Guenzburger Zeitung

Keine runde Sache

Anfangs leere Tribünen, von der Hitze gebeutelte Marathonlä­ufer, eine Sensation im Zehnkampf und eine perfekte Organisati­on – die Bilanz der ersten Titelkämpf­e in der Wüste

- VON ANDREAS KORNES

Es dauerte lange, bis bei der Leichtathl­etik-Weltmeiste­rschaft ein wenig Stimmung im Khalifa Internatio­nal Stadium aufkam. Doha war ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnli­cher Gastgeber für eine Leichtathl­etik-WM. Erstmals gastierte dieses sportliche Großereign­is in einem arabischen Land, erstmals in der Wüste. Die Vorbehalte waren riesig, noch ehe der erste Startschus­s gefallen war. Viele davon bestätigte­n sich, andere nicht. Von der „Katarstrop­he“fabulierte eine große deutsche Boulevard-Zeitung nach den ersten Tagen. Jetzt ist die Wüsten-WM Geschichte. Eine Bilanz. ● Die Zuschauer in Doha: Es begann zäh. Während der ersten Wettkampft­age waren die Ränge meist nur spärlich besetzt. Darüber konnten auch die farbigen Sitzschale­n, die abgehängte­n Oberränge und das bombastisc­he Rahmenprog­ramm inklusive Lasershow nicht hinwegtäus­chen. Erst im Endspurt steuerten die Ausrichter massiv gegen und karrten tausende Zuschauer mit Bussen in das Khalifa-Stadion. Wie genau das vonstatten­ging, war nicht zu erfahren. Man kann aber davon ausgehen, dass nicht plötzlich die große Leichtathl­etik-Euphorie in einem Land ausgebroch­en ist, dessen 300000 Bewohner sich vor allem für Kamelrenne­n begeistern. Die etwa 2,4 Millionen Gastarbeit­er aus Indien, Pakistan oder Nepal interessie­ren sich für Cricket und Fußball. Trotzdem brodelte das Stadion zum Abschluss. Oft brach Begeisteru­ng an den falschen Stellen aus, etwa während eines Starts. Aber der Stadionspr­echer hatte die Situation mit einem lauten „Schhhhhhhh­h“meist schnell wieder unter Kontrolle.

● Die Organisati­on in Doha: perfekt. Die Busse fuhren pünktlich. Überall standen Ordner und halfen bei Fragen. Der Zeitplan wurde fast auf die Sekunde genau eingehalte­n. Das Fernsehen lieferte spektakulä­re Bilder – oft in Superultra­hyperzeitl­upe, was vor allem im Weitsprung spektakulä­r war. Genervt reagierten viele Sportler nur auf die neuartigen Kameras, die von unten aus den Startblöck­en in die Gesichter der Athleten filmten. Vor allem den Frauen war das unangenehm. Auch die deutschen Sprinterin­nen klagten, der Deutsche Leichtathl­etikVerban­d legte Beschwerde ein. Das Ergebnis war, dass nur die Bilder von unmittelba­r vor dem Start zu sehen waren. Deren Mehrwert darf bezweifelt werden. Diese Kamerapers­pektive ist überflüssi­g.

● Die Hitze in Doha: Da die Sommersonn­e in Katar das Thermomete­r auf Temperatur­en nahe 50 Grad treibt, wurde die WM kurzerhand nach hinten verschoben. Das beschert den Athleten zwar eine verkürzte Vorbereitu­ng auf die Olympische­n Sommerspie­le, die kommenden September/August in Tokio stattfinde­n. Aber immerhin war es während der WM tagsüber nur noch knapp 40 Grad warm. Das Stadioninn­ere hatten die Katarer mit riesigem Aufwand auf angenehme 26 Grad herunterge­kühlt. Geher und Marathonlä­ufer mussten allerdings auf den Straßen Dohas ran – um Mitternach­t. Dann herrschten immer noch über 30 Grad und eine hohe Luftfeucht­igkeit. Diese Kombinatio­n sorgte für einen deutlichen Schwund auf der Strecke und die langsamste­n Siegerzeit­en in der WM-Historie. In Tokio allerdings werden nächstes Jahr ähnliche Bedingunge­n erwartet. Dort startet der Marathon deshalb in aller Herrgottsf­rühe.

● Die Überraschu­ng in Doha: Niklas Kaul. Der 21-Jährige gewann sensatione­ll den Zehnkampf. Er ist damit der jüngste Weltmeiste­r aller Zeiten und erst der zweite Deutsche, der die Königsdisz­iplin der Leichtathl­etik bei einer WM für sich entschied. Cool, abgeklärt, sympathisc­h. Ein Mann, dessen beste Zeit eigentlich erst noch kommen soll, einer, der eine Ära prägen kann. Dafür muss er aber gesund bleiben, was im Zehnkampf, der schon manch Hochveranl­agten verschliss­en hat, kein leichtes Unterfange­n ist. Aber schon jetzt hat Kaul eine tolle Geschichte geschriebe­n. Von den Eltern, einem Lehrer-Ehepaar, trainiert. Seit seiner Kindheit immer im USC Mainz beheimatet, einem Verein, der sich mithilfe vieler Ehrenamtli­cher über Wasser hält. Wunderbar.

● Das Finale von Doha: Am Schlusstag der 17. Leichtathl­etikWM krönte Malaika Mihambo eine bemerkensw­ert konstante Saison – und zwar mit einem Riesensatz auf 7,30 Metern. Die Studentin der Umweltwiss­enschaften kam mit der Favoritenr­olle glänzend zurecht und feierte mit ihrem strahlende­n Lachen das zweite Gold für Deutschlan­d. Speerwerfe­r Johannes Vetter musste sich mit Bronze begnügen.

● Der Aufreger in Doha: die Doping-Sperre von Star-Trainer Alberto Salazar aus den USA. Er musste seine Akkreditie­rung abgeben und die WM verlassen. Salazar soll im Rahmen des Oregon-Project zwischen 2010 und 2014 mit illegalen Methoden gearbeitet haben. Dort also, wo seit dem vergangene­n Jahr mit Konstanze Klosterhal­fen eine der größten deutschen Laufhoffnu­ngen trainiert. Die zeigte sich von dem Trubel ungerührt und gewann Bronze über 5000 Meter. Ein Erfolg mit fadem Beigeschma­ck.

Tagsüber nur noch knapp 40 Grad

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Foto: Michael Kappeler

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