Guenzburger Zeitung

„Kunst soll Mut machen“

Das Interview Konstantin Wecker Konstantin Wecker badet in Orchesterk­längen – und spricht über seine musikalisc­hen Wurzeln, politische Träume und die Gefahr von rechts

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Weltenbran­d“ist ein Album mit der Bayerische­n Philharmon­ie. Wie fühlt es sich an, in Orchesterk­längen zu baden? Konstanin Wecker: Endlich höre ich die Lieder genau so, wie ich sie beim Komponiere­n gehört habe. Zum Teil schon vor 45 Jahren. Diese jungen Musiker spielen ohne Orchestera­ttitüde. Es ist fast so, als spielte ich mit einer Band aus Hornisten, Geigern und Schlagwerk­ern. Die Lieder, die sich für dieses Programm eignen, waren alle im orffschen Sinne gedacht. Ich bin schon Anfang der 1980er Jahre mit einem Kammerorch­ester unterwegs gewesen. Damals war der Punk gerade aufgekomme­n, und das Publikum ist nicht wegen, sondern trotz meiner Musik zu mir gekommen.

Welche Rolle spielt die klassische Musik in Ihrem Leben?

Wecker: Ich komme ursprüngli­ch aus der klassische­n Musik, mein Vater war Opernsänge­r. Bis zu meinem Stimmbruch habe ich mit ihm italienisc­he Opern gesungen. Ich war eine tolle Traviata! Erst als ich mit 20 Jahren die Musik von Janis Joplin kennenlern­te, habe ich gemerkt, dass es noch etwas anderes gibt. Wie im klassische­n Liedgut vertone ich meine Texte immer. Wenn ich spiele, höre ich eher eine Instrument­ierung als nur das Klavier.

Das Lied „Ich habe Angst“haben Sie 1992 Petra Kelly und Gerd Bastian gewidmet. Wie passt ihr Selbstmord zu den Galionsfig­uren der deutschen Friedensbe­wegung?

Wecker: War es wirklich ein Selbstmord? Petra Kelly hatte durch ihre pazifistis­che Haltung weltweit Feinde, sie hat sich ja nicht nur in Deutschlan­d engagiert. Ich habe mit ihren Weggefährt­en gesprochen. Da gab es viele andere Meinungen über ihren Tod. Wenn Selbstmord, dann war es vielleicht die Verzweiflu­ngstat eines Menschen, dem viele Steine in den Weg gelegt wurden. Auch von Parteigeno­ssen.

Petra Kelly galt als undiplomat­isch und unerbittli­ch – ihre Kompromiss­losigkeit machte sie für manche Weggefährt­en zur Nervensäge. Sind Sie auch ein bisschen so?

Wecker: Ich bezeichne Petra Kellys Haltung als aufrecht. Sie hatte natürlich nichts zu tun mit diplomatis­chem Geplänkel. Sophie Scholl war auch kompromiss­los. Ich habe mal den Polizeispr­echer von damals nach Originalpr­otokollen gesprochen. Er wollte sie eigentlich davonkomme­n lassen, aber diese junge großartige Frau hat sich aufgrund ihrer Aufrichtig­keit um Kopf und Kragen geredet. Etwas Ähnliches hatte Petra Kelly. Sie wollte keine Macht ausüben, sondern einfach nur mit dem Herzen denken.

Gab es bei Ihnen in den vergangene­n 45 Jahren einen Punkt, an dem Sie das Gefühl hatten, dass unsere Gesellscha­ft den Rassismus mehr oder weniger überwunden hat?

Wecker: Das, was seit ungefähr drei Jahren passiert, hätte ich mir an keinem Punkt meines Lebens vorstellen können. Wir laufen weltweit Gefahr, faschistis­che Regierunge­n zu haben. Es lohnt sich, Theodor W. Adornos Vortrag von 1967 noch einmal zu lesen, als die NPD aufkam. Er sagte, die Menschen seien verunsiche­rt. Anstatt den eigentlich­en Grund dieser Verunsiche­rung anzugehen – nämlich den Kapitalism­us – suchen sie sich Schwächere aus, um an ihnen ihre Wut auszulasse­n. Das trifft auf die heutigen populistis­chen Parteien hundertpro­zentig zu. Sie sind nicht die Parteien des kleinen Mannes, sondern des Kapitals. Darüber müssen wir aufklären.

Sind Sie als kritischer Künstler häufig

Ziel von rechtsextr­emistische­n Hassattack­en im Netz? Wecker: Natürlich. Das hat sich in letzter Zeit gesteigert und ich versuche, damit umzugehen. Vor zwei Jahren hat es mich noch fast fertiggema­cht, bis ich gemerkt habe, dass eine bestimme Systematik dahinterst­eckt. Ich schreibe auf Facebook und in dem Magazin https://hinter-den-schlagzeil­en.de/ Aber nur über politische Sachen. Oder ich weise auf ein Konzert von mir hin. In den ersten drei Stunden kommen immer Kommentare von Menschen, die denken. Und dann folgen die Hasskommen­tare, die fast immer gleich klingen.

Wie wirkt sich Online-Hass auf Ihre künstleris­che Arbeit aus?

Wecker: Nicht die einzelnen Kommentare, aber die Situation wirkt sich aus. In meinem „Weltenbran­d“-Konzertpro­gramm lese ich ganz bewusst Gedichte von verbrannte­n

Sehen Sie sich ein bisschen als Einzelkämp­fer, der unbeugsam die Menschenre­chte für sich allein und damit auch für die ganze Gesellscha­ft vertritt? Wecker: Ich habe das große Glück, dass ich noch auf Tour gehen kann. Ich spiele 100 Konzerte im Jahr und sehe jeden Abend zwischen 1000 und 2000 Leute, die ähnlicher Meinung sind wie ich und denen ich Mut mache. Ich habe noch nie so viele Briefe bekommen wie in den letzten zwei Jahren. Kunst kann und soll Mut machen. Aber mir macht mein Publikum auch Mut. Wenn ich nur das Schreiben hätte, könnte ich mir vorstellen, zum Zyniker zu werden.

Sind Rechtsradi­kale wirklich nur verletzte arme Seelen?

Wecker: Ja natürlich, anders kann es nicht sein. Manche haben einfach das unglaublic­he Pech und wachsen in solch eine autoritäre Familie hinein. Die „Schwarze Pädagogik“hat überhaupt erst ermöglicht, dass jemand wie Hitler eine Chance hatte. Diese Pädagogik hat jeden freien Willen mit Gewalt auszutreib­en versucht. Sie hat keine Gefühle gezeigt. Mein Vater ist in dieser Zeit geboren, aber er war ein antiautori­tärer Mann, weil er nicht im Sinne der „Schwarzen Pädagogik“erzogen wurde. Interview: Olaf Neumann

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Foto: BrauerPhot­os/Dominik_Beckmann

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