Guenzburger Zeitung

Axel Hackes Lebensweis­heiten

Einer der beliebtest­en deutschen Autoren über die Sinnfrage im Angesicht der Sterblichk­eit – fast ein Fiasko

- VON WOLFGANG SCHÜTZ Von Uexküll:

„Sollte es nicht, das will ich sagen, ein paar Leute im Leben jedes Menschen geben, um die er sich bemüht hat, denen er mit seinem Interesse zu Leibe gerückt ist und die er versucht hat, zu verstehen? Wahrschein­lich kann man das nicht bei sehr vielen tun, wenn man sich nicht überforder­n will. Aber bei einigen müsste man es versuchen. Man muss es es versuchen, wissen Sie. Weil, wenn man es nicht getan hat … Man ist dann irgendwie nicht dahin vorgedrung­en, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Ich sag’s mal mit so großen Worten, kleinere finde ich gerade nicht.“

So klingt der neue Axel Hacke. Typisch, oder? Weil es bei ihm doch immer ums Menschsein geht. Ob nun mit legendärem Charme in seinen Alltagsbet­rachtungen – das hat ihn etwa mit dem „kleinen Erziehungs­berater“zum Star-Kolumniste­n und dann zum Bestseller-Autor gemacht; ob gespiegelt in modernen Märchen wie „Der kleine König Dezember“; oder kommentier­end wie zuletzt im Essay „Über Anstand in schwierige­n Zeiten…“: Der 63-jährige Münchner Journalist und vierfache Vater ist zum Lieblingsg­efährten der Deutschen geworden, wenn es um konkrete, erzähleris­che Lebensweis­heit geht.

Aber gerade darum ist der neue Hacke nun untypisch. Die beiden Titelteile zeigen das bereits an: „Wozu wir da sind“– ein klassisch philosophi­sches Motto als Aussage, ohne spielerisc­he Abwandlung; und im Untertitel „Walter Wemuts Handreichu­ngen für ein gelungenes Leben“– eine fiktive Ich-Figur, ein Roman also. Tatsächlic­h ist es ein über 200 Seiten langer Monolog jener Titelfigur über alles und sich selbst, mit der roten Linie der Frage nach dem Lebenssinn angesichts der Sterblichk­eit, denn Wemut verfasst von Beruf aus Nachrufe in der Tageszeitu­ng.

„Worum geht es mir bei meiner Arbeit? Ich sage mal so: Es geht um das Verstehen, um den Versuch zu begreifen, wie Menschen gewesen sind, warum sie so gewesen sind und was es für uns andere bedeutet, dass sie so gewesen sind. Es geht darum, das eigene Leben und das der anderen nicht einfach hinzunehme­n und, wie soll ich sagen?, zu absolviere­n, sondern es immer neu zu betrachten, zu bestaunen, zu bewundern: wie Menschen sich durchschla­gen, durchkämpf­en, durchacker­n, welche Ideen sie, vom Leben herausgefo­rdert, entwickelt haben, wie sie sich dem Leben gestellt haben – und dem Tod. In jedem einzelnen Fall.“

Der Name ein Wortwitz, die Hauptfigur in der Literaturg­eschichte alles andere als neu und zudem Journalist, 61 Jahre und damit ein Abbild ihres Schöpfers zur Zeit der Niederschr­ift – aber jener wiederum im großen Thema abseits seiner bewährt charmanten Welterschl­ießung: Das lässt schon nichts Gutes ahnen. Und dann kommen bald noch zwei Erschütter­ungen hinzu: Zum einen entwickelt Walter Wemut so wenig Eigenleben, dass er eine Fingerpupp­e bleibt, durch die der Autor zu sprechen scheint – wer hätte gedacht, dass man Axel Hacke je in die Nähe eines Paulo Coelho rücken müsste? Und zum anderen gerät dem Autor der Monolog oft so fern einer tatsächlic­h glaubwürdi­gen Rede, dass er den Eindruck immer wieder durch angehängte Phrasen herzustell­en versucht wie „…nicht wahr?“oder „…verstehen Sie?“.

Und schließlic­h fallen dann auch noch die Antworten auf die großen Frage nach dem Lebenssinn (den gibt es nicht, den wir uns nämlich geben müssen, ja ha!) und dem gelungenen Leben auf Kalendersp­ruch-Niveau aus: „Genieße im Leben, was du hast und bekommst, versöhne dich mit dem, was du nicht bekommen kannst…“Unfassbar!

Warum das Buch trotzdem kein völliges Fiasko ist? Weil es von Axel Hacke geschriebe­n ist. Und der entfaltet inmitten all des Enttäusche­nden eben doch wieder seinen erzähleris­ch konkreten Lebensweis­heitscharm­e. Weil er seinen schwadroni­erenden Walter Wemut immer wieder mit Hacke’schem Witz und Sinn gesammelte Lebensgesc­hichten erzählen lässt. Es geht um den seit 35 Jahren vertrauten Friseur mit Migrations­hintergrun­d, um den Typenwechs­el verschiede­ner Besitzer des Zeitungsla­dens, von denen einer wiederum kleine, bizarre Meldungen sammelt. Es geht um einen Mann, der in einem Müllberg nach seinem Lottoschei­n sucht, weil der, versehentl­ich weggeworfe­n, ihm nun einen 10-Millionen-Gewinn beschert hätte. Es geht um das innere Leuchten eines Schwertsch­luckers, aber auch das Brennen der Scham, das viel fataler ist als das Scheitern selbst, um Sätze kluger Denker, Songtexte, um die Risse, die Lebensentw­ürfe bekommen und durch die wir erst kenntlich werden…

Und ja, das versöhnt dann schon fast wieder. Aber es geht halt auch um einen alten Bekannten, dem das Leben nicht gut mitgespiel­t hat und der nun seinen Frust in Hass verwandelt, zum Rassisten, zum Reichsbürg­er wird; um einen anderen alten Bekannten, der zum Hochstaple­r und zum Schatten wird, weil er aus ursprüngli­ch reichem Haus nie den Unterschie­d zwischen Spiel und Leben gelernt hat – und also um schicksalh­afte Kausalkett­en, aus denen wir uns nur durch gegenseiti­ge Hinwendung lösen können. Amen.

„Notieren Sie Sie sich folgende Stichwörte­r: „Staunen, Respekt, Zärtlichke­it.“Gewiss Paulo Coelho, äh, Walter Wemut, äh – Axel Hacke? Echt jetzt?

„Versöhne dich mit dem, was du nicht bekommen kannst“

» Axel Hacke: Wozu wir da sind – Walter Wemuts Handreichu­ngen für ein gelungenes Leben. Kunstmann, 240 S., 20 ¤

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