Bloß nichts verschütten!
Warum französische Caféhaus-Kellner mit Kaffee und Cola auf dem Tablett um die Wette rennen
Limoges „Das Geheimnis besteht darin, nicht zu schnell zu laufen. Man muss strategisch sein.“Laëtitia Wolfersperger hat ihr Trikot schon an, eine schwarze Kellner-Schürze, ihre Startnummer 24 prangt darauf. Gleich wird sie ein Tablett in die Hand nehmen, auf der eine ColaFlasche und ein halb gefülltes Glas, eine Kaffeetasse samt Untertasse stehen, und mit 130 weiteren Wettbewerbern durch Limoges laufen. 4,4 Kilometer über Kopfsteinpflaster und betonierte Straße, ohne etwas zu verschütten oder gar das Geschirr zu Bruch gehen zu lassen.
Die 45-Jährige nimmt seit Jahren am nationalen „Wettlauf der CaféKellnerinnen und Kellner“in der westfranzösischen Stadt teil. Zuvor hat sie sich in ihrer Heimatstadt Belfort qualifiziert, die mit zehn Läufern vertreten ist. Sie selbst arbeitet nicht als Bedienung, sondern ist Hoteldirektorin, doch verwandte Berufe aus dem Gastronomie-Bereich sind zugelassen bei dem Rennen, das historische Wurzeln hat.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts gibt es diesen kuriosen Wettkampf, bei dem es um Geschwindigkeit, Geschick und Haltung geht, auch an anderen Orten; ob die Tradition wirklich in Frankreich begann, vermag keiner mit Sicherheit zu sagen. Weil der Lauf aber in Paris erstmals 1920 stattgefunden haben soll – auf Archivfotos tragen die Kellner elegante weiße Sakkos über schwarzen Stoffhosen – zählte man den jüngsten als den „eigentlich 99.“Allerdings wurde er immer wieder ausgesetzt und vor allem machte ihm seit 1991 das „Evin-Gesetz“, benannt nach dem früheren Gesundheitsminister Claude Évin, den Garaus. Es verbot Werbung der Tabak- und Alkohol-Industrie; diese hatte die Rennen früher gesponsert.
Heute hingegen stellen Marken für Kaffee und Soda-Getränke ihre Stände am Rande der Veranstaltung auf. Viele französische Städte organisieren regionale Kellner-Wettrennen, in Limoges findet seit neun Jahren der nationale Lauf statt.
Zu verdanken ist das Frédéric Fayette von der örtlichen Industrieund Handelskammer, der den Beruf des Caféhaus-Kellners aufwerten will, wie er sagt: „Im Fernsehen drehen sich viele Sendungen um Köche oder Konditoren, dabei sind die Kellner genauso wichtig, um die Restaurants am Laufen zu halten.“Er wolle junge Leute für den Beruf interessieren und zugleich Werbung für Limoges machen – selten kommt die Stadt im französischen Zentralmassiv in den nationalen Nachrichten vor. In den nächsten Jahren möchte man auch Gäste aus den Partnerstädten, Fürth und dem tschechischen Pilsen, einladen.
Schließlich war der Wettbewerb schon einmal ein internationales Ereignis: 1985 gingen in Paris auch Bedienungen aus Tokio oder Melbourne an den Start. Kellner Joël Larroque war damals schon dabei: Dass ihn das japanische Fernsehen interviewte, macht ihn noch heute stolz. 17 Mal gewann der 58-Jährige, der auch privat joggt, aber vor allem beim Bedienen im „Les Recollets“in Limoges trainiert. „Schnelligkeit ist wichtig, ja, aber man muss auch lächeln, zuhören, ein Psychologe sein.“Hochhalten wolle er diesen Beruf, einen zutiefst menschlichen, den für ihn schönsten der Welt. Dafür läuft er gerne 4,4 Kilometer in eleganten Lederschuhen, die Cola auf dem Tablett balancierend – immer mit dem Vorsatz, bloß nichts zu verschütten.