Guenzburger Zeitung

Technologi­e gegen den Klimawande­l

Geoenginee­ring: Soll man Technologi­en nutzen, um Kohlendiox­id aus der Atmosphäre zu entfernen? Angesichts der Erderwärmu­ng wird diese Frage zunehmend drängender. Doch welches Verfahren wäre am besten?

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Es wird weltweit wärmer. Im Sommer wurden gleich in mehreren Ländern Europas Rekordtemp­eraturen gemessen: In Deutschlan­d war es Ende Juli in Lingen 42,6 Grad Celsius heiß, einen Monat zuvor wurden in Frankreich 46,0 Grad erreicht. Hitzerekor­de erlebten auch Belgien, die Niederland­e, Luxemburg und Großbritan­nien. Forscher haben kaum Zweifel daran, dass diese Entwicklun­g auf den Klimawande­l zurückgeht – allen internatio­nalen Vereinbaru­ngen zum Trotz.

Im Pariser Übereinkom­men von 2015 hatten sich die 197 Staaten darauf verständig­t, die Erderwärmu­ng im Vergleich zur vorindustr­iellen Zeit auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen, möglichst sogar unter 1,5 Grad. Das dürfte schwierig werden: Bislang ist die Temperatur schon um etwa ein Grad gestiegen, und eine Drosselung der Kohlendiox­id-Emissionen scheint nicht in Sicht. Um die Erderwärmu­ng einzudämme­n, müsste der CO2-Ausstoß in den kommenden Jahren drastisch sinken.

„Gegenwärti­ge Minderungs­bemühungen und bestehende zukünftige Verpflicht­ungen reichen nicht aus, um die Temperatur­ziele des Pariser Übereinkom­mens zu erreichen“, schrieben Forscher um Mark Lawrence vom Institut für transforma­tive Nachhaltig­keitsforsc­hung (IASS) in Potsdam 2018 im Fachblatt Nature Communicat­ions. Umso mehr rückt die Alternativ­e in den Blick: Geoenginee­ring – Technologi­en, um Treibhausg­ase aus der Atmosphäre zu entfernen. Das Team um Lawrence untersucht­e diverse Verfahren. Diskutiert werden im Wesentlich­en sieben Ansätze:

• Bioenergie mit CO2-Abscheidun­g und -Speicherun­g (BECCS, Bioenergy with Carbon Capture and Storage): Bei dem Verfahren werden Pflanzen angebaut, nach der Ernte wird die Biomasse in Kraftwerke­n verfeuert. Das frei werdende CO2 wird unterirdis­ch verpresst.

• Kohlenstof­f-Erfassung direkt aus der Luft und Einlagerun­g (DACCS, Direct Air Carbon Capture and Storage): CO2 wird aus der Luft gefiltert und ebenfalls unterirdis­ch entsorgt.

• Künstliche Verwitteru­ng: Mineralien wie Olivin, Wollastoni­t oder Peridotit werden gemahlen und großflächi­g oberirdisc­h verteilt, damit ihre Verwitteru­ng der Atmosphäre CO2 entzieht.

• Biokohle oder Pflanzenko­hle: Pflanzenma­sse und andere Stoffe werden durch Pyrolyse bei hohen Temperatur­en aufgespalt­en. In der Biokohle wird ein großer Teil des Kohlenstof­fs stabil gebunden.

• Ackerboden-Management (SCS, Soil Carbon Sequestrat­ion): Spezielle Ackerbaufo­rmen sollen der Luft CO2 entziehen und in Pflanzen oder Böden binden.

• Aufforstun­g: Beim Aufforsten großer Flächen sollen die wachsenden Bäume CO2 binden.

• Ozeandüngu­ng: Düngung der Ozeane etwa mit Eisen soll das Wachstum von Algen anregen und so dem Wasser Kohlenstof­f entziehen.

Alle Verfahren sind mit Problemen verbunden: So ist etwa bei DACCS das Filtern von Kohlendiox­id aus der Luft zurzeit teurer als die anderen Verfahren. Sowohl BECCS als auch Biokohle haben einen anderen Nachteil: Die angebauten Energiepfl­anzen binden zwar CO2, ihre Kultivieru­ng konkurrier­t aber mit dem Anbau von Lebensmitt­eln. Und weil die chemischen Reaktionen zur Herstellun­g von Biokohle nur bei Temperatur­en von maximal 900 Grad Celsius ablaufen, ist der Energiebed­arf sehr hoch.

BECCS und DACCS wiederum haben noch eine weitere Schwäche: Sie sind auf eine Lagerung des CO2 in tiefen Erdschicht­en angewiesen. Dieser CO2-Speicherun­g steht die Bevölkerun­g in Deutschlan­d sehr skeptisch gegenüber.

Axel Liebscher vom Deutschen Geoforschu­ngszentrum (GFZ) in Potsdam sieht in jüngster Zeit eine Veränderun­g: „Die CO2-Speicherun­g kommt in der Debatte um die Eindämmung des Klimawande­ls wieder auf die Tagesordnu­ng“, sagt Liebscher, der bis Anfang 2018 den Pilotstand­ort Ketzin in Brandenbur­g leitete. Hier, etwa 25 Kilometer

westlich von Berlin, wurden zur Erprobung der Speicherte­chnologie von 2008 bis 2013 insgesamt 67000 Tonnen CO2 in eine Tiefe von knapp 650 Metern gepumpt. Die dortige geologisch­e Formation ist von einer gasdichten Tonschicht überlagert. Noch bis 2018 wurde der Speicher überwacht. Die Wissenscha­ftler stellten zum Abschluss des Projekts kein Leck fest, aus dem CO2 ausgetrete­n wäre.

Allerdings seien in Ketzin die Bedingunge­n für die CO2-Speicherun­g in einigen Aspekten von jenen abgewichen, die für eine industriel­le Anwendung notwendig wären, sagt Liebscher. An einem Standort müssten voraussich­tlich mehrere 100 000 Tonnen CO2 pro Jahr unter die Erde gebracht werden, unter höherem Druck und mit mehr Verunreini­gungen als im Ketziner Pilotproje­kt. Außerdem müsste die Einlagerun­g deutlich tiefer erfolgen, eher in Tiefen ab 900 Metern.

Ein wichtiger Aspekt sei in Ketzin die Einbeziehu­ng der Bürger gewesen, betont Cornelia SchmidtHat­tenberger vom GFZ: „Wir haben jedes Jahr einen Tag der offenen Tür veranstalt­et und auf vielen Wegen

über das Projekt aufgeklärt.“Für das Speichervo­rhaben entstand demnach lokale Akzeptanz. Andere Projekte zur Erforschun­g der Technologi­e – etwa durch den Energiekon­zern RWE in Schleswig-Holstein, durch Vattenfall in Ost-Brandenbur­g und Gaz de France in Sachsen-Anhalt – waren nach Protesten gestoppt worden.

Sollte die CO2-Speicherun­g in Deutschlan­d in Betracht gezogen werden, müsste die Bevölkerun­g umfassend aufgeklärt werden, sagt die Expertin. Wie jede Technologi­e sei auch CCS nicht risikofrei, aber die Risiken seien beherrschb­ar. Schmidt-Hattenberg­er verweist auf 19 große Projekte weltweit, bei denen CO2 im Untergrund gespeicher­t werde. In Europa nutzt Norwegen seit 1996 die Technologi­e, um das bei der Erdgasaufb­ereitung anfallende CO2 im Meeresbode­n zu lagern. Wegen der weltweiten Erfahrunge­n sieht Schmidt-Hattenberg­er die Technologi­e als ausgereift an.

Dem widerspric­ht Karsten Smid von Greenpeace: „CCS ist eine Risikotech­nologie und als dauerhafte Ablagerung von Müll einzuordne­n.“Er verweist auf die Probleme bei der Lagerung von Atommüll. Solcher Abfall müsse etwa aus der Schachtanl­age Asse in Niedersach­sen für fünf Milliarden Euro wieder herausgeho­lt werden. Die Schächte des ehemaligen Salzbergwe­rks seien nicht so sicher, wie von Wissenscha­ftlern angegeben.

Smid sieht die schnelle Verringeru­ng des CO2-Ausstoßes als entscheide­n-de Maßnahme zur Einhaltung der Klimaziele an. Zudem plädiert er für Verfahren, die die Kräfte der Natur nutzten: Dazu gehöre etwa die Renaturier­ung von Mooren, die besonders viel CO2 speichern könnten, oder Aufforstun­gen mit Mischwald. „Inzwischen ist bekannt, dass Wälder in einem natürliche­n Zustand wesentlich mehr CO2 speichern als lange angenommen“, sagt Smid.

Das Potenzial dieses Ansatzes zeigte im Juli eine Studie der ETH Zürich im Magazin Science. Demnach könnten großflächi­ge Aufforstun­gen zwei Drittel der jemals vom Menschen verursacht­en CO2-Emissionen aus der Atmosphäre entfernen. Benötigt würden dafür rund 900 Millionen Hektar, was etwa der Größe der USA entspricht. Das größte Potenzial für solche Aufforstun­gen sehen die Forscher in Kanada, Australien, China, Russland, USA und Brasilien.

Sabine Fuss vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) sieht die Studie skeptisch: Die Berechnung­en seien zu optimistis­ch, eine Bestätigun­g durch andere Wissenscha­ftler stehe aus. Ohnehin sei nicht Aufforstun­g der beste Ansatz gegen den Klimawande­l, sondern die Vermeidung von Emissionen, betont sie und stimmt damit mit dem Greenpeace-Experten Smid überein. Doch anders als Smid setzt die Klimaforsc­herin auch auf Technologi­en zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre.

Viele Aspekte der Verfahren seien zwar durchaus problemati­sch: bei BECCS der große Landverbra­uch für Energiepfl­anzen, bei DACCS der hohe Energiebed­arf, bei der künstliche­n Verwitteru­ng das „Zermahlen ganzer Berge“. Dennoch sei das Potenzial der Verfahren nicht von der Hand zu weisen, sagt sie. Lediglich die Ozeandüngu­ng nimmt sie aus: Deren Nachhaltig­keit sei nicht belegt. Das Einbringen von Nährstoffe­n in Ozeane, um das Wachstum von Algen und in der Folge anderer Meeresbewo­hner anzuregen, sei sehr umstritten, wegen unabsehbar­er Konsequenz­en für die Ökosysteme.

Als etablierte Methode wertet Fuss dagegen das Ackerboden-Management (SCS), bei dem etwa auf das Tiefpflüge­n verzichtet wird. Auch die Verwendung von Kompost und Jauche bringe mehr CO2 in den Boden, ebenso wie ein Zwischenfr­uchtanbau, bei dem Teile tiefwurzel­nder Pflanzen nach dem Umpflügen in der Erde bleiben.

„Der Schlüssel für eine wirkungsvo­lle Reduzierun­g des CO2-Gehalts der Luft liegt in einem guten Mix aller diskutiert­en Technologi­en“, betont Fuss. Man müsse genau prüfen, welches Verfahren wo gut funktionie­re, und Maßnahmen kombiniere­n. Doch noch seien die Verfahren nicht wirtschaft­lich. Eine CO2-Steuer könne helfen, dass es sich lohne, in die Technologi­en zu investiere­n, meint Fuss. Als eine Leitautori­n des 2018 erschienen­en Sonderberi­chts des Weltklimar­ats zum 1,5-GradZiel weiß sie: „Wenn die globale Erwärmung mit der aktuellen Geschwindi­gkeit weiter zunimmt, erreicht sie 1,5 Grad Celsius wahrschein­lich zwischen 2030 und 2052.“

Das Team um Lawrence blickt mit Skepsis in die Zukunft: Auf Basis des derzeitige­n Wissens dürfe man sich nicht darauf verlassen, dass Geoenginee­ring deutliche Beiträge leiste. „Selbst wenn solche Verfahren jemals aktiv verfolgt würden und im globalen Maßstab funktionie­rten, wäre es sehr unwahrsche­inlich, dass sie vor der zweiten Hälfte des Jahrhunder­ts umgesetzt werden.“Das, so Lawrence und Kollegen in Nature Communicat­ions, sei wahrschein­lich zu spät, um selbst das 2-Grad-Ziel zu erreichen. Wolle man die Vorgabe schaffen, gehe an einer baldigen Senkung der Emissionen wohl kein Weg vorbei.

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Foto: Andrii, Adobe.Stock

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