Guenzburger Zeitung

„Ich lebe jetzt seit fast zehn Jahren mit dem Tumor“

2010 wurde bei dem bekannten CDU-Politiker Wolfgang Bosbach ein bösartiges Prostataka­rzinom diagnostiz­iert. Welchen Rat er betroffene­n Männern gibt

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Herr Bosbach, bei Ihnen wurde im März 2010 ein Prostatatu­mor entdeckt. Sind Sie regelmäßig zur Vorsorgeun­tersuchung gegangen? Wolfgang Bosbach: Nein, kein einziges Mal. Was ich natürlich heute sehr bedauere. Ich habe mir immer zwei Ausreden parat gelegt: „Mir geht es gut, also warum sollte ich zur Vorsorge gehen?“Oder: „Klar ist das wichtig, aber im Moment habe ich dafür überhaupt keine Zeit.“Ich trage aufgrund einer chronische­n Herzschwäc­he seit 2004 einen Schrittmac­her plus Defibrilla­tor. Der musste 2010 routinemäß­ig ausgetausc­ht werden. Deshalb wurde eine Blutunters­uchung vorgenomme­n, bei der ein erhöhter PSA-Wert von 14 festgestel­lt wurde. Das muss nicht zwingend, das kann aber ein Hinweis auf eine Tumorerkra­nkung sein. Eine nachfolgen­de Biopsie hat dann ergeben, dass akuter Handlungsb­edarf besteht. Da mildere Methoden nicht mehr in Betracht kamen, war die Frage damals: radikale Lösung oder Strahlenth­erapie?

Keine gute Nachricht. Wie fühlten Sie sich damit?

Bosbach: Na ja, bester Stimmung war ich nicht! Ich hatte ja schon seit 1994 meine Herzproble­me, jetzt kam noch die Diagnose Krebs dazu. Natürlich fragt man sich: „Wie kann das sein, womit hast Du das verdient?“Aber das Grübeln bringt einen auch nicht weiter. Bei mir in der Familie hatte zuvor niemand Prostatakr­ebs. Ich bin begeistert­er Nichtrauch­er,

habe kaum Übergewich­t, treibe regelmäßig Sport. Warum ich erkrankte, ist für mich nach wie vor ein Rätsel. Aber: Nie an Dingen verzweifel­n, die man nicht ändern kann.

Sie haben sich dann rasch für eine Kompletten­tfernung der Prostata entschiede­n. Wie kam es dazu? Es gibt ja mehrere Therapiefo­rmen.

Bosbach: Ja, im Mai 2010. Ich hätte auch eine Strahlenth­erapie machen können, aber ich wollte die Ursache des Übels total entfernt wissen. Das war eine Kopfsache. Glückliche­rweise konnte nervenerha­ltend operiert werden, sodass von vielen befürchtet­e Folgen nicht eingetrete­n sind. (Anmerkung der Redaktion: Wenn nicht nervenerha­ltend operiert werden kann, sind häufig Inkontinen­z und Impotenz Folgen der Operation).

Doch die Sache war damit nicht erledigt?

Bosbach: Leider nein. Zwar habe ich die Operation als nicht besonders belastend erfunden, aber leider stieg der PSA-Wert nach einiger Zeit wieder stetig an. Irgendwo musste also noch ein Herd sein. Deshalb kam dann noch die Strahlenth­erapie oben drauf, aber auch danach hatte ich nur kurze Zeit südlich des Äquators Ruhe. Wieder stieg der Wert. Irgendwo musste noch etwas sein. Da eine MRT-Aufnahme bei mir wegen des Schrittmac­hers nicht möglich ist, wurde ein CT gemacht und dawirklich: bei ein Tumor in der Lunge entdeckt, der kontinuier­lich wuchs. Deshalb wurde mir vor einigen Jahren auch noch ein Teil der Lunge entfernt. Das war wirklich kein Vergnügen, ich hatte noch vier Wochen nach der Operation erhebliche Beschwerde­n. Erfreulich war nur, dass es ein Prostatatu­mor war, also eine Absiedelun­g der Grunderkra­nkung in die Lunge. Ein Lungenkreb­s zusätzlich hätte mir gerade noch gefehlt.

Sind Sie seitdem gesund?

Bosbach: Gesund nicht, aber ich komme mit den Einschränk­ungen und Beschwerde­n klar. Für mich ist entscheide­nd, dass ich mein Leben, so wie ich es mir wünsche, leben kann. In Beruf und Freizeit. Vielen anderen geht es viel schlechter als mir. Deshalb kann und will ich nicht klagen.

Wie fühlen Sie sich denn insgesamt? Sie machen ja eine Hormonther­apie, die darauf basiert, dass man den Spiegel des männlichen Hormons Testostero­n senkt, weil Testostero­n das Wachstum eines Prostatatu­mors anregt.

Bosbach: Na ja, ich habe zwar keine Schmerzen. Aber durch den Hormonentz­ug bin ich chronisch müde. Wenn ich heute zu Abendveran­staltungen eingeladen werde, sage ich immer: Um neun, spätestens halb zehn Uhr muss Schluss sein. Und ich nehme mir für danach auch ein Hotel. Früher bin ich oft noch nach Hause gefahren.

Hat Ihnen Ihr Glaube geholfen? Bosbach: Ich habe in meinem Leben so viel Glück gehabt. Nun ging es mir dreimal schlecht. Ich habe drei wunderbare Kinder. Ich kann politisch immer noch aktiv sein. Also Ich habe keinen Grund, mich beim lieben Gott zu beklagen.

Welchen Rat können Sie Betroffene­n nach Ihren Erfahrunge­n geben? Bosbach: „Nie aufgeben!“– diesen Rat möchte ich geben. Ich lebe jetzt seit fast zehn Jahren mit dem Krebs. Dank vieler Therapiemö­glichkeite­n bin ich noch da. Mein zweiter Rat: „Nicht so viel googeln!“Lieber eine zweite Meinung einholen. Als belastend empfand ich es auch, dass ich früher Tag für Tag „todsichere“Tipps bekommen habe, was gegen den Krebs hilft. Plötzlich stand unangekünd­igt ein Wünschelru­tengänger bei mir im Garten und redete etwas von einer Wasserader. Ein anderer wollte deshalb mein Bett umstellen. Das ist ja alles sehr nett gemeint, aber in einer solchen Situation nicht unbedingt hilfreich.

Interview: Markus Bär

Wolfgang Bosbach, 67, ist einer der bekanntest­en und laut Umfragen beliebtste­n deutschen Politiker – unter anderem durch zahlreiche TV-Auftritte, in denen er deutlich Stellung bezog, teils auch gegen seine eigene Partei. Der Rheinlände­r saß von 1994 bis 2017 für die CDU im Bundestag. Der Einzelhand­elskaufman­n war in den 1970ern Supermarkt­leiter, machte auf dem zweiten Bildungswe­g das Abitur und wurde Rechtsanwa­lt. Er ist verheirate­t und hat drei Töchter. (mab)

 ?? Foto: Felix Hörhager, dpa ?? Mal nicht mit Sakko und Krawatte: Wolfgang Bosbach 2017 auf dem Oktoberfes­t, begleitet von seinen Töchtern Caroline (links) und Victoria.
Foto: Felix Hörhager, dpa Mal nicht mit Sakko und Krawatte: Wolfgang Bosbach 2017 auf dem Oktoberfes­t, begleitet von seinen Töchtern Caroline (links) und Victoria.

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