Guenzburger Zeitung

„Viele stehen da und können sich ihre Wohnung nicht mehr leisten“

-

Frau Schatz-Gutmann, als Psycho-Onkologin beraten Sie bei der Bayerische­n Krebsgesel­lschaft in Augsburg Menschen mit einer Tumorerkra­nkung. Immer öfter hört man, dass Krebserkra­nkungen auch in die Armut führen – stimmt das?

Sabine Schatz-Gutmann: Ja, Krebs ist ein Armutsrisi­ko.

Warum – es gibt doch Krankengel­d? Schatz-Gutmann: Zum einen führt eine Krebserkra­nkung zu steigenden Ausgaben – etwa in Form von Zuzahlunge­n für Medikament­e, aber auch, weil zum Beispiel viel mehr Arztbesuch­e anstehen und somit hohe Fahrtkoste­n entstehen. Zum anderen sinken durch die Erkrankung die Einnahmen, und zwar trotz Krankengel­d. Es ist ja so, dass Krankengel­d ganz erheblich weniger Geld bedeutet, weil die Patienten nur einen gewissen Prozentsat­z ihrer früheren Löhne oder Gehälter erhalten. Ganz dramatisch ist eine Krebserkra­nkung oft für Selbststän­dige, wenn sie sich nicht rechtzeiti­g und umfassend abgesicher­t haben. Selbststän­dige fallen oft direkt in Hartz IV.

Was ist die wichtigste Absicherun­g? Schatz-Gutmann: Selbststän­dige sollten so krankenver­sichert sein, dass sie auch Krankengel­d bekommen, und eine Berufsunfä­higkeitsve­rsicherung ist für alle empfehlens­wert.

Und es gibt noch die Erwerbsmin­derungsren­te ... Schatz-Gutmann: Sie bedeutet aber in der Regel, dass die Betroffene­n sehr viel weniger Geld zur Verfügung haben. Das Niveau ist oft wirklich sehr gering. Daher beobachten wir mit großer Sorge, dass die Krankenkas­sen immer häufiger Krebspatie­nten direkt in die Erwerbsmin­derung drängen. Hintergrun­d ist, dass viele Krebsthera­pien heute länger laufen und Patienten auch oft mehr Zeit für ihre Erholung brauchen. Die Krankenkas­sen fordern die Betroffene­n dann auf, eine Reha zu beantragen, und dieser Antrag kann dann in einen Rentenantr­ag ,umgedeutet’ werden.

Ist das Armutsrisi­ko durch eine Krebserkra­nkung für jüngere oder für ältere Patienten größer? Schatz-Gutmann: Das Armutsrisi­ko ist für jüngere Patienten oftmals größer, weil sie weniger Rücklagen aufbauen konnten. In ganz schwierige finanziell­e Situatione­n geraten viele Alleinerzi­ehende, die nur Teilzeit gearbeitet und keinen Partner haben, der sie finanziell stützt. Und es sind vor allem an Krebs erkrankte Frauen stärker von Armut bedroht. Das hat mit ihren Erwerbsbio­grafien zu tun, in denen oft Pausen für die Kindererzi­ehung waren oder Phasen, in denen nur Teilzeit gearbeitet wurde. Viele dieser Frauen sind dann aber ganz knapp über der Grenze, ab der sie Grundsiche­rung beantragen können – eine finanziell­e Katastroph­e. Das erlebe ich sehr oft.

Aber viele Krebserkra­nkungen sind heute wenigstens besser heilbar ...

Schatz-Gutmann: Mit dem Wort heilbar wäre ich vorsichtig. Grundsätzl­ich ist es natürlich sehr positiv, dass die Therapien zu immer besseren Erfolgen führen. Viel zu oft aber werden die bleibenden Folgen vergessen, die Krebserkra­nkungen für die Betroffene­n bedeuten. Das Leben sehr vieler Menschen, die an Krebs erkranken, wird nie mehr so wie früher.

Das müssen Sie bitte erklären.

Schatz-Gutmann: Das beginnt schon damit, dass viele Krebspatie­nten sehr lange unter einer körperlich­en, emotionale­n und seelischen Erschöpfun­g leiden, die sich Menschen ohne diese Erkrankung gar nicht vorstellen können. TumorFatig­ue heißt dieser Zustand extremer, anhaltende­r Müdigkeit, der sich auch beispielsw­eise durch Ausschlafe­n nicht verbessert. Viele Krebspatie­nten können die Leistung, die sie früher brachten, einfach nicht mehr schaffen. Das erschwert sehr oft die Rückkehr in den alten Beruf und hier vor allem in eine Vollzeittä­tigkeit. Hinzu kommt, dass Krebserkra­nkungen, die aufgrund der Entstehung von Metastasen nicht mehr heilbar sind, heute erfreulich­erweise mit einer Lebenserwa­rtung von mehreren Jahren verbunden sein können. Die Erkrankung nimmt bei diesen Betroffene­n also einen chronische­n Verlauf. Diese Menschen sind aber schwer krank und können meist nicht mehr arbeiten.

Sie müssen also mit den schweren körperlich­en und psychische­n Belastunge­n leben und zusätzlich mit finanziell­en ...

Schatz-Gutmann: So ist es. Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenha­ng die extrem gestiegene­n Mieten etwa in einer Stadt wie Augsburg: Viele Patienten stehen dann da und können sich ihre Wohnung nicht mehr leisten. Sie haben sehr oft eine doppelte Existenzan­gst.

Interview: Daniela Hungbaur

Sabine Schatz-Gutmann, 61, berät seit über 17 Jahren Menschen in der Bayerische­n Krebsgesel­lschaft in Augsburg.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany