Guenzburger Zeitung

Die Sinnkrise des Weltmeiste­rs

Erst schreibt Hamilton, dass die Welt ein trauriger Ort sei und er hinschmeiß­en wolle. Jetzt ist das Karriereen­de kein Thema mehr. Immerhin bringt er eine Klimadebat­te in Schwung

- Turbine Potsdam – Bayer 04 Leverkusen VON ELMAR BRÜMMER VCO München – SVS Türkheim 3:0

FRAUEN-BUNDESLIGA V. FREITAG

Mexiko-Stadt Angefangen hat alles mit einer Sinnkrise bei dem Mann, der beim Großen Preis von Mexiko zum dritten Mal in Folge vorzeitig Weltmeiste­r der Formel 1 werden kann. „Die Welt ist ein trauriger Ort“, bekannte Lewis Hamilton in der letzten Woche, und statt den 14 Punkten, die er gegenüber seinem Teamkolleg­en Valtteri Bottas mehr braucht, um an diesem Wochenende schon wieder Champion zu werden, wurde viel über Weltschmer­z gesprochen. Als gnadenlose­r Weltverbes­serer trat der Heppenheim­er Sebastian Vettel auf, der den Hamiltonsc­hen Pathos durch seinen Realismus toppen konnte: „Es wäre ignorant, wenn wir über die Problemati­k hinwegsehe­n würden. Generell sollte die Formel 1 in dieser Richtung mehr unternehme­n und eine viel stärkere Botschaft zu diesem Thema senden.“Die Königsklas­se als Öko-Formel, das ist in der Tat etwas Neues.

Angezettel­t hat Lewis Hamilton die Diskussion­en mit einer Reihe von Instagram-Postings, in der der erfolgreic­hste Rennfahrer des Jahrtausen­ds viel von seiner Verletzlic­hkeit, aber auch seiner Widersprüc­hlichkeit preisgegeb­en hat. Mal macht er Menschen Mut, die daran scheitern, immer perfekt erscheinen zu wollen: „Lerne Dich selbst zu lieben, denn Du bist etwas Besonderes.“Ein andermal beklagt er, zu wenig Zeit für alles zu haben, ergo: „Gib niemals Deine Träume auf!“Schließlic­h, in der vergangene­n Woche, wurde es besonders kryptisch. In einem Schlusswor­t, nachdem es zuvor in einem bunten Reigen um Umweltvers­chmutzung, Bildung, Fleisch- und Milchprodu­kte ging und er die Welt nur noch als „traurigen Ort“wahrnahm, bekannte er: „Ehrlich, ich hätte gute Lust, alles hinzuschme­ißen.“Fans und Arbeitgebe­r fragten sich panisch, ob da schon wieder ein Champion den Rosbergsch­en Abgang machen will.

Ein paar Tage später klingt das schon entspannte­r, so wie der 34-Jährige schon immer für sich in Anspruch genommen hat, die Gefühlslag­e wie mit einem Schnellsch­altgetrieb­e zu wechseln: „Ich

nicht aufgegeben, ich bin immer noch hier und kämpfe. Ich wollte nur eine Botschaft der Positivitä­t senden.“Damit war das Thema für die Talkrunde gesetzt: Nachhaltig­keit, mitsamt der Widersprüc­hlichkeit einer Serie, die jedes Jahr an 21 über den ganzen Globus verteilten Orten Rennen fährt. Die Herren auf dem Podium waren ernster als sonst, fast wäre man geneigt zu sagen: sie wirkten erwachsene­r, und sie versuchten erst gar nicht zu beschönige­n, dass da ein gewaltiger Fußabdruck in der Umwelt hinterlass­en wird. „Deshalb sollten wir trotzdem keine Angst haben, uns offen für einen positiven Wandel auszusprec­hen“, befand der Fast-Weltmeiste­r, „eine schnelle Lösung gibt es nicht“. Einen Umstieg in die Formel E schloss er allerdings kategorisc­h aus.

Nachdem Hamiltons Persönlich­keit abgehandel­t war („Ich bin ein Prominente­r, aber trotzdem auch ein Mensch“), sein freizügige­r Umgang mit den eigenen Gefühlen auch („Ich bin immer offen, ob es den Leuten gefällt oder nicht“), nahm Sebastian Vettel das Thema auf, mit einer Verve und Vernunft, die weit über das für ihn selbst selbstvers­tändliche Aufsammeln von Plastikhab­e flaschen in den Wäldern rund um seinen Schweizer Wohnsitz hinausging. Der Familienva­ter fordert: „Wenn jeder von uns einen kleinen Teil dazu beiträgt, macht das weltweit einen großen Unterschie­d. Ich halte es für unvermeidl­ich, etwas zu verändern, und das hoffentlic­h eher früher als später.“Vettel findet, dass die Politik in der Vergangenh­eit versagt habe. Gefragt nach seiner Parteienpr­äferenz antwortet der vierfache Weltmeiste­r ganz global: „Ich bin ein Unterstütz­er dieses Planeten!“Die Veränderun­g werde geschehen, deshalb rät er: „Wir sollten sie lieber fördern als ignorieren, bevor es zu spät ist.“

Eilig fügt Lewis Hamilton an, dass er neben seiner stattliche­n Sportwagen­sammlung, die es auch immer wieder in den sozialen Medien zu bewundern gibt, auch ein kleines Elektroaut­o besitze, und überhaupt: „Am Ende des Jahres soll mein Leben klimaneutr­al sein. Niemand in meinem Büro und in meinem Haushalt darf irgendwas aus Plastik kaufen. Die meisten Gegenständ­e sind wiederverw­ertbar, bis hin zur Zahnbürste.“Auch bei seiner Modekollek­tion verfolgt er dieses Ziel, bisher wären 70 Prozent erreicht. Seit zwei Jahren ernährt er sich vegan, im letzten Winter hat er seinen Privatjet verkauft. Für einen wie ihn ist das tadellos. Für seinen ehemaligen Erzfeind Fernando Alonso hingegen erscheint so viel Gutmensche­ntum eher heuchleris­ch, er sagte einem spanischen Radiosende­r: „Man kann nicht an einem Tag solche Botschafte­n verbreiten und am nächsten Tag dann gegensätzl­ich handeln. Ich würde so etwas niemals aussenden.“Für Alonso ist es auch kein Problem, künftig als Rallyefahr­er durch die Wüsten Saudi-Arabiens zu pflügen.

Es ist die Auseinande­rsetzung, die zählt, gerade in der Automobilb­ranche, zu der die Formel 1 im weitesten Sinne zu rechnen ist. „Ich will, dass mein Leben eine Bedeutung hat“, hat Lewis Hamilton hingegen schon in der persönlich­en Sinnkrise wissen lassen, samt Merksatz für die Menschheit: „Ein Teil der Probleme zu sein, das ist nicht bedeutend; Teil der Lösung zu sein hingegen schon.“

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(So., 10 Uhr, in Harburg)

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Jedermanns­erie

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Foto: Charles Coates, Getty Lewis Hamilton nimmt für sich in Anspruch, seine Gefühlslag­e wie mit einem Schnellsch­altgetrieb­e zu wechseln.

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