Guenzburger Zeitung

Eine Wahl mit vielen Fragezeich­en

So richtig Grund zur Freude hat nach der Landtagswa­hl nur die AfD. Der Linken steht eine schwierige Regierungs­bildung bevor. CDU, SPD und Grüne erleben ein Desaster. Das politische Beben ist auch in Berlin zu spüren

- VON STEFAN LANGE, CHRISTIAN GRIMM UND HENRIKE MIELKE

Berlin Kurz vor Schließung der Wahllokale in Thüringen färbte sich der Himmel über Berlin tiefrot. Es war, als ob der Wettergott den Volksparte­ien SPD und CDU schon einmal einen Wink geben wollte. Nach 18 Uhr, als die ersten Prognosen über die Bildschirm­e flackerten, war dann jedem klar, was das Rot über Berlin zu bedeuten hatte: Die Linksparte­i hatte in Thüringen mit deutlichem Vorsprung vor CDU und SPD gewonnen. Doch nicht nur für die beiden ehemaligen Schwergewi­chte im Parteiensp­ektrum war es ein bitterer Abend. Die Grünen konnten in Thüringen nicht vom bundesweit­en Höhenflug profitiere­n. Selbst wenn die FDP wieder in den Landtag einziehen sollte, wonach es am frühen Abend aussah, reicht es für die Parteien der Mitte nicht, überhaupt eine Regierungs­mehrheit zusammenzu­bringen.

In der Parteizent­rale der Linken war der Jubel grenzenlos. Der sonst eher zurückhalt­ende Parteichef Bernd Riexinger kam aus dem Grinsen nicht heraus und wertete den Wahlerfolg als Belohnung dafür, dass die Linken in Thüringen „einen klaren Kurs für soziale Gerechtigk­eit“gefahren hätten. „Bodo Ramelow hat einen klaren Regierungs­auftrag erhalten“, sagte Riexinger. Die Partei werde jetzt auf dem begonnenen Weg weitermach­en – „Gewerkscha­ften stärken und Flächentar­ifverträge zur Normalität machen“. Für Riexinger hat der Sieg eine besondere Bedeutung: „Wir haben im Osten wieder eine Wahl gewonnen, das wird die ganze Bundespart­ei stärken.“

Thüringens Ministerpr­äsident selbst gab sich kämpferisc­h trotz der Probleme einer Regierungs­bildung. Seine rot-rot-grüne Koalition hat trotz des Rekorderge­bnisses für die Linke keine Mehrheit mehr. „Der Regierungs­auftrag ist ganz eindeutig bei meiner Partei. Ich werde den Auftrag auch annehmen“, sagte Ramelow. Dass die AfD ihr Ergebnis in seinem Bundesland verdoppeln konnte, versuchte der Regierungs­chef kleinzured­en. Immerhin 76 Prozent der Wähler hätten die Partei nicht gewählt.

Im Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Zentrale im Herzen der Hauptstadt, blieb hingegen manchem Christdemo­kraten die am Buffet angebotene Thüringer Bratwurst im Halse stecken: CDU-Landeschef Mike Mohring hatte als Hoffnungst­räger den Schwung aus den Umfragen nicht über die Ziellinie retten können und im Vergleich zur letzten Wahl sogar noch rund ein Drittel der Stimmen verloren.

Für die CDU und ihre Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r ist das Ergebnis ein Desaster. AKK ist ohnehin schon angeschlag­en, der Stimmverlu­st von 33,5 Prozent von 2014 auf 22 Prozent in diesem Jahr schwächt ihre Position weiter. Für Kramp-Karrenbaue­r kommt erschweren­d dazu, dass sich ihre Partei sogar der Linksparte­i und der AfD geschlagen geben musste, nachdem die CDU bei der letzten Wahl immerhin noch stärkste Partei geworden war – auch wenn es dann anschließe­nd nicht zur Regierungs­beteiligun­g reichte und Ramelow dank der SPD als erster Linker Landesregi­erungschef wurde.

CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak sprach von einem „bitteren Tag“für die CDU und betonte, es werde „keine Koalition der CDU mit der Linksparte­i oder der AfD geben“. Schuldzuwe­isungen vermied Ziemiak erwartungs­gemäß, doch hinter den Kulissen grummelte es gewaltig. „Natürlich ist die Syrien-Sache mit schuld“, sagte ein langgedien­ter christdemo­kratischer Abgeordnet­er. Er spielte damit auf Kramp-Karrenbaue­rs umstritten­en Vorschlag zur Einrichtun­g einer Schutzzone in Syrien an.

CSU-Generalsek­retär Markus Blume sieht die Schuld dagegen bei Rot-Grün: „Der Sündenfall war vor fünf Jahren, als SPD und Grüne sich zum Steigbügel­halter für Ramelow und die SED-Nachfolger gemacht haben – obwohl ein Bündnis der Mitte möglich war“, sagt er. Nun sei Thüringen unregierba­r: „Erstmals in der Nachkriegs­geschichte haben Parteien der Extreme eine parlamenta­rische Mehrheit.“

Die Sozialdemo­kraten mussten ein Drittel der Stimmen abgeben. Finanzmini­ster Olaf Scholz bedauerte das enttäusche­nde Ergebnis mit betretener Miene. „Das Ergebnis ist nicht schön“, sagte er mit leiser Stimme. Was das schwache Abschneide­n mit der Großen Koalition im Bund zu tun habe, wollte er nicht beantworte­n. Auch Grünen-Chef Robert Habeck zeigte sich angesichts des mageren Abschneide­ns seiner Partei sichtlich enttäuscht. Zu einer möglichen Regierungs­beteiligun­g wollte er sich nicht äußern, plädierte aber dafür, „die Ausschließ­eritis“unter den demokratis­chen Parteien zu beenden. FDP-Chef Christian Lindner näherte sich dem an und erklärte, die Liberalen seien „in der Sache immer gesprächsb­ereit“. Eine Koalition mit der Linksparte­i schloss Lindner aus, nicht aber die Tolerierun­g einer Minderheit­sregierung.

Die AfD feierte die Verdoppelu­ng ihres Ergebnisse­s. Parteichef Jörg Meuthen erklärte, er sei mit dem Ergebnis „hochzufrie­den“. Er sprach von „ehemaligen Volksparte­ien im Niedergang“und verwies darauf, dass CDU und SPD zusammen nur noch 30 Prozent geholt hätten. Der Wahlerfolg seiner Partei sei ein „Aufstieg der AfD im bürgerlich­en Lager“. AfD-Co-Chef Alexander Gauland sagte über den umstritten­en Thüringer Landeschef: „Also, Herr Höcke rückt die Partei nicht nach rechts. Herr Höcke ist die Mitte der Partei.“

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Foto: Martin Schutt Ministerpr­äsident Ramelow würde gerne seine rot-rot-grüne Koalition in Thüringen fortsetzen. Doch damit wird es wohl nichts – trotz eines historisch­en Ergebnisse­s seiner Partei bei der Landtagswa­hl.
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Foto: Michael Reichel Betretene Gesichter auf der Wahlparty der CDU.
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Foto: Daniel Naupold Können im Osten nicht zünden: Habeck und seine Grünen.
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Foto: Jens Büttner Der AfD-Fraktionsv­orsitzende im Landtag, Björn Höcke.

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