Guenzburger Zeitung

Wohin mit Obdachlose­n auf dem Land?

Verliert ein Mensch seine Wohnung, muss die Kommune helfen. Im Fall einer Frau aus dem Landkreis Augsburg tut sie das mit einem Container. Seit Monaten lebt sie dort mit ihrem siebenjähr­igen Sohn. Das ist kein Einzelfall

- VON PHILIPP KINNE

Emersacker Es ist ein Schicksal, das viele Menschen erschütter­t: Franziska Schuster* und ihr siebenjähr­iger Sohn leben seit Monaten in einem Container. Sie finden einfach keine Wohnung. In der Notlösung auf 36 Quadratmet­ern kann man sich kaum bewegen. Rundherum hat die Frau Zelte aufgestell­t. Spielsache­n des Jungen lagern da. Ein paar Möbelstück­e aus dem alten Leben.

Die Zelte und der Container passen nicht ins Ortsbild. Neben ihnen reihen sich schmucke Einfamilie­nhäuser. Spätestens im April muss Franziska Schuster hier weg. Solange duldet der Grundstück­sbesitzer den Container noch. Früher oder später werden aus den Zelten und dem Container wohl drei neue Einfamilie­nhäuser. Es ist kein Platz mehr im Neubaugebi­et in Emersacker (Landkreis Augsburg). Ein Bild, das eines auf tragische Weise klar macht: Obdachlosi­gkeit ist nicht nur ein Problem der Städte.

Weshalb Franziska Schuster ihre Wohnung verloren hat, erzählt sie nicht im Detail. Es ging ihr einmal gut. Zwei Mal war sie verheirate­t,

Größere Städte beklagen sich über die kleinen Kommunen

elf Kinder habe sie zur Welt gebracht. Doch das Jugendamt habe ihr nur ihren jüngsten Sohn gelassen. Warum, sagt sie nicht. Irgendwann habe sie sich die Miete in ihrer alten Wohnung – nicht weit vom Container – nicht mehr leisten können. Nachdem sie sich am Bein verletzt habe, könne sie nicht mehr arbeiten. Nachbarn beschreibe­n sie als schwierige Person. Es gab Mietschuld­en, Streit mit dem Vermieter. Immer wieder. Dann die Räumungskl­age. Vor sieben Monaten wusste die Mutter nicht mehr wohin. Beinahe standen sie und ihr jüngster Sohn auf der Straße.

Die Gemeinde kümmerte sich um die kleine Familie. Wird ein Mensch obdachlos, ist es Aufgabe der Kommune, für eine Unterkunft zu sorgen. Doch was heißt das konkret? „Es gibt kein bayerische­s Obdachlose­ngesetz“, sagt Wilfried Schober,

Sprecher des Bayerische­n Gemeindeta­gs. Grundsätzl­ich sei jede Kommune verpflicht­et, für die Sicherheit der Menschen zu sorgen, die sich im Gemeindege­biet aufhalten. Das umfasst auch das Unterbring­en von Obdachlose­n. In der Regel versuchen Gemeinden, die Betroffene­n in der aktuellen Wohnung zu halten. Doch das klappt nicht immer. Was dann passiert, hängt von der Gemeinde ab. „Manchmal mietet die Gemeinde vorübergeh­end ein Zimmer im Hotel oder einer Pension“, sagt Schober. Andere Kommunen halten Wohnungen für Obdachlose vor. Das Unterbring­en in Containern – wie in Emersacker – sei keine Ausnahme.

Laut einer aktuellen Studie des Bundesmini­steriums für Arbeit und Soziales gibt es besonders auf dem Land zu wenig Angebote für Obdachlose. Während es in den großen Städten differenzi­erte Hilfesyste­me gibt, fehlen sie in ländlichen Gebieten häufig. In kleinen Kommunen gibt es oft keine Unterkünft­e für

Obdachlose. So wie in Emersacker. Auch hier ist der Wohnungsma­rkt angespannt, es gibt kaum freien Wohnraum. Deshalb entschied sich die Gemeinde dafür, den Container für Franziska Schuster und ihren Sohn anzumieten. Mittlerwei­le übernimmt das Jobcenter einen Teil der Miete.

Doch es gibt auch ländliche Kommunen, die vorsorgen. In Fischach (Landkreis Augsburg) hält die Gemeinde zwei Wohnungen für Obdachlose bereit. Vor einigen Monaten standen in der 4600-EinwohnerG­emeinde gleich vier Menschen – unabhängig voneinande­r – ohne Wohnung da. Bürgermeis­ter Peter Ziegelmeie­r hat das Gefühl, dass immer mehr Menschen auf dem Land von Obdachlosi­gkeit bedroht sind. Erst vor einigen Wochen hat die Gemeinde die zweite Wohnung hergericht­et. Ziegelmeie­r: „Das muss man sich auch leisten können.“Auf Container muss man in Fischach nicht ausweichen.

Die haben in der Vergangenh­eit auch Gerichte beschäftig­t. Insgesamt drei Wohncontai­ner stellte der Markt Mering (Landkreis AichachFri­edberg) vor Jahren bereit, um Obdachlose unterzubri­ngen. Doch das Gericht sah die Unterkunft als nicht geeignet an, um darin Kinder einzuquart­ieren. Ein alleinerzi­ehender Vater hatte geklagt. Ebenso wie jüngst ein Obdachlose­r in Augsburg. Er wollte in einem Wohnheim in Augsburg leben, durfte aber laut Bescheid der Stadt nicht. Hintergrun­d: Der Mann kam frisch aus dem Gefängnis. Vor seiner Haftstrafe hielt er sich offenbar im Unterallgä­u auf. Die Frage war also: Welche Gemeinde ist zuständig? Letztlich bekam der Mann vor Gericht recht.

Entscheide­nd dafür, wer sich um Obdachlose kümmern muss, ist nicht, wo sie gemeldet sind, erklärt Wilfried Schober: „Es geht darum, wo sich der Betroffene aufhält.“Das hat Folgen. Im Fall des Augsburger Obdachlose­n ließ die Stadt durchkling­en, dass kleinere Kommunen diese Regel ausnutzen. Sie wälzten das Problem der Obdachlosi­gkeit auf die Großstädte ab. „Ein Dilemma“, meint Schober. Er berichtet von einem Fall aus dem Münchener Umland. Eine kleine Kommune habe Obdachlose­n vor Jahren ein Bahnticket in die Stadt in die Hand gedrückt. Fall erledigt. „Das ist schäbig und nicht in Ordnung“, sagt Schober. Hinter vorgehalte­ner Hand erzählen Bürgermeis­ter: Schafft eine Kommune Platz für Obdachlose, hat sie plötzlich auch welche.

Für Franziska Schuster jedenfalls ist die Situation im Container nach sieben Monaten nicht mehr auszuhalte­n. Noch vor dem kalten Winter will sie raus aus der bedrückend­en Enge. Für ihren Sohn. Hoffnungen machen ihr die neuen Angebote, die nach dem Erscheinen ihrer Geschichte in unserer Zeitung auf dem Tisch liegen. Glauben will sie das aber erst, wenn der Mietvertra­g unterschri­eben ist.

*Der Name wurde von der Redaktion geändert, um die Betroffene­n zu schützen.

 ?? Foto: Marcus Merk ?? Das ist seit Monaten das Zuhause von Franziska Schuster (Name geändert) und ihrem siebenjähr­igen Sohn. Der kleine Ort Emersacker im Landkreis Augsburg hat den Container als Notwohnung angemietet. Kleinere Kommunen tun sich im Umgang mit Obdachlose­n meist schwer.
Foto: Marcus Merk Das ist seit Monaten das Zuhause von Franziska Schuster (Name geändert) und ihrem siebenjähr­igen Sohn. Der kleine Ort Emersacker im Landkreis Augsburg hat den Container als Notwohnung angemietet. Kleinere Kommunen tun sich im Umgang mit Obdachlose­n meist schwer.

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