Guenzburger Zeitung

„Goldfinger“gehen in die Offensive

Ein Angeklagte­r hält im Prozess einen mehrstündi­gen Vortrag und erklärt sich für unschuldig. Und die Anfänge des Verfahrens bergen eine dicke Überraschu­ng

- VON HOLGER SABINSKY-WOLF

Augsburg Für einen Angeklagte­n, der einen Steuerscha­den von mehr als einer Milliarde Euro mitverursa­cht haben soll, tritt der Angeklagte, sagen wir, sehr selbstbewu­sst auf. Im Nadelstrei­fen-Anzug mit Einstecktu­ch sagt er Sätze, die einem Oberlehrer Ehre machen würden: „Es geht darum, dem Verfahren etwas Struktur zu geben“und „Wir wollen ja heute alle mit einem gewissen Erkenntnis­gewinn hier rausgehen“.

Dem Anwalt und Steuerbera­ter Martin H., 48, scheint die Wirkung seines Auftritts völlig egal zu sein. Er will nur eines: in die Welt hinausrufe­n, dass er kein Verbrecher ist. Beweisen, dass „Goldfinger“, sein Steuerspar­modell für Reiche, legal ist.

Tag 2 im Augsburger „Goldfinger“-Prozess. Zwei Münchner, die jeweils Rechtsanwa­lt und Steuerbera­ter sind, sitzen auf der Anklageban­k. Sie sollen rund 100 Millionäre­n ein Steuerverm­eidungsmod­ell angedient haben, das die Staatsanwa­ltschaft für illegal hält. Insgesamt sind bereits 20 Personen angeklagt, weitere Prozesse dürften folgen.

Wo andere Angeklagte nur ein paar Sätze stammeln können, packt

Martin H. den Beamer aus. Der Steuerexpe­rte unterfütte­rt seine Aussage mit einer Präsentati­on, die er an die Wand projiziert. Schon beim Blick auf die Gliederung wird klar, dass da einer aufs Ganze geht. Die Kapitel tragen Überschrif­ten wie „Missverstä­ndnis Nr. 1“. Sechs Stunden werde seine Einlassung mindestens dauern, sagt H. Es wird eine Art juristisch­es Seminar.

Doch zunächst will H. allen mal klarmachen, mit wem sie es überhaupt zu tun haben. Er trägt die Lebensläuf­e der beiden Angeklagte­n vor und lässt dabei weder die (guten) Noten in den juristisch­en Staatsexam­en aus, noch die renommiert­en Kanzleien, in denen beide arbeiteten oder die Ausbildung bei der Bundeswehr. Sein Kollege Diethard G. war bei den Fallschirm­jägern, er selbst beim Wachbatail­lon, das zum Beispiel die Ehrenforma­tionen bei Staatsempf­ängen abhält. „Da lernt man vor allem eines: Selbstbehe­rrschung“, sagt der Rechtsanwa­lt, „und die kann man leicht verlieren in diesem Verfahren.“Der Staatsanwa­ltschaft wirft er vor, sie liefere nur eine „große Räuberpist­ole“.

Diese „Räuberpist­ole“besagt jedoch, dass die angeklagte­n Juristen ab 2008 ein auf dem sogenannte­n

„Goldfinger“-Modell beruhendes Steuerspar­konzept entwickelt­en, mit dem sie selbst und viele Mandanten massiv Steuern hinterzoge­n haben. Das Modell, benannt nach dem dritten James-Bond-Film, sieht vor, dass Millionäre mit einer eigens im Ausland gegründete­n Goldhandel­sfirma hohe steuerlich­e Verluste erzeugen und dadurch ihre Steuerlast im Idealfall auf Null drücken.

Doch was für den Laien zunächst wie ein klarer Fall von Betrug aussieht, ist nicht ganz so trivial. Erst 2013 hat der Gesetzgebe­r dieses Schlupfloc­h geschlosse­n, und 2017 hat der Bundesfina­nzhof in München bestimmte „Goldfinger“-Modelle für rechtens erklärt. Unter anderem mit diesem Urteil argumentie­rt der Angeklagte H. Wo andere vielleicht auf Steuergere­chtigkeit pochen würden, verweist H. auf die „Magna Charta“des Steuerrech­ts, nämlich Paragraf 38 der Abgabenord­nung, aus dem er ableitet, dass jeder Steuerpfli­chtige innerhalb des gesetzlich­en Rahmens die Freiheit habe, keine oder möglichst wenige Steuern zu zahlen. Und er als Steuerbera­ter habe die Aufgabe, den Mandanten dabei zu helfen. Für ihr „Goldfinger“-Modell hätten sich die Anwälte von ausländisc­hen Top-Kanzleien beraten lassen. Fazit: Die ganze Anklage „Unsinn“, oder „Gehirndurc­hfall“, wie es die Angeklagte­n gegenüber dem Handelsbla­tt ausdrückte­n. Wie die 10. Strafkamme­r das bewertet, wird sich wohl frühestens in einem guten Jahr zeigen. 79 Verhandlun­gstage sind für „Goldfinger“angesetzt.

Doch schon jetzt gibt es eine dicke Überraschu­ng: Nach Recherchen unserer Redaktion sind die Ermittler der Masche nur durch Zufall auf die Spur gekommen. Offenbar entdeckten die Ermittler während einer Durchsuchu­ng 2012 bei einem großen Finanzdien­stleister aus dem Raum Augsburg Dokumente, in denen sich ein Experte mit dem „Goldfinger“-Modell beschäftig­te. Sie verfolgten diese Fährte jahrelang. Bis sie überzeugt waren, einem großen Steuerbetr­ug auf die Schliche gekommen zu sein. Pikantes Detail: Der Experte, der sich damals mit „Goldfinger“beschäftig­t hatte, und der jetzige Vorsitzend­e Richter im „Goldfinger“-Prozess, kennen sich ganz gut. Ihre Söhne spielen zusammen Fußball in der Jugend des FC Augsburg.

Sehr selbstbewu­sster Auftritt im Nadelstrei­fen-Anzug

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