Ein Spiel mit dem Herrn Tod
Sasja reist seiner Mutter ins Jenseits nach – eine fantastische, fremde Welt
Er ist ein bizarres Wesen, dieser „Herr Tod“in Frida Nilssons Roman „Sasja und das Reich jenseits des Meeres“. Ein eitler Galan im glänzenden purpurfarbenen Morgenrock, der ein wenig streng nach Herrenparfüm und Schweiß riecht, dabei aber durchaus charmant und freundlich sein kann und in seinem Haus zum üppigen Kuchenbuffet lädt.
Trotzdem sollte man ihn nicht unterschätzen, denn der Tod nimmt das Leben – und das nicht nur zur rechten Zeit. Sasjas kranke Mutter hat er eines Nachts zu früh zu sich geholt und nun reist der Junge dem Tod in seinem prächtig geschmückten Schiff mit einem Ruderboot hinterher. Er will sie zurückholen, den Tod überlisten, so wie er es seiner Mutter versprochen hat. Damit wird aus dieser Geschichte, die so traurig und düster beginnt, ein großes Abenteuer in einer fantastischen und fremden Welt, das in einer großartigen Volte – kinderbuchgerecht – auch zu einem versöhnlichen Ende führt.
In drei Regionen – Hildin, Sparta und Harpyrien – teilt sich diese Welt, durch die Sasja reisen muss, um zum Haus des Todes zu gelangen. In jedem dieser drei Länder findet er einen kindlichen Freund, der ihn fortan begleitet. Das Leben der Bewohner im Jenseits funktioniert nach eigenen Regeln. Dass es aber durchaus Bezüge zu Sasjas irdischem Lebensraum gibt, ist eines der gekonnt verwebten Erzählmuster, von denen es viele in diesem Buch gibt. Die Hildiner ähneln den Schweinen von Sasjas Nachbarn in der Menschenwelt, die Spartaner erinnern an seinen Lieblingshund und die Harpyren sehen aus wie die Seeadler, die der Junge erst kürzlich mit seinem Vater beobachtet hat. Einst waren sie alle Menschen, aber als der Tod sie zu sich genommen hat, hat er ihre menschliche Hülle geöffnet und ihr innerstes Wesen hervorgeholt, das sie zu Hildinern, Spartanern oder Harpyren macht. Im Reich des Todes sind sie unsterblich geworden. Ihre blutigen Kämpfe, die sie aus Eifersucht um die Gunst des Todes ausfechten, werden zum absurden Ritual ohne Konsequenzen. Abgeschlagene Körperteile werden notdürftig einfach wieder angenäht. Sasjas Mutter aber hat ihre menschliche Gestalt behalten dürfen, denn der Tod hat sich in sie verliebt, als er sie mitgenommen hat.
Bezwingend und eindringlich sind die Formulierungen und Bilder, die Frida Nilsson für die Verzweiflung und Ängste Sasjas findet, der seine todkranke Mutter nicht mehr „Mama“nennen kann, sondern nur noch bei ihrem Vornamen „Semilla“, weil die Mama dann nie sterben wird. Auch die grandiose Landschaft des Todesreiches mit blühenden Wiesen, dichten Wäldern, tiefen Schluchten und felsigen Bergketten wird dabei zum Spiegel für die Innenwelt des Kindes.
In seiner mystischen Bedeutungsebene erinnert das Reich des Todes an Astrid Lindgrens „Brüder Löwenherz“und das magische Land Nangijala. Auch mit der Sensibilität und dem Respekt, mit dem sich Frida Nilsson Kindheit nähert, steht die Schwedin in Lindgrens Tradition. „Stellen wir uns einen Moment lang die Kindheit als den Höhepunkt unseres Lebens vor. Stellen wir uns vor, wir hätten schon als Kind unsere Vollendung, unsere Vollkommenheit erreicht“, sagte sie im vergangenen Jahr bei der Eröffnung des Berliner Literaturfestivals.
In ihrem neuen Roman ist es der Tod, der diese Position vertritt. Als er Sasja und seine drei kindlichen Reisegefährten beim Spielen in seinem Garten beobachtet, legt er ihnen nahe, nicht zu schnell erwachsen zu werden. „Die Menschen – sie ziehen ihre Kinder groß, als wären sie noch nichts, sondern müssten erst werden.“Diese Autonomie von Kindheit, die zweckfreie Betrachtung dieser Lebensphase mit ihrer Hingabe und Leidenschaft für das Spiel vertritt Frida Nilsson immer wieder auch in ihren Büchern. In den schmalen wie der „Hedvig“-Reihe oder „Frohe Weihnachten Zwiebelchen“, erst recht aber in ihren mit epischer Erzähllust verfassten Romanen „Siri und die Eispiraten“und nun dem Meisterwerk „Sasja und das Reich jenseits des Meeres“. Birgit Müller-Bardorff