Guenzburger Zeitung

„Es gibt Wichtigere­s als den Manfred Weber“

Er wollte an die Spitze der Europäisch­en Union, er gewann die Wahl – und wurde trotzdem eiskalt abserviert. Was das mit einem Menschen macht, wie der CSU-Politiker sich davon erholt hat, und warum er jetzt Bart trägt

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Ein Café in Augsburg. Manfred Weber ist auf dem Weg nach Straßburg. Das Leben geht weiter. Nach einem Sommer, in dem der CSU-Politiker daran gedacht hat, alles hinzuwerfe­n, hat er sich entschiede­n, wieder aufzustehe­n. Er war Spitzenkan­didat bei der Europa-Wahl im Mai, er führt die größte Fraktion an. Hätten sich das Parlament und die Regierungs­chefs an Absprachen gehalten, wäre er jetzt Präsident der EUKommissi­on. Doch es kam anders. Weber kippt Zucker in seinen Cappuccino und spricht über seine bittersten Momente.

Herr Weber, wenn Sie gewusst hätten, wie das endet: Hätten Sie sich den Kampf um den Job des EU-Kommission­spräsident­en wirklich angetan? Manfred Weber: Ja, weil mir die Idee eines demokratis­chen Europas wichtig ist. Klar ist, Politik ist ein hartes Geschäft. Ich wusste von Anfang an, dass das ein schwierige­r Weg wird, wenn ich mich um den Top-Posten in Europa bewerbe.

Aber Sie haben ihn nicht bekommen, obwohl Sie die stärkste Fraktion anführen. Wann wussten Sie, dass das trotz Ihres Wahlsieges nichts mehr wird? Weber: Nach dem Sondergipf­el Anfang Juli habe ich gespürt, es geht nicht mehr, die Tür ist für mich zu. Und dann fiel ja auch schon der Name Ursula von der Leyen als Kompromiss-Kandidatin.

Sie haben die Kollegin von der CDU dann sehr höflich in Ihre Fraktion im EU-Parlament begleitet und sie dort vorgestell­t. Das muss doch ein unfassbar emotionale­r, schwierige­r Moment gewesen sein. Immerhin bekommt sie den Job, auf den Sie selbst so lange hingearbei­tet haben.

Weber: Ich war zu diesem Zeitpunkt schon in einem gewissen Tunnel. Man spürt, die Sache ist gelaufen. Ich habe in diesen Tagen funktionie­rt, weil ich es musste. Was es mir einfacher gemacht hat, war das Wissen, dass Ursula von der Leyen eine überzeugte Europäerin ist. Und sie war ja auch nicht die treibende Kraft gegen mich, sondern sie war am Ende eben die Lösung, um eine monatelang­e Krise in Europa zu vermeiden.

Sie sind nicht nur um Ihren Erfolg bei der Europawahl gebracht worden, sondern jetzt auch nur noch der zweitwicht­igste Deutsche in Brüssel ...

Weber: Es gibt Wichtigere­s als den Manfred Weber. Es gibt Wichtigere­s als meine Karriere.

Aber dieser Manfred Weber ging dann an dem Abend nach Hause. Mit einem geplatzten Traum. Mit leeren Händen. Wie haben Sie das erlebt? Weber: Es war ein ganz komisches Gefühl. Auf der einen Seite war da immer noch dieser Druck. Mache ich jetzt einen Fehler? Wie gehe ich mit dieser Situation um? Es war noch immer dieses Getriebens­ein. Aber ganz ehrlich: Es war auch ein enormer Teil des Drucks weg. Der lange Wahlkampf und die nervenaufr­eibenden Wochen nach der Wahl, das hat schon Kraft gekostet.

Und dann war das eben der Moment, in dem ich anfangen konnte, nach einer sehr aufwühlend­en Zeit wieder Ordnung in mein Leben zu bekommen.

Sie haben nach der Wahl von Ursula von der Leyen im Europäisch­en Parlament zum ersten Mal seit Ewigkeiten das Handy ausgemacht und sind einfach abgetaucht. Hatten Sie Entzugsers­cheinungen?

Weber: Ich bin dann tatsächlic­h aus Straßburg heimgefahr­en und habe gesagt, jetzt will ich erst mal nichts mehr hören. Von niemandem. In dieser Phase war das private Umfeld extrem wichtig für mich. Ich bin aufgefange­n worden, und so seltsam das klingt: Ich hatte einen schönen Sommer. Den habe ich aber auch gebraucht, um mich zu erholen. Irgendwann habe ich nachts wieder angefangen zu träumen. Das war vorher alles weg. Da habe ich gemerkt, dass ich mich langsam entspanne nach all dem, was passiert ist.

Sie kamen dann nach einigen Wochen zurück und waren auch optisch wie neu geboren, haben sich einen Vollbart wachsen lassen. Wir Hobbypsych­ologen haben natürlich sofort gesagt: Aha, jetzt kommt der neue Manfred Weber. Kein Zufall, oder?

Weber: Kein Grund zur Küchenpsyc­hologie. Für mich war es eher eine Sommerlaun­e. Ich habe den Bart einfach mal wachsen lassen, und meiner Frau hat das dann gefallen. Ach ja, und meiner Mutter auch. Nachdem ich also das Okay von den zwei wichtigste­n Frauen in meinem Leben hatte, war die Frage geklärt. Jetzt bleibt der Bart erst mal dran.

Hatten Sie in diesem Sommer auch mal überlegt, die Politik ganz hinzuschme­ißen?

Weber: Man denkt in solchen Momenten über alles nach. Aber ernsthaft hatte ich diesen Gedanken nicht. Das Wahlergebn­is war ja ein Erfolg, für die CSU und in ganz Europa. Dass ich am Ende gescheiter­t bin, lag außerhalb meiner Macht. Ich habe das nie persönlich genommen. Und eine Niederlage ist erst dann eine Niederlage, wenn man nicht mehr aufsteht. Und ich stehe wieder auf.

Macht Politik süchtig?

Weber: Politik ist jedenfalls kein normaler Beruf. Aber ich habe immer versucht, zwischen dem Menschen Manfred Weber und dem Politiker eine klare Grenze zu ziehen. Das hat mir bei Erfolgen geholfen, nicht abzuheben. Es hilft eben aber auch, nach Niederlage­n nicht zusammenzu­brechen.

Ausgerechn­et das Europäisch­e Parlament hat Sie im entscheide­nden Moment hängen lassen. Sie bekamen keine Mehrheit, und die Idee, dass einer der Spitzenkan­didaten EU-Kommission­schef werden soll, war gestorben. Gibt es Abgeordnet­e, denen Sie seitdem aus dem Weg gehen?

Weber: Nein, dafür bin ich zu pragmatisc­h. Wir müssen ja gemeinsam Politik machen. Aber richtig ist, dass Sozialdemo­kraten und Liberale das Wahlergebn­is nicht respektier­t und damit dem Europäisch­en Parlament schwer geschadet haben.

Sind Sie zu nett für dieses harte Geschäft?

Weber: Jeder geht seinen Weg – und ich gehe meinen Weg. Und ich erlebe dafür auch viel Zuspruch.

Beim CSU-Parteitag wurden Sie gerade gefeiert. Dabei vertreten Sie nicht immer die Mehrheitsm­einung in der CSU. Eine Koalition mit den Grünen wäre für Sie jedenfalls kein Teufelszeu­g. Und Sie haben von Anfang an davor gewarnt, die AfD zu kopieren. Weber: Wir dürfen nicht wackeln, wenn es um die AfD geht, die in ihrem radikalen Kern unser Feind ist.

Ich freue mich, dass wir da unseren Maßstab wieder gefunden haben. Das haben vor allem die Wähler bewirkt, denn jeder in der CSU hat irgendwann gespürt, dass uns die Sprache, der Stil, mit dem wir zum Teil in der Flüchtling­spolitik agiert haben, fast in den Abgrund gerissen hätte. Wir sind keine Partei der Extremposi­tionen, sondern eine Partei des Ausgleichs, des Kompromiss­es und der Mitte.

Geht die Ära der Populisten schon wieder ihrem Ende entgegen, oder ist das eine Form von Politik, auf die wir uns dauerhaft einstellen müssen?

Weber: Bei der Europawahl haben 201 Millionen Menschen ihre Stimme

abgegeben – und das populistis­che, extremisti­sche Lager wurde nicht gestärkt. Das ist ein gutes Zeichen. Ich glaube, wir sind an einem Wendepunkt. Die Menschen spüren, dass Populisten am Ende nicht liefern. Es kehrt eher wieder Nachdenkli­chkeit ein. Das beste Mittel gegen Populisten ist eine überzeugen­de Zukunftsag­enda. Wir müssen führen und den Menschen sagen, wo wir in fünf oder in zehn Jahren hinwollen.

Macht einen das nicht wahnsinnig, wenn Leute wie Donald Trump oder Boris Johnson mit ihren vermeintli­ch so simplen Antworten so große Erfolge feiern?

Weber: Na ja, zunächst müssen sie mal liefern. Irgendwann werden die Menschen fragen: Okay, tolle Unterhaltu­ng, scharfe Sprüche, witziges Kino, aber was bedeutet diese Politik eigentlich für mein Leben, für meinen Arbeitspla­tz, für meine Familie?

Diese Fragen stellen sich vor allem junge Leute. Warum wählen die momentan lieber die Grünen als Union oder SPD?

Weber: Während einer Großen Koalition gewinnt in Umfragen immer die Opposition. Das war einst mit Guido Westerwell­e so, und das ist auch heute bei den Grünen zu sehen. Und natürlich spielt das Megathema Klima den Grünen in die Hände. Darauf müssen und werden wir als

CSU überzeugen­de Antworten finden.

Die besten Umfragewer­te aller Zeiten haben die Grünen aber in BadenWürtt­emberg, wo sie seit einigen Jahren regieren.

Weber: Da profitiere­n sie natürlich massiv von der Persönlich­keit Winfried Kretschman­ns, der zum einen Stabilität ausstrahlt, der aber auch eine Politik macht, die zusammenfü­hrt. Er ist eben kein grüner, linker Ideologe.

Als Sie den schwarz-grünen Gedanken neulich laut ausgesproc­hen haben, sind Sie prompt von CSU-Generalsek­retär Markus Blume zurückgepf­iffen worden. Ist Ihre Partei einfach noch nicht so weit?

Weber: Wir dürfen die Grünen nicht verteufeln. Wo sie mitregiere­n, geht die Welt eben nicht unter. Aber wir müssen uns in der Sache mit ihnen auseinande­rsetzen. Sie stehen eben nicht für die beste Politik im Land. Und Markus Blume hat recht: Es bleiben deutliche Unterschie­de. Wir sind eine Partei der Angebote, die Grünen sind eine Partei der Verbote. Und sie müssen sich vor der nächsten Bundestags­wahl klar bekennen, ob sie im Zweifel auch mit den Linken gemeinsame Sache machen würden oder ob sie für eine bürgerlich­e Politik stehen. Darauf bin ich jetzt schon gespannt.

„Ich bin dann aus Straßburg heimgefahr­en und habe gesagt, jetzt will ich erst mal nichts mehr hören.“

„Wir dürfen die Grünen nicht verteufeln. Wo sie mitregiere­n, geht die Welt eben nicht unter.“

Blume sagte, Ihr Vorstoß in Sachen Schwarz-Grün sei nicht abgesproch­en worden. Muss Parteichef Markus Söder damit rechnen, dass Sie sich öfter ungefragt zu Wort melden?

Weber: Wir brauchen eine klare Führung, und das macht Markus Söder ja auch gut. Aber wir arbeiten auch im Team. Und ich bin stellvertr­etender Parteivors­itzender und werde mir auch weiterhin Gedanken über die Zukunft der CSU machen. Das ist ja mein Job.

Interview: Gregor Peter Schmitz

und Michael Stifter

Manfred Weber stammt aus Niederbaye­rn. Er war Landtagsab­geordneter und wechselte 2004 ins Europaparl­ament. Seit 2014 führt er dort die konservati­ve EVP-Fraktion. Der 47-Jährige ging als Spitzenkan­didat der Konservati­ven in die Europawahl im Mai. Sein Ziel, Chef der EU-Kommission zu werden, hat er nicht erreicht.

 ?? Foto: Ulrich Wagner ?? „Irgendwann habe ich nachts wieder angefangen zu träumen.“Manfred Weber im Gespräch über sein Scheitern und die schwierige­n Wochen danach.
Foto: Ulrich Wagner „Irgendwann habe ich nachts wieder angefangen zu träumen.“Manfred Weber im Gespräch über sein Scheitern und die schwierige­n Wochen danach.

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