Neue Recht(s)schreibung?
Wer könnte dahinterstecken, wenn Sprayer sich die Mühe machen, orthografisch verunglückte extremistische Schmierereien zu korrigieren? Man glaubt es kaum, aber es ist die FDP
Augsburg Eigendynamik – das ist eine Dynamik, die sich aus eigenen Kräften speist und verstärkt. In welche Richtung sich die Energie entlädt, ist oft schwer voraussehbar. Sprich, der Schuss kann auch nach hinten losgehen, wie die FDP jetzt wieder unter Beweis gestellt hat. Ein kleines Filmchen sollte die heilende Wirkung von Bildung gegen „Extremismus, Vandalismus und Gewalt“preisen. „Orthograffiti“heißt der gut eine Minute lange Videoclip, der aktuell für Hohn und Spott in den sozialen Netzwerken sorgt. Und das – man muss es so hart sagen – völlig zu Recht. Denn offensichtlich ist keinem bei den Liberalen aufgefallen, dass hier ein kreativer Schub auf eine völlig schiefe Bahn geriet. Verhängnisvolle Eigendynamik eben.
Was ist zu sehen? Die Kamera begleitet einen stilecht ganz in Schwarz gekleideten Sprayer mit Atemschutzmaske – unterwegs in einer tristen Großstadtlandschaft. Sein Auftrag: Mit der Farbdose dem Fehlerteufel zu Leibe rücken, der sich in mehr oder weniger extremistische Schmierereien auf Häuserwänden eingeschlichen hat.
Unterlegt mit zackiger Volksmusik bessert der FDP-Korrektor mit seiner roten Spraydose gröbste Schnitzer aus: Da wird aus „Scheiss Asilanten“, „Scheiß Asylanten“(die SS-Runen müssen dran glauben), da wird „Amerika To Hel“und „Anarschie“ausgebessert oder „Sieg Hail“orthografisch verarztet. Wie schön, dass nach getaner Arbeit ein korrektes „Sieg Heil“von der Betonwand grüßt. Und so geht es munter weiter. Man traut seinen Augen kaum.
Gut, dass die FDP ihre kleine Kampagne nach diesen abstrusen Sequenzen erklärend einordnet: „Mit guter Bildung wollen wir auch dafür sorgen, dass menschenverachtende Graffiti, wie die im Film gezeigten, endlich aus unseren Städten verschwinden.“Solange dieses Ziel noch nicht erreicht ist, tragen die Liberalen immerhin dazu bei, dass gesprühte Hetze wenigstens den Rechtschreibregeln entspricht. Erstaunlich, oder besser gesagt niederschmetternd ist, dass augenscheinlich keinem der Initiatoren der doch naheliegende Gedanke gekommen ist, dass die ganze Aktion völlig widersinnig ist. Der Kampf gegen Antisemitismus und Extremismus als orthografische Aufklärungsaktion mit einem Augenzwinkern. Darauf muss man erst mal kommen. Das Echo im Netz auf das Video ist entsprechend verheerend.
Weiter gedacht haben die Macher des Videos mit Blick auf die Haftungsfrage: Am Ende des Beitrages verweist die FDP ausdrücklich darauf, dass abwaschbare Sprühkreide verwendet worden sei. Sachbeschädigung ist schließlich kein Kavaliersdelikt.