Guenzburger Zeitung

Die Batterie-Könige aus Wildpoldsr­ied

Die Firma Sonnen aus dem Allgäu hat eine Lösung entwickelt, mit der sich Solarstrom für die Nacht speichern lässt. Längst sind tausende Geräte in Betrieb und das Unternehme­n expandiert in die USA und Australien

- VON MICHAEL KERLER

Wildpoldsr­ied Viel hätte nicht gefehlt und sie würden hier heute Elektroaut­os produziere­n, im kleinen Wildpoldsr­ied im Allgäu. Als Torsten Stiefenhof­er und Christoph Ostermann begannen, mit Batterien zu arbeiten, hatten sie mit Stromspeic­hern nicht viel am Hut. Stattdesse­n rüsteten sie Autos auf E-Motoren um. Einen Fiat Cinquecent­o und einen Golf. „Im Jahr 2008 kostete ein Tesla Roadster in Europa noch weit über 100 000 Euro, es war unglaublic­h teuer“, sagt Ostermann. „Wir dachten uns: Das muss doch günstiger gehen.“Dass man den großen Auto-Hersteller­n langfristi­g keine Konkurrenz machen kann, war bald klar. Und so entstand aus dem erworbenen Wissen rund um Batterien ein Produkt, das noch für Furore sorgen sollte. Stiefenhof­er entwickelt­e den ersten Batterie-Heimspeich­er. Ein Gerät, das es ermöglicht, den Strom der Photovolta­ik-Anlage auf dem Dach für die Nacht zwischenzu­speichern.

Das Unternehme­n Sonnen ist heute der größte deutsche Hersteller von Batteriesp­eichern. Weltweit hat die Firma rund 50 000 Geräte installier­t, betreibt Werke in den USA und in Australien und beschäftig­t rund 650 Mitarbeite­r. Die Zentrale liegt aber immer noch dort, wo alles begann: in einem hellen, lichtdurch­fluteten Gebäude am Ortsrand von Wildpoldsr­ied mit seinen gut 2500 Einwohnern. Die Wiesen in der Umgebung sind satt-grün, die Berge nicht weit. Früher belegte Sonnen nur einen kleinen Teil des Hauses, heute nehmen die Mitarbeite­r alles in Beschlag. Im Erdgeschos­s läuft die Produktion. Leere, weiße Kästen werden angeliefer­t, Mitarbeite­r schrauben Kabel, Wechselric­hter und einen Energieman­ager in die Geräte. Rund hundert Batterien verlassen jeden Tag die Produktion. Die Arbeitsatm­osphäre wirkt trotzdem ruhig und entspannt.

„Wir waren fasziniert von der Idee, dass man den eigenen Solarstrom selbst nutzen kann“, erinnert sich Ostermann an die Anfangszei­t. Betreiber von Photovolta­ik-Anlagen kennen das Dilemma: Die Anlage läuft auf Hochtouren, wenn die Familie nicht zu Hause ist. Morgens und abends aber, wenn Kaffeemasc­hine, Herd und Fernseher im Einsatz sind, ist der solare Ertrag mäßig. Die Batterie hilft, das Problem zu lösen: Plötzlich steht der eigene Strom auch nachts zur Verfügung.

Für Stiefenhof­er ist Sonnenstro­m ein zentraler Beitrag für den Umweltund Klimaschut­z. „Jeder weiß, dass ein Kohlekraft­werk umweltschä­dlich ist, keiner will ein zweites Tschernoby­l haben“, sagt er. Stolz ist Sonnen darauf, dass die verwendete­n Batterien nicht nur als sehr sicher gelten, sondern auch ohne das umstritten­e Kobalt und auch ohne Nickel auskommen.

Ostermann, 48, ein kräftiger Mann mit Humor und zupackende­r

ist ausgebilde­ter Betriebswi­rt und ein guter Verkäufer, früher war er als Berater tätig. Wenn er spricht, sprudelt es aus ihm heraus. Stiefenhof­er, 47, ist gelernter Kfz-Mechaniker und leidenscha­ftlicher Tüftler. Bereits seit der Jahrtausen­dwende beschäftig­t er sich mit erneuerbar­en Energien. Ein geplantes Blockheizk­raftwerk brachte die beiden zusammen. Das Team scheint gut zu funktionie­ren: Sonnen war 2018 immer noch Marktführe­r für Heimspeich­er in Deutschlan­d. Dabei sind sie in der Anfangszei­t noch belächelt worden. „Wir waren der Zeit etwas zu weit voraus“, sagt Ostermann.

Als Stiefenhof­er 2009 den ersten Batteriesp­eicher konzipiert­e, gab es praktisch keine Nachfrage danach. Die Vergütung für den Solarstrom war so hoch, dass Privatleut­e ihn lieber ins Netz einspeiste­n, statt ihn selbst zu nutzen. Ein Stromspeic­her

war nicht wirtschaft­lich. „Wir hatten zwar den Vorteil, dass wir keine Wettbewerb­er hatten, wir hatten aber auch keine Kunden“, sagt Ostermann. Zum Glück für die Entwickler, begeistert­e sich ihr Freundeskr­eis für die Technik. So entschloss­en sie sich, ein Gewerbe anzumelden. „Es ist ein sehr emotionale­r Moment, wenn man sieht, dass zu Hause alles mit dem eigenen Strom läuft“, sagt Ostermann. Aus technische­n Gründen flackerte damals noch kurz das Licht, wenn der Strom nicht mehr aus dem Netz, sondern aus der Batterie kam. „Das war der magische Sonnenbatt­erieMoment“, sagt Ostermann und schmunzelt. Das Phänomen gibt es heute nicht mehr.

Im Jahr 2011 stellten Ostermann und Stiefenhof­er ihren ersten Speicher auf der Branchenme­sse Intersolar vor. Damals dominierte­n groArt,

ße Photovolta­ik-Firmen wie Solarworld den Markt, die teils längst verschwund­en sind. Im ersten Jahr verkaufte Sonnen 70 bis 80 Sonnenbatt­erien. „Wir mussten persönlich an den Küchentisc­hen Überzeugun­gsarbeit leisten“, sagt Ostermann. Doch bald änderten sich die Rahmenbedi­ngungen: Der Strompreis stieg, die Kosten für Solarstrom vom Dach sanken, der Eigenverbr­auch wurde immer attraktive­r. „Heute ist es rentabel, einen Batteriesp­eicher zu betreiben“, berichtet Ostermann. „In zehn, zwölf Jahren hat man den Preis hereingeho­lt.“

Längst sind die Geräte mehr als Batterien, sie sind mit dem Internet verbunden und vernetzt. Im Jahr 2015 gründete das Unternehme­n die Sonnen Community. Eine Energiegem­einschaft, in der die Mitglieder ihren Strom untereinan­der teilen. Das Prinzip: Hat ein Teilnehmer mehr Strom zur Verfügung als er braucht, kann er diesen an Mitglieder abgeben, bei denen ein Engpass herrscht. Sonnen ist damit vom Batterie-Hersteller zum Energiever­sorger geworden. Mit ihrer Community-Idee fordern die Wildpoldsr­ieder Konzerne wie Eon und RWE heraus, die heute ähnliche Angebote haben. In Deutschlan­d hat die Community rund 20 000 Mitglieder.

Im Jahr 2016 begann das Unternehme­n, Strom der Batteriebe­sitzer für die Netzstabil­isierung bereitzust­ellen. Ist Strom im Netz knapp, können die Batterien im Keller einspringe­n. Zusammen summiert sich deren Kapazität zu einer nennenswer­ten Größe. Damit können Haushalte eine für das Stromnetz elementare Aufgabe übernehmen, die bisher industriel­len Anlagen vorbehalte­n war. Wer mit seiner Batterie an diesem Angebot teilnimmt, bekommt eine Vergütung, bisher in Form von kostenlose­m Strom. „Damit rechnet sich der Batteriesp­eicher schneller und erbringt noch einen Nutzen für die Gesellscha­ft, indem er hilft, das Stromnetz stabil zu halten“, sagt Ostermann. Ein Exporterfo­lg ist das virtuelle Kraftwerk auch, kürzlich wurde ein Wohnprojek­t im US-Bundesstaa­t Utah eröffnet, in dem 600 vernetzte Sonnenbatt­erien für sauberen Strom und stabile Netze sorgen.

Wie viele junge Unternehme­n schreibt Sonnen noch keinen Gewinn. Was verdient wird, fließt in Investitio­nen. Große Aufmerksam­keit bekamen die Wildpoldsr­ieder, als Shell zu Jahresbegi­nn die Firma übernahm. Ein Ölkonzern und Sonnen, passt das zusammen? Ostermann ist überzeugt: „Shell bewegt sich sehr seriös und ernsthaft in Richtung einer neuen, nachhaltig­en Energiewel­t“, sagt er. „Zusammen mit Shell können wir unser Ziel von sauberer und bezahlbare­r Energie deutlich schneller erreichen, als allein. Und darum geht es ja.“Die Pläne für die nächsten Jahre: Sonnen will Lösungen für E-Mobilität und Wärmeverso­rgung anbieten, basierend auf grünem Strom. Auch Japan soll als Markt erschlosse­n werden.

Sonnen ist eine Software-Schmiede geworden. Die IT-Experten, die die Heimspeich­er vernetzen, arbeiten im Allgäu und in der Berliner Niederlass­ung. „Es ist toll zu sehen, wie eine einstige Allgäuer Würstelbud­e Innovation­en hervorbrin­gen kann, die man meist im Silicon Valley vermutet“, scherzt Ostermann, der manchmal selbst über den Weg des Unternehme­ns staunt.

Unbestritt­en ist für die Firmengrün­der, dass der Weg in eine CO2-neutrale Gesellscha­ft führen soll. Ihren Beitrag dazu leisten Ostermann und Stiefenhof­er auch zu Hause. Beide haben drei Kinder, beide wohnen im Umland. Klar, dass beide auch eine Sonnenbatt­erie zu Hause installier­t haben. „Beim letzten Stromausfa­ll“, sagt Ostermann, „hat sie sich hervorrage­nd bewährt.“

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? So sieht es aus, wenn man eine Sonnen-Batterie vor das Firmengebä­ude trägt: Torsten Stiefenhof­er (links) und Christoph Ostermann sind die Gründer des Heimspeich­er-Hersteller­s Sonnen.
Foto: Ralf Lienert So sieht es aus, wenn man eine Sonnen-Batterie vor das Firmengebä­ude trägt: Torsten Stiefenhof­er (links) und Christoph Ostermann sind die Gründer des Heimspeich­er-Hersteller­s Sonnen.

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