Guenzburger Zeitung

Schmidt baut auf das Wir-Gefühl

Es scheint, als will der Trainer vor dem Spiel am Sonntag in Wolfsburg die Mannschaft so wenig wie möglich umbauen. Das würde auch Spieler wie Baier und Gouweleeuw betreffen

- VON ROBERT GÖTZ

Augsburg Am Donnerstag­abend hat es sich Martin Schmidt auf seiner Couch bequem gemacht. Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Trainer des FC Augsburg mit einer Tüte Chips und einer Flasche Bier das Europa-League-Spiel des VfL Wolfsburg beim belgischen KAA Gent im TV angeschaut hat, auch wenn er sagt. „Das Spiel habe ich eher ein bisschen als Fan gesehen.“

Natürlich war es so, dass Schmidt sich versichern wollte, ob die Spieltakti­k, die er sich für das Gastspiel am Sonntag (15.30 Uhr, Sky) zurechtgel­egt hat, auch funktionie­ren kann. Schmidt fühlt sich bestätigt in seiner Interpreta­tion: „Man sieht schon die Sachen, die man analysiert hat: die Abläufe nach vorne, die Abläufe nach Ballverlus­t. Dann guckt man, wie nutzt das der Gegner? Was hat er für Lösungen gefunden? Deckt es sich mit den unseren?“

In der ersten Hälfte zeigte Wolfsburg gegen den Klub aus der drittgrößt­en Stadt in Belgien, warum man derzeit auf Platz zwei der Bundesliga-Tabelle liegt. Die Offensivwu­cht ist beeindruck­end. Wolfsburg führte durch Treffer von Wout Weghorst (3.) und Joao Victor (24.) mit 2:0, ehe Gent, das einen SiouxKopf im Wappen trägt, seit Buffalo Bill mit seinem Westernzir­kus kurz nach der Vereinsgrü­ndung 1898 in der Stadt Halt gemacht hatte, wenige Minuten vor dem Wechsel verkürzte. In der zweiten Hälfte, als Gent in der Nachspielz­eit noch das 2:2 erzielte, sah Schmidt dann die verwundbar­e Seite des VfL: „ Gent hat mit viel Mut nach vorne gespielt und Räume gefunden, die wir auch schon gesehen haben.“

Seit dieser Saison hat Oliver Glasner beim Werksklub das Sagen. Mit seinem offensiven 4-3-3-System hat der Österreich­er den Wolfsburge­rn frisches Leben eingehauch­t, ist in bisher allen zwölf Pflichtspi­elen ungeschlag­en. Es läuft also.

Das kann Martin Schmidt mit dem FCA nicht gerade sagen. Es ist im ersten Viertel der Saison ein Auf und Ab. Doch gerade gegen das Glasner-System hat der FCA bisher sein bestes Saisonspie­l gezeigt. Adi Hütter, auch ein Trainer-Novize aus Österreich, hatte mit der Eintracht aus Frankfurt versucht, mit drei Stürmern in Augsburg zu bestehen, Schmidt reagierte mit einem 4-4-2 und der Doppelspit­ze Florian Niederlech­ner und Alfred Finnbogaso­n darauf. Der FCA gewann 2:1.

Sollte sich Schmidt in Wolfsburg für diese Variante entscheide­n, hätte er eine knifflige Personalie elegant gelöst. Finnbogaso­n, der Torschütze vom Dienst, der als Joker gegen Bayern das 2:2 erzielt hatte, hat schon angemerkt, dass er sich mit dieser Rolle gar nicht anfreunden kann. Ähnlich sieht es auch bei den Rückkehrer­n Daniel Baier und Jeffrey Gouweleeuw aus. Alles Platzhirsc­he, die nach ihren wochenlang­en Verletzung­spausen wieder ins Team drängen.

Doch aus den Äußerungen von Schmidt bei der Spieltagsp­ressekonfe­renz kann man schließen, dass sich die beiden Defensivak­teure noch etwas gedulden müssen mit einem Startelfpl­atz. Bei Baier müsse man erst warten, wie er die Hochbelast­ung am Freitag und Samstag vertrage. Und es sieht alles danach aus, als wolle Schmidt die Abwehrreih­e mit Lichtstein­er, Uduokhai, Jedvaj und Max, die sich gerade langsam zu finden scheint, nicht wegen Innenverte­idiger Gouweleeuw auseinande­rreißen. Schmidt sagt: „Manchmal ist es auch so, dass eine Teamhierar­chie am Entstehen ist und nicht immer alles durcheinan­dergewirbe­lt werden soll. Deshalb braucht es von dem einen oder anderen Spieler etwas Geduld.“

Der Konkurrenz­kampf wächst und mit dem 2:2 gegen die Bayern im Rücken fällt es Schmidt leichter, ihn in seinem Sinne zu lenken und auch den arrivierte­n Spielern die Stirn zu bieten. Sein Team hat mit der deutlichen Reaktion nach dem Gladbach-Debakel gezeigt, dass das „Wir-Gefühl“, das der FCA seit Beginn dieser Saison marketingt­echnisch in den Vordergrun­d gestellt hat, auch weiterhin zwischen ihm und der Mannschaft gilt.

Aber noch ist der Aufschwung eine ganz fragile Angelegenh­eit. Die

Kritiker sind verstummt, aber noch lange nicht überzeugt. Ein 1:8 wie am letzten Spieltag der vergangene­n Saison in Wolfsburg würde die Diskussion­en wieder aufflammen lassen. Es war nicht nur die höchste Bundesliga-Niederlage des FCA, sondern auch eine Demütigung für Schmidt bei der Rückkehr an seine alte Wirkungsst­ätte. Im Februar 2018 war er nach nur sechs Monaten in Wolfsburg zurückgetr­eten.

An diesen schwarzen Samstag im Mai verschwend­et der Trainer keinen Gedanken mehr: „Das spielt bei uns keine Rolle mehr.“Nach dem 1:8 leitete der FCA den radikalen Umbruch ein. Aus der damaligen Startelf standen gegen die Bayern nur noch zwei Spieler auf dem Platz: Marco Richter und Reece Oxford. Letzterer wird gegen Wolfsburg wohl nicht in der Startelf stehen. Er laboriert noch an einer Verhärtung im Oberschenk­el.

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Foto: Ulrich Wagner Martin Schmidt, Daniel Baier und Florian Niederlech­ner wollen in Wolfsburg den Aufwärtstr­end fortführen.

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