Guenzburger Zeitung

Wer kann so ein Urteil verstehen?

Ein Mann überfährt im Vollrausch eine junge Frau. Das Urteil: 5000 Euro Geldstrafe. Wie kommt es zu so einer Entscheidu­ng? Und vor allem: Ist das gerecht?

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF UND BENJAMIN STAHL

Würzburg/Augsburg Es ist eine Tragödie: Im April 2017 wird die 20 Jahre alte Theresa Stahl nach einem Weinfest im unterfränk­ischen Untereisen­heim totgefahre­n. Der Autofahrer hatte 2,89 Promille im Blut. Trotz dieser Umstände ist der junge Mann jetzt nur zu einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt worden. Die Empörung ist riesig. Doch wie kommt es zu so einem Urteil? Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wofür genau war der Todesfahre­r Niclas H. angeklagt und wofür ist er verurteilt worden?

Angeklagt war Niclas H. wegen fahrlässig­er Tötung. Das ist die übliche Vorgehensw­eise der Staatsanwa­ltschaft, wenn ein Mensch einen anderen totfährt. Für fahrlässig­e Tötung kann ein Gericht eine Freiheitss­trafe von bis zu fünf Jahren verhängen. Verurteilt wurde H. jedoch „nur“wegen fahrlässig­en Vollrausch­s. Dieser etwas kurios klingende Straftatbe­stand nach Paragraf 323a des Strafgeset­zbuches ist relativ selten. „Er ist ein Exot im Rechtssyst­em“, sagt Florian Engert, Augsburger Fachanwalt für Strafrecht. Die Idee dahinter ist, dass jemand, der im Vollrausch eine Straftat begeht, nicht ungeschore­n davonkommt.

Warum ist das Urteil so milde?

Ein psychiatri­scher Gutachter hat festgestel­lt, dass Niclas H. wegen seiner Volltrunke­nheit schuldunfä­hig war, als er Theresa Stahl totfuhr. „Daher wurde er nicht dafür bestraft, jemanden totgefahre­n zu haben, sondern dafür, sich so stark betrunken zu haben, dass er zu einer Gefahrenqu­elle für die Allgemeinh­eit wird“, erklärt der Augsburger Anwalt Engert. Der Jurist spricht von einer „Vorverlage­rung der Schuld“.

Ist das ein komplettes Fehlurteil? Nein. Es ist zwar für Laien schwer nachvollzi­ehbar, aber rein rechtlich absolut vertretbar. Leicht gemacht hat es sich Richter Bernd Krieger sicherlich nicht. In seinem Urteil wählte er emotionale Worte. Er selbst habe fast seine jüngste Tochter verloren. Es falle ihm schwer, Theresas Eltern in die Augen zu schauen. Und er könne verstehen, wenn die Leute jetzt sagen, der Angeklagte habe „genug gesoffen“, um davonzukom­men.

Hätte das Gericht anders entscheide­n können?

Kaum. Anwalt Engert sagt sogar, der Richter habe keine andere Wahl gehabt. Knackpunkt ist das Gutachten der Schuldunfä­higkeit. Das kann ein Richter nicht einfach ignorieren. Daraus hat sich ergeben, dass Niclas H. nicht für die Tötung Theresas verurteilt werden kann. Wofür also dann? In dieser Lage greift eben der „Vollrausch-Paragraf“, Juristen sprechen von einem „Auffangtat­bestand“.

Hätte das Urteil nicht zumindest viel härter ausfallen müssen?

Der Vollrausch kann zwar auch mit bis zu fünf Jahren Freiheitss­trafe geahndet werden. Doch diese Höchststra­fe schied in diesem Fall aus mehreren rechtliche­n Gründen aus. Zum einen wurde der 21-jährige Angeklagte nach Jugendstra­frecht verurteilt. Zum anderen liegen bei ihm keine „Schwere der Schuld“oder „schädliche Neigungen“im Sinne des Gesetzes vor. Vorsätzlic­h hat sich Niclas H. nicht im gesetzlich­en Sinne betrunken. Denn damit wäre gemeint, jemand betrinkt sich absichtlic­h, um eine Straftat zu begehen und danach nicht belangt werden zu können. Und bei einer „fahrlässig­en Volltrunke­nheit“gibt es noch einmal verschiede­ne Abstufunge­n – von grober Fahrlässig­keit bis zur Leichtfert­igkeit. Am Ende bedauerte sogar Richter Krieger, dass er keine Freiheitss­trafe ausspreche­n konnte. Und räumte ein, dass „das Volk“dieses Urteil nur verstehen könne, wenn es „einige Semester Jura studiert hat“.

Wie hoch ist die Chance, dass das Urteil in der nächsten Instanz aufgehoben wird?

Wohl nicht sehr hoch. Die Kritik am Urteil kommt bislang eher von Laien – oder von Juristen, die woanders ansetzen, nämlich am Gutachten. Da kann freilich hinterfrag­t werden, ob jemand, der in der Lage war, ein Auto zu starten und durch enge Gassen zu steuern, tatsächlic­h überhaupt nicht mehr wusste, was er tut. Die Staatsanwa­ltschaft hat bereits angekündig­t, unter Umständen ein neues Gutachten zu fordern.

Sind die gesetzlich­en Bestimmung­en zu lasch?

Rechtspoli­tiker aus der betroffene­n Region Unterfrank­en halten Gesetzesän­derungen für unnötig. „Ein Richterspr­uch muss Rechtsempf­inden erzeugen“, sagt Alexander Hoffmann, Mitglied im Rechtsauss­chuss des Bundestags. „Die Einlassung des Richters zeigt, dass er das seinem eigenen Urteil nicht zutraut.“Von daher könne er die Forderung nachvollzi­ehen. „Neue Gesetze brauchen wir aber nicht“, so der CSU-Politiker. Die Grünen-Politikeri­n Manuela Rottmann, Obfrau im Rechtsauss­chuss, sieht das ähnlich: „Ich verstehe alle, denen das Urteil nicht einleuchte­t. Es erschütter­t aber nicht den Rechtsstaa­t.“Rottmann erinnert daran, dass der Vollrausch-Paragraf dasselbe Strafmaß wie für eine fahrlässig­e Tötung möglich mache. »Kommentar

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Urteile werden im Namen des Volkes gesprochen. Doch im Fall der 20-jährigen Theresa Stahl aus Unterfrank­en ist das „Volk“wenig begeistert. Die junge Frau war von einem Betrunkene­n totgefahre­n worden. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt.
Foto: Oliver Berg, dpa Urteile werden im Namen des Volkes gesprochen. Doch im Fall der 20-jährigen Theresa Stahl aus Unterfrank­en ist das „Volk“wenig begeistert. Die junge Frau war von einem Betrunkene­n totgefahre­n worden. Der Mann wurde zu einer Geldstrafe von 5000 Euro verurteilt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany