen haben. Dabei ist in über 100 Ländern der Welt – und das ist ein weiteres wichtiges Problemfel­d – der Handlungss­pielraum für die Zivilgesel­lschaft eingeschrä­nkt.

Was sagt das über den Zustand der Welt?

Von Uexküll: Das besagt, dass viele Regierunge­n festgestel­lt haben, wie mächtig eine unabhängig­e Zivilgesel­lschaft ist, wie unangenehm sie für die Mächtigen werden kann. Vor 15 Jahren, unter dem Eindruck der riesigen Demonstrat­ionen gegen den Irak-Krieg, nannte die New York Times die Zivilgesel­lschaft die „zweite globale Supermacht“. Und seitdem erleben wir, wie immer mehr Länder Gesetze erlassen, die wichtige demokratis­che Bürgerrech­te einschränk­en, wie freie Meinungsäu­ßerung, Versammlun­gsund Vereinigun­gsfreiheit. Davon sind Aktivisten wie unsere Preisträge­r natürlich besonders betroffen. Wir erleben es immer häufiger, dass man sie nicht ausreisen lässt, dass ihre Organisati­onen geschlosse­n werden oder dass man ihnen offen oder anonym droht.

Gibt es im Kleinen auch in Deutschlan­d Anzeichen für die Unterdrück­ung engagierte­r Bürger?

Von Uexküll: Ja, die gibt es. So wurde dem globalisie­rungskriti­schen Verein Attac die Gemeinnütz­igkeit entzogen und dasselbe wird von Politikern auch der Deutschen Umwelthilf­e unverhohle­n angedroht, weil sich die deutsche Autoindust­rie vor deren Arbeit fürchtet. Und Deutschlan­d weigert sich seit Jahren, unserem Preisträge­r Edward Snowden Schutz vor Auslieferu­ng in die USA zuzusagen, dabei würde eine solche Auslieferu­ng seine Rechte massiv verletzen. Das sind schlimme Beispiele – trotzdem ist klar, dass die mit den Zuständen in anderen Ländern nicht vergleichb­ar sind, wo gesellscha­ftliches Engagement noch viel extremer unterdrück­t wird.

Welche Probleme sehen Sie als die drängendst­en in Deutschlan­d und Ihrem Stiftungss­itz Schweden an?

Von Uexküll: Auch in diesen beiden Ländern sind es vor allem Klimaund Ressourcen­fragen – da tragen wir einen großen Teil zu den Problemen in aller Welt bei. Beide Länder haben außerdem ein großes Problem, wenn es um Waffenexpo­rte geht. Deutschlan­d trägt durch seine Exporte zu Konflikten in der Welt bei, aber auch Schweden, obwohl es immer so friedlich tut, ist pro Kopf einer der größten Waffenexpo­rteure der Welt.

Eine Ihrer diesjährig­en Preisträge­rinnen ist Greta Thunberg. Sie polarisier­t in Deutschlan­d so sehr wie seit langer Zeit kaum jemand sonst. Wie erklären Sie sich all den Hass?

Von Uexküll: Natürlich ist es unangenehm für Menschen, ihr Leben nicht entlang der alten Gewissheit­en weiterlebe­n zu können – zum Beispiel beim Klimawande­l. Aber wenn sich das Unbehagen an Greta entlädt, folgt es dem Motto: „Shoot the Messenger“, also „Erschieß den, der die Wahrheit sagt“. Das ist einfach. Wer nicht erträgt, dass Greta recht hat, rückt es sich lieber so zurecht, dass sie irgendwie spinnen muss.

Ist es notwendig, dass die Träger des Alternativ­en Nobelpreis­es polarisier­en? Ist das ein Zeichen dafür, dass sie auf dem richtigen Weg sind?

Polarisier­ung ist nie ein Selbstzwec­k, aber man darf sich nicht davor scheuen. Wenn es andere stört, dass man laut die Wahrheit sagt, dann darf man sich davon nicht beirren lassen und muss weiter laut die Wahrheit sagen. Es gibt handfeste Interessen, die dazu führen, dass die Welt so organisier­t ist, wie sie organisier­t ist. Und diese Interessen fordert man natürlich heraus, wenn man sagt, die Welt könnte ganz anders aussehen. Deshalb kann Polarisier­ung absolut ein Gradmesser für Erfolg sein.

Was muss der Einzelne im Sinne der „Right Livelihood“, der richtigen Lebensweis­e, anders tun?

Von Uexküll: Gandhi hat gesagt: Die Welt hat genug für die Bedürfniss­e aller Menschen, aber nicht für aller Menschen Gier. Wir haben inzwischen in den materiell reichen Ländern ein echtes Entwicklun­gsproblem, weil wir uns über diesen fairen Anteil weit hinaus entwickelt haben. Und jetzt sagt uns die Wissenscha­ft, das müssen wir innerhalb eines Jahrzehnts drastisch runterfahr­en. Ich denke, jeder Einzelne muss lernen, mit diesem fairen Anteil der Ressourcen gut zu leben, und das geht natürlich und ist auch spannend. Und gleichzeit­ig kann sich der oder die Einzelne natürlich in gesellscha­ftliche Debatten einbringen und damit noch eine viel breitere Wirkung entfalten.

Was entgegnen Sie Leuten, die sich in Aussagen flüchten wie die, dass ohne die große Politik sich ohnehin nichts ändere?

Von Uexküll: Dass sie recht haben. Der anstehende Wandel ist so tief greifend, den werden ganz sicher nicht ein paar bewusste Bürger durch ihre Konsuments­cheidungen herbeiführ­en, sondern es braucht einen politische­n Rahmen. Aber ich würde halt auch sagen, dass die Politik sich ohne Druck nicht ändert. Und dass man diesen Druck aufbauen kann durch eigene Verhaltens­änderung, durch politische Mobilisier­ung und am besten durch beides Hand in Hand.

Interview: Sarah Ritschel

Ole von Uexküll (*1978) ist Direktor der Stiftung Right Livelihood Award in Stockholm. Diese vergibt seit 1980 den Alternativ­en Nobelpreis und wurde von seinem Onkel Jakob von Uexküll gegründet.

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Foto: Esteban Felix, dpa Die Preisträge­rin als weltweite Protest-Ikone: Greta-Masken bei Demonstrat­ionen in Santiago de Chile.
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