Die Batterie-Könige aus Wildpoldsried
Die Firma Sonnen aus dem Allgäu hat eine Lösung entwickelt, mit der sich Solarstrom für die Nacht speichern lässt. Längst sind tausende Geräte in Betrieb und das Unternehmen expandiert in die USA und Australien
Wildpoldsried Viel hätte nicht gefehlt und sie würden hier heute Elektroautos produzieren, im kleinen Wildpoldsried im Allgäu. Als Torsten Stiefenhofer und Christoph Ostermann begannen, mit Batterien zu arbeiten, hatten sie mit Stromspeichern nicht viel am Hut. Stattdessen rüsteten sie Autos auf E-Motoren um. Einen Fiat Cinquecento und einen Golf. „Im Jahr 2008 kostete ein Tesla Roadster in Europa noch weit über 100 000 Euro, es war unglaublich teuer“, sagt Ostermann. „Wir dachten uns: Das muss doch günstiger gehen.“Dass man den großen Auto-Herstellern langfristig keine Konkurrenz machen kann, war bald klar. Und so entstand aus dem erworbenen Wissen rund um Batterien ein Produkt, das noch für Furore sorgen sollte. Stiefenhofer entwickelte den ersten Batterie-Heimspeicher. Ein Gerät, das es ermöglicht, den Strom der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach für die Nacht zwischenzuspeichern.
Das Unternehmen Sonnen ist heute der größte deutsche Hersteller von Batteriespeichern. Weltweit hat die Firma rund 50 000 Geräte installiert, betreibt Werke in den USA und in Australien und beschäftigt rund 650 Mitarbeiter. Die Zentrale liegt aber immer noch dort, wo alles begann: in einem hellen, lichtdurchfluteten Gebäude am Ortsrand von Wildpoldsried mit seinen gut 2500 Einwohnern. Die Wiesen in der Umgebung sind satt-grün, die Berge nicht weit. Früher belegte Sonnen nur einen kleinen Teil des Hauses, heute nehmen die Mitarbeiter alles in Beschlag. Im Erdgeschoss läuft die Produktion. Leere, weiße Kästen werden angeliefert, Mitarbeiter schrauben Kabel, Wechselrichter und einen Energiemanager in die Geräte. Rund hundert Batterien verlassen jeden Tag die Produktion. Die Arbeitsatmosphäre wirkt trotzdem ruhig und entspannt.
„Wir waren fasziniert von der Idee, dass man den eigenen Solarstrom selbst nutzen kann“, erinnert sich Ostermann an die Anfangszeit. Betreiber von Photovoltaik-Anlagen kennen das Dilemma: Die Anlage läuft auf Hochtouren, wenn die Familie nicht zu Hause ist. Morgens und abends aber, wenn Kaffeemaschine, Herd und Fernseher im Einsatz sind, ist der solare Ertrag mäßig. Die Batterie hilft, das Problem zu lösen: Plötzlich steht der eigene Strom auch nachts zur Verfügung.
Für Stiefenhofer ist Sonnenstrom ein zentraler Beitrag für den Umweltund Klimaschutz. „Jeder weiß, dass ein Kohlekraftwerk umweltschädlich ist, keiner will ein zweites Tschernobyl haben“, sagt er. Stolz ist Sonnen darauf, dass die verwendeten Batterien nicht nur als sehr sicher gelten, sondern auch ohne das umstrittene Kobalt und auch ohne Nickel auskommen.
Ostermann, 48, ein kräftiger Mann mit Humor und zupackender
ist ausgebildeter Betriebswirt und ein guter Verkäufer, früher war er als Berater tätig. Wenn er spricht, sprudelt es aus ihm heraus. Stiefenhofer, 47, ist gelernter Kfz-Mechaniker und leidenschaftlicher Tüftler. Bereits seit der Jahrtausendwende beschäftigt er sich mit erneuerbaren Energien. Ein geplantes Blockheizkraftwerk brachte die beiden zusammen. Das Team scheint gut zu funktionieren: Sonnen war 2018 immer noch Marktführer für Heimspeicher in Deutschland. Dabei sind sie in der Anfangszeit noch belächelt worden. „Wir waren der Zeit etwas zu weit voraus“, sagt Ostermann.
Als Stiefenhofer 2009 den ersten Batteriespeicher konzipierte, gab es praktisch keine Nachfrage danach. Die Vergütung für den Solarstrom war so hoch, dass Privatleute ihn lieber ins Netz einspeisten, statt ihn selbst zu nutzen. Ein Stromspeicher
war nicht wirtschaftlich. „Wir hatten zwar den Vorteil, dass wir keine Wettbewerber hatten, wir hatten aber auch keine Kunden“, sagt Ostermann. Zum Glück für die Entwickler, begeisterte sich ihr Freundeskreis für die Technik. So entschlossen sie sich, ein Gewerbe anzumelden. „Es ist ein sehr emotionaler Moment, wenn man sieht, dass zu Hause alles mit dem eigenen Strom läuft“, sagt Ostermann. Aus technischen Gründen flackerte damals noch kurz das Licht, wenn der Strom nicht mehr aus dem Netz, sondern aus der Batterie kam. „Das war der magische SonnenbatterieMoment“, sagt Ostermann und schmunzelt. Das Phänomen gibt es heute nicht mehr.
Im Jahr 2011 stellten Ostermann und Stiefenhofer ihren ersten Speicher auf der Branchenmesse Intersolar vor. Damals dominierten groArt,
ße Photovoltaik-Firmen wie Solarworld den Markt, die teils längst verschwunden sind. Im ersten Jahr verkaufte Sonnen 70 bis 80 Sonnenbatterien. „Wir mussten persönlich an den Küchentischen Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Ostermann. Doch bald änderten sich die Rahmenbedingungen: Der Strompreis stieg, die Kosten für Solarstrom vom Dach sanken, der Eigenverbrauch wurde immer attraktiver. „Heute ist es rentabel, einen Batteriespeicher zu betreiben“, berichtet Ostermann. „In zehn, zwölf Jahren hat man den Preis hereingeholt.“
Längst sind die Geräte mehr als Batterien, sie sind mit dem Internet verbunden und vernetzt. Im Jahr 2015 gründete das Unternehmen die Sonnen Community. Eine Energiegemeinschaft, in der die Mitglieder ihren Strom untereinander teilen. Das Prinzip: Hat ein Teilnehmer mehr Strom zur Verfügung als er braucht, kann er diesen an Mitglieder abgeben, bei denen ein Engpass herrscht. Sonnen ist damit vom Batterie-Hersteller zum Energieversorger geworden. Mit ihrer Community-Idee fordern die Wildpoldsrieder Konzerne wie Eon und RWE heraus, die heute ähnliche Angebote haben. In Deutschland hat die Community rund 20 000 Mitglieder.
Im Jahr 2016 begann das Unternehmen, Strom der Batteriebesitzer für die Netzstabilisierung bereitzustellen. Ist Strom im Netz knapp, können die Batterien im Keller einspringen. Zusammen summiert sich deren Kapazität zu einer nennenswerten Größe. Damit können Haushalte eine für das Stromnetz elementare Aufgabe übernehmen, die bisher industriellen Anlagen vorbehalten war. Wer mit seiner Batterie an diesem Angebot teilnimmt, bekommt eine Vergütung, bisher in Form von kostenlosem Strom. „Damit rechnet sich der Batteriespeicher schneller und erbringt noch einen Nutzen für die Gesellschaft, indem er hilft, das Stromnetz stabil zu halten“, sagt Ostermann. Ein Exporterfolg ist das virtuelle Kraftwerk auch, kürzlich wurde ein Wohnprojekt im US-Bundesstaat Utah eröffnet, in dem 600 vernetzte Sonnenbatterien für sauberen Strom und stabile Netze sorgen.
Wie viele junge Unternehmen schreibt Sonnen noch keinen Gewinn. Was verdient wird, fließt in Investitionen. Große Aufmerksamkeit bekamen die Wildpoldsrieder, als Shell zu Jahresbeginn die Firma übernahm. Ein Ölkonzern und Sonnen, passt das zusammen? Ostermann ist überzeugt: „Shell bewegt sich sehr seriös und ernsthaft in Richtung einer neuen, nachhaltigen Energiewelt“, sagt er. „Zusammen mit Shell können wir unser Ziel von sauberer und bezahlbarer Energie deutlich schneller erreichen, als allein. Und darum geht es ja.“Die Pläne für die nächsten Jahre: Sonnen will Lösungen für E-Mobilität und Wärmeversorgung anbieten, basierend auf grünem Strom. Auch Japan soll als Markt erschlossen werden.
Sonnen ist eine Software-Schmiede geworden. Die IT-Experten, die die Heimspeicher vernetzen, arbeiten im Allgäu und in der Berliner Niederlassung. „Es ist toll zu sehen, wie eine einstige Allgäuer Würstelbude Innovationen hervorbringen kann, die man meist im Silicon Valley vermutet“, scherzt Ostermann, der manchmal selbst über den Weg des Unternehmens staunt.
Unbestritten ist für die Firmengründer, dass der Weg in eine CO2-neutrale Gesellschaft führen soll. Ihren Beitrag dazu leisten Ostermann und Stiefenhofer auch zu Hause. Beide haben drei Kinder, beide wohnen im Umland. Klar, dass beide auch eine Sonnenbatterie zu Hause installiert haben. „Beim letzten Stromausfall“, sagt Ostermann, „hat sie sich hervorragend bewährt.“