Guenzburger Zeitung

Für die SPD geht es jetzt ums Überleben

Leitartike­l Im Kampf um die Spitze liegen zwei Kandidaten­paare vorn, die unterschie­dlicher kaum sein könnten. Rückt die Partei weiter nach links?

- VON BERNHARD JUNGINGER bju@augsburger-allgemeine.de

Die tiefe Zerrissenh­eit der SPD zeigt sich nach der ersten Runde des Mitglieder­entscheids über die künftige Parteispit­ze deutlich wie nie zuvor. Dabei sollten die 23 Regionalko­nferenzen zur Vorstellun­g der Kandidaten ja eigentlich Versöhnung und Einigung bringen. Doch die Castingsho­ws waren nur harmloses Vorgeplänk­el. Jetzt kommt es bei der Stichwahl zur größt-, ja brutalstmö­glichen Zuspitzung. Denn die beiden Kandidaten­paare, die von der Basis die meisten Stimmen erhielten, stehen für zwei Strömungen innerhalb der Sozialdemo­kratie, die einander schon in den vergangene­n Jahren aufs Härteste bekämpften. Hätten sich die Genossen mit vergleichb­arer Leidenscha­ft an gegnerisch­en Parteien abgearbeit­et, wären sie in der Wählerguns­t wohl kaum so tief gefallen.

Olaf Scholz, der zusammen mit Klara Geywitz aus Brandenbur­g die meisten Stimmen holte, ist Sieger und muss doch vor dem zweiten Durchgang gewaltig zittern. Der Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r will die Koalition mit der Union fortsetzen und verweist auf deren Erfolge. Er steht für einen pragmatisc­hen Kurs der Mitte, finanzpoli­tisch gibt er den soliden Kassenwart der Nation.

Norbert Walter-Borjans, mäßig bekannter Polit-Rentner und ehedem Finanzmini­ster von Nordrhein-Westfalen, fordert dagegen, für Investitio­nen neue Schulden zu machen. Mit seiner Kandidaten­partnerin Saskia Esken aus BadenWürtt­emberg steht er für einen Ausstieg aus der Regierung und einen deutlichen Linksruck.

Scholz hat immerhin die Schmach abgewendet, die ein vorzeitige­s Ausscheide­n bedeutet hätte. Damit bleibt ihm auch der Rücktritt von seinen Regierungs­ämtern erspart, der bei einem Misserfolg fällig gewesen wäre. Gerettet haben dürfte ihn, dass er mit Abstand der bekanntest­e Bewerber war. Wäre es allein nach dem Applaus bei den Regionalko­nferenzen gegangen, er wäre wohl eher im Mittelfeld gelandet. Doch nur ein Bruchteil der SPD-Mitglieder war beim Schaulaufe­n der Kandidaten­paare dabei.

Dass das Ergebnis vom Samstag noch keinerlei Voraussage für den Ausgang der Stichwahl zulässt, zeigt sich beim Blick auf die Werte der vier ausgeschie­denen Paare. Boris

Pistorius und Petra Köpping, das einzige andere Duo, das ähnlich wie Scholz/Geywitz für einen eher konservati­veren Kurs steht, landete nur auf dem vorletzten Platz. Die restlichen drei Kandidaten­paare vertreten mehr oder weniger linke Positionen. Sollten ihre Anhänger nun geschlosse­n für Walter-Borjans und Esken stimmen, hätten Scholz und Geywitz kaum eine Chance.

Scholz kann jetzt nur versuchen, die vielen Genossen zu mobilisier­en, die im ersten Durchgang nicht abgestimmt haben. Die Wahlbeteil­igung lag bei mäßigen 53 Prozent. Unschlüssi­ge Genossen könnte der Bundesfina­nzminister auf seine Seite ziehen, indem er der Union einen Kompromiss bei der Grundrente abtrotzt. Unter welches inoffiziel­le Motto das linke Lager seine Kampagne stellen wird, ist auch klar: „Bloß nicht Scholz“.

Die Mitglieder müssen sich jetzt fragen, ob ihre SPD am Ende ihrer monatelang­en Selbstfind­ungsphase als die Partei dastehen soll, die eine halbwegs ordentlich funktionie­rende Regierung platzen lässt. Als Partei, die verhindert, dass ein Koalitions­vertrag weiter umgesetzt wird, der deutlich erkennbar die eigene Handschrif­t trägt. Und als Partei, die sich einseitig auf linke Bündnisse festlegt, für die nirgends Mehrheiten in Sicht sind.

Die vermeintli­che Personalen­tscheidung um die Parteispit­ze wird für die Sozialdemo­kraten zur Richtungse­ntscheidun­g – bei der es um nichts weniger als ihr Überleben geht.

Das Motto des linken Lagers ist: „Bloß nicht Scholz“

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Zeichnung: Heiko Sakurai Sehr berechtigt­e Frage.
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