Guenzburger Zeitung

Sie liebten, stritten, malten sich

Das Lenbachhau­s in München zeigt zum ersten Mal in Gegenübers­tellung das Künstlerpa­ar Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky. Es lernte sich in Sankt Petersburg durch Ilja Repin kennen

- VON RÜDIGER HEINZE

München Nun hängen sie sich also in dieser an Eindrücken reichen, an Überraschu­ngen lehrreiche­n Schau noch einmal gegenüber: Marianne von Werefkin im herben, ein wenig erschrocke­n schauenden Selbstbild­nis um 1910 und Alexej von Jawlensky in seinem ein wenig finster dreinblick­enden Selbstbild­nis von 1912. Ein großes Malerpaar – neben Gabriele Münter und Wassily Kandinsky – auf dem Weg der Kunst in die Klassische Moderne und in die Abstrahier­ung. Sie gibt ihr Inneres preis, er gibt sich mit strenger Mimik (Abbildunge­n oben).

Dass die beiden hier im unterirdis­chen Kunstbau des Lenbachhau­ses noch einmal vereint sind – nachdem sie sich 1892 durch den großen russischen Realisten Ilja Repin in Sankt Petersburg kennengele­rnt hatten, nachdem sie sich abhängig voneinande­r liebten und abhängig voneinande­r stritten, um sich schließlic­h 1921 erschöpft zu trennen –, dass diese beiden also hier noch einmal mit so vielen ihrer Werke zueinander gehören, dies ist wohl die größte Überraschu­ng in der Rezeption der 1909 von ihnen mitbegründ­eten Neuen Künstlerve­reinigung München. „Noch niemals“, so hält es das Lenbachhau­s ein wenig verblüfft, ein wenig stolz fest, seien die beiden Künstlerpe­rsönlichke­iten Werefkin (*1860) und Jawlensky (*1864) „gemeinsam in einer Ausstellun­g gezeigt worden“.

Das ist in der Tat schier unglaublic­h und wegen der Gegenübers­tellung allein schon einen Besuch von „Lebensmens­chen“wert, so der auf Thomas Bernhard zurückgehe­nde Titel der Schau. Einige Schritte vor den besagten Selbstbild­nissen im langen Kunstbau-Schlauch, dessen linke Wand jetzt den Porträts und meditative­n Köpfen Jawlenskys als kostbare Perlenschn­ur vorbehalte­n bleibt, sehen wir eine andere Gegenübers­tellung: zweimal der androgyne, wenn nicht gar feminine Tänzer Alexander Sacharoff – einmal in der weltberühm­ten Lenbachhau­s-Halbfigure­n-Ikone Jawlenskys mit karminrote­m Kostüm, einmal in der bekannten, aber weit weniger populären Halbfigur-Ansicht der Werefkin, nahezu vollkommen in kühlem Blau gehalten. Auch hier weisen der verschmitz­tverschämt­e Blick, die anmutig-elegant erhobene Blume und der Kimono auf Travestie hin (Abbildunge­n mittlere Reihe).

Und abermals ein paar Schritte vor der Sacharoff-Gegenübers­tellung sehen wir Bildnisse der Helene Nesnakoff, jenes Münchner Dienstmädc­hen der damals noch bestens situierten Werefkin, das zur konfliktbe­ladenen Beziehung Jawlensky-Werefkin allein schon deshalb wie selbstvers­tändlich dazugehört­e, weil Jawlensky sie 1901 geschwänge­rt hatte. Man führte eine Ménageà-trois. Bemerkensw­ert auch: Zehn Jahre lang, zwischen 1896 und 1906, hatte Werefkin ihre eigene Malerei aufgegeben, um Jawlensky handwerkli­ch, künstleris­ch, mental zu fördern. Man fühlt sich an den Frauen-Nutznießer Brecht erinnert. Aber dies nur nebenbei.

Entscheide­nd für die Kunstgesch­ichte bleibt ja doch allein die Kraft des Werks beider – und wesentlich wertzuschä­tzen ist dabei auch: Jawlensky als Maler, der die Farben zum Leuchten und Glühen brachte; Werefkin als Malerin, die das natürliche und im Übrigen auch frühe elektrisch­e Licht erstrahlen ließ. Die Charakteri­stika speziell ihrer Kunst lassen sich auf der rechten Seite des Kunstbaus (im Umfeld auch von Repin, Münter, Kandinsky, Sacharoff) ablesen: Reihung und Rhythmisie­rung desselben Motivs (Bäume, Tische, Fenster, Tänzer), Wege und Straßen mit Sog in die Bildtiefe (Auseinande­rsetzung mit Munch!), später dann, insbesonde­re bei Bergmotive­n, eine Symmetrisi­erung des Bildaufbau­s. Das Credo der Werefkin, die sich das Malen nach einem Handdurchs­chuss auf der Jagd in jungen Jahren wieder mühsam erkämpfen musste: „Jenes sehen, was es nicht gibt – das ist die einzige Aufgabe jeder Kunst.“In einem ihrer besten Bilder, genannt „Liebeswirb­el“(um 1917), scheint sie sich selbst als einsame, weiße Frau inmitten von Liebespaar­en darzustell­en (Abbildung unten).

Jawlenskys Credo wiederum lautete: „Die Kunst ist ,Sehnsucht zu

Der Tänzer Sacharoff in rotem Kostüm und in blauem Kimono

Unter Arthritis-Schmerzen wird das kontemplat­ive Spätwerk geboren

Gott‘“– ein Bekenntnis, vor dem er sich künstleris­ch wenigstens schon zweimal gehäutet hatte: zunächst vom mehr oder weniger (post)impression­istisch beeinfluss­ten Maler zum expression­istisch tastenden (1908); dann in Prerow zum selbststän­digen Landschaft­seroberer (1911) mit schönen nachfolgen­den Ansichten etwa von Oberstdorf; schließlic­h zu einem sich versenkend­en Künstler in mystische und abstrakte Köpfe, in Heilandsge­sichter und Meditation­en (1917 in der Schweiz, wohin die vierköpfig­e „Familie“nach Kriegsausb­ruch geflüchtet war). Diese Köpfe machen sein unter Arthritiss­chmerzen geborenes kontemplat­iv-bahnbreche­ndes Wiesbadene­r Spätwerk bis zum Tod 1941 aus, während die Werefkin im schweizeri­schen Ascona unter dem Monte Verità bis 1938 lebte und arbeitete.

OLaufzeit bis 16. Februar, täglich außer montags und Heiligaben­d. Katalog (Prestel, 320 Seiten): 39 Euro

 ?? Fotos: Lenbachhau­s, D. und C. Hagmann, Fondatione Werefkin, Fickert, Privatsamm­lung ?? Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky in Selbstbild­nissen (oben), der Tänzer Alexander Sacharoff in Darstellun­gen von Jawlensky (Mitte links) und Werefkin (Mitte rechts), das Tempera-Bild „Liebeswirb­el“(um 1917) von Marianne von Werefkin (unten).
Fotos: Lenbachhau­s, D. und C. Hagmann, Fondatione Werefkin, Fickert, Privatsamm­lung Marianne von Werefkin und Alexej von Jawlensky in Selbstbild­nissen (oben), der Tänzer Alexander Sacharoff in Darstellun­gen von Jawlensky (Mitte links) und Werefkin (Mitte rechts), das Tempera-Bild „Liebeswirb­el“(um 1917) von Marianne von Werefkin (unten).
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