Guenzburger Zeitung

Jung, cool, gefährlich

Populisten und Rechtsradi­kale verbreiten in sozialen Medien ihre politische­n Botschafte­n. Sie tun das derart geschickt, dass Jugendlich­e nicht bemerken, wie man sie beeinfluss­t. Experten warnen vor „rechten“Influencer­n

- VON STEFANIE GRONOSTAY

Ein junger Mann mit Kurzhaarsc­hnitt, weißem Hemd und schwarzem Sakko: Niklas Lotz aus Cottbus wirkt auf den ersten Blick wie der Inbegriff des perfekten Schwiegers­ohnes. Selbstsich­er lächelt der 20-jährige Youtuber – bekannt als „Neverforge­tniki“– in die Kamera. In der rechten Hand hält er ein Sektglas. So feiert er Ende September seinen 100000. Abonnenten. „Gratulatio­n“, schreibt ein Nutzer mit dem Pseudonym „Deutscher Schwur“unter das Video. „Ich freue mich, dass mehr Menschen aufwachen“, kommentier­t eine Frau unter dem Namen „Die Patriotin“.

Als „Medienproj­ekt“bezeichnet Lotz seine Youtube-Videos. Als „politische­r Influencer“, sieht er sich. „Ich bin einfach nur ein junger Mann, der seine Meinung abgibt“, sagt er in seinem Video „Die Wahrheit über Neverforge­tniki“.

Seit nicht einmal einem Jahr betreibt Lotz den Youtube-Kanal „Neverforge­tniki“und verbreitet dort seine politische­n Ansichten. Dass Politik in sozialen Netzwerken ein wichtiges Thema auch für jüngere Menschen ist, wurde spätestens mit dem millionenf­ach geklickten Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo deutlich. Auch Rechtspopu­listen, Nationalis­ten bis hin zu Rechtsextr­emisten wissen das für sich zu nutzen. Im Netz machen sie Stimmung und werben um junge Anhänger. Und das zielgruppe­ngerecht. Wie ihr Publikum sind sie oft jung, cool – und haben rein optisch nichts mit jenen glatzköpfi­gen Neonazis in Springerst­iefeln und Bomberjack­e gemein, die einst die öffentlich­e Wahrnehmun­g der (extremen) rechten Szene bestimmten. Gerade das macht sie aus Sicht von Medienexpe­rten brandgefäh­rlich. Wie der Youtube-Algorithmu­s, der schnell zu ihren Inhalten führt.

Da ist zum Beispiel Martin Sellner, Sprecher der Identitäre­n Bewegung Österreich. In Deutschlan­d traten die Identitäre­n nach Angaben des Bundesamts für Verfassung­sschutz 2012 zunächst via Facebook in Erscheinun­g. Den Sprung in die reale Welt vollzogen sie 2016, als sie mit Anti-Flüchtling­s-Transparen­ten das Brandenbur­ger Tor in Berlin besetzten. Im Juli 2019 stufte der Verfassung­sschutz die Identitäre Bewegung Deutschlan­d (IB) als „gesichert rechtsextr­emistische Bestrebung“ein. Die IB ging dagegen gerichtlic­h vor. Mit Erfolg. Ende September entschied das Kölner Verwaltung­sgericht, dass die Bewegung in Deutschlan­d nicht als „gesichert rechtsextr­emistisch“bezeichnet werden darf. Die Identitäre­n müssen wieder als „Verdachtsf­all“eingestuft werden.

Sellners Youtube-Kanal hat 113000 Abonnenten. Als Youtube seinen Kanal – und auch den von Niklas Lotz – kürzlich wegen Hassrede löschte, bezeichnet­e Sellner Lotz in einem Video als „genialen jungen Nachwuchs-Blogger“. Lotz ging mit einem Anwalt gegen die Löschung vor; nach 48 Stunden wurde sein Kanal wieder freigegebe­n. „Ich werde geächtet, weil ich meine Meinung äußere“, sagte er bereits im April 2019 in einem Interview mit Heiko Schrang, der als rechter Esoteriker gilt. „Aber ich lasse mich nicht einschücht­ern.“

Lotz wird auch von dem Bauunterne­hmer Klaus-Peter Weber aus dem mittelfrän­kischen Ort Schwarzenb­ruck unterstütz­t. Weber ist ebenfalls Youtuber. In einem seiner Videos sagt er: „Es ist immens, was Niki leistet und auf bürgerlich­e Art publiziert.“In einem anderen meint Weber in Bezug auf die Flüchtling­sdebatte: „Ich halte diese Toleranz für krankhaft.“Sowie: „Und wenn mich dann jemand als Rassist bezeichnet, damit kann ich gut leben.“

Im Juni distanzier­te sich der Gemeindera­t mit einem öffentlich­en Beschluss von Weber. SPD-Bürgermeis­ter Bernd Ernstberge­r sprach von einem Schaden, den er von seiner Gemeinde abwenden wolle. Daraufhin erhielt der Bürgermeis­ter Hasskommen­tare, schließlic­h entschuldi­gte er sich bei Weber und distanzier­te sich von dem Beschluss.

Niklas Lotz will „ausgeglich­enen Journalism­us“betreiben, sagte er in einem Video vom 29. September. Er sei offen für ein Gespräch mit unsegegen rer Redaktion, erklärt er auf Anfrage. Jedoch nur für ein Honorar in Höhe von 250 Euro die Stunde.

Lotz – dieser junge Mann, der mehr als 100 000 Menschen in sozialen Medien erreicht – kritisiert die Flüchtling­spolitik, die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg und die „bunte Gesellscha­ft“. „Eine unkontroll­ierte Migrations­politik führt zu einer Veränderun­g des gesellscha­ftlichen Lebens, die Deutschenf­eindlichke­it an Schulen nimmt zu“, sagt Lotz Anfang Mai in einem Video. Der Youtuber berichtet von seiner eigenen Schulzeit, in der er als Deutscher in der Minderheit gewesen sei. An seiner Schule habe „strukturel­ler Rassismus gegen Deutsche vorgeherrs­cht“. In deutschen Medien werde darüber geschwiege­n, dass der Rassismus gegen Deutsche wachse. In dem Video vom 29. September bestreitet er jegliche Parteizuge­hörigkeit. „Ich stehe für meine eigenen Werte“, sagt er. Rechts sei er nicht, die Gesellscha­ft sei bloß nach links gerückt.

„Der Youtuber Neverforge­tniki bedient klassische Feindbilde­r der rechten Szene“, sagt dagegen Liane Bednarz. Die Juristin und Publizisti­n beschäftig­t sich seit Jahren mit der Szene der sogenannte­n Neuen Rechten. Zwar bekenne sich Lotz nicht offen zur rechten Szene. „Auffällig ist jedoch, dass es viele Videos links gibt, aber keine kritischen gegen rechts“, sagt sie. Auch daran könnten Nutzer die politische Ausrichtun­g des Bloggers schnell erkennen. Dass Lotz so viele Abonnenten hat, überrascht sie. „Andere Youtuber geben sich sehr viel Mühe. Die Videos von Neverforge­tniki wirken hingegen sehr billig gemacht“, erklärt sie. Die Kulisse seiner Videos ist in der Tat spärlich. Lotz sitzt meist in einfachen Klamotten auf einem Stuhl und spricht in die Kamera. Im Hintergrun­d: eine Schreibtis­chlampe und eine Weltkarte, die Falten wirft. „Dennoch ist Lotz in seiner Vorgehensw­eise sehr geschickt – das muss man ihm lassen“, meint Bednarz.

Warum geht Lotz so unterschwe­llig vor? „Sich offen als rechts zu outen, wäre das Dümmste, was er machen könnte“, sagt Bednarz. So wie jetzt könne er seinen Zuschauern auf harmlose Art und Weise seine Ideen einimpfen. „Angesichts seiner Reichweite ist das durchaus beunruhige­nd.“

Mitte Oktober veröffentl­ichte Lotz mit Heiko Schrang sein erstes Buch. „Mein Weckruf für Deutschlan­d – Neverforge­tniki“schaffte es binnen Tagen auf Platz eins der Amazon-Bestseller im Bereich Politikwis­senschaft. „Es ist eine Sache, Erfolg mit Videos zu haben. Es ist aber eine andere Sache, eine Fanbase zu haben, die bereit ist, für ein Buch zu bezahlen“, sagt Bednarz.

Knapp 260000 Aufrufe hat eines der meistgekli­ckten Videos von Lotz, „Die Zerstörung von Fridays for Future“. „Fridays for Future hat sich offiziell mit Linksextre­misten solidarisi­ert“, sagt der Youtuber in dem Video. Die Bewegung breche Gesetze, indem sie die Schulpflic­ht verletze und mit Linksextre­misten vom Bündnis „Ende Gelände“kooperiere. Unter den Zuschauern befindet sich die 18-jährige Alexandra aus der Nähe von Dresden. Durch Bekannte sei sie auf „Neverforge­tniki“gestoßen und finde gut, was er mache, sagt die Schülerin unserer Redaktion. „Er spricht das aus, was viele Menschen beschäftig­t.“Ob sie denn rechte Inhalte im Netz erkenne? „Vielleicht, hin und wieder“, meint sie verhalten – um danach Lotz vor Kritik in Schutz zu nehmen. „Aber er beleidigt keine Menschen. Er führt lediglich ihre Fehler an.“Alexandra kann sich mit dem Youtuber identifizi­eren – der auch von den angebliche­n Ächtungen in seinem Alltag berichtet, weil er eine andere Meinung habe. „In meiner Klasse fühle ich mich, wenn es darum geht, manchmal echt allein. Aber ich habe eine Meinung, die keiner ändern kann!“, hat Alexandra

Youtube-Kanäle wegen Hassrede gelöscht

Das Netz als Ort für den „Informatio­nskrieg“

unter ein Foto von Lotz auf Instagram geschriebe­n. „Da kannst du sehr stolz auf Dich sein“, antwortete er ihr. Alexandra, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen möchte, ist kein Einzelfall.

Maik Fielitz vom Institut für Friedensfo­rschung und Sicherheit­spolitik an der Universitä­t Hamburg hat mit Holger Marcks in einer Studie unter anderem untersucht, welche Rolle die sozialen Medien bei der Verbreitun­g von rechtem Gedankengu­t spielen. „Die Neue Rechte hat das Internet als zentrales Terrain für ihren sogenannte­n Informatio­nskrieg auserkoren“, sagt Fielitz. Und auch Rechtsextr­eme hätten verstanden, wie ihre Themen eine starke Verbreitun­g fänden – indem sie mit Emotionen wie Angst arbeiteten. Dies lässt sich bei Niklas Lotz gut beobachten. Immer wieder spricht er von den Gefahren des Multikultu­ralismus und der Indoktrina­tion der Gesellscha­ft. „Die Vorstellun­g, permanent angegriffe­n zu werden, bietet dem Gedanken, sich mit allen Mitteln aus Notwehr zu wehren, Vorlauf“, sagt Fielitz. Für die Nutzer werde es zunehmend schwierig, durch mehrere Filter von Ironie und Sarkasmus die wahren Beweggründ­e hinter Videos und Bildern im Internet zu erkennen. Und Kinder und Jugendlich­e täten sich damit ohnehin schwer.

Mitte November rangiert Lotz’ Buch auf Platz 163 der meistverka­uften Bücher auf Amazon. Nur wenig Kritik ist in den Bewertunge­n zu finden. „Rechtspopu­lismus pur. Dass junge Menschen so gegen Vielfalt hetzen, ist mir unverständ­lich“, lautet eine der wenigen Gegenstimm­en.

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Symbolfoto: Nicolas Armer, dpa Populisten werben im Netz erfolgreic­h um neue Anhänger.

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