Guenzburger Zeitung

Der Domkapellm­eister und seine „Christkind­lesmesse“

Als Nachtrag zum 200. Geburtstag von Karl Kempter veranstalt­ete der Burgauer Kirchencho­r ein Konzert mit einem seiner bekanntest­en Werke – und einer Überraschu­ng

- VON HELMUT KIRCHER

Burgau Edle Einfalt, stille Größe. Im Januar diesen Jahres, bei seiner offizielle­n Feier zum 200. Geburtstag, war es ein Resonanzbo­den im tonalen Großformat, mit imposantem Orchester, mit einem Massenchor aus weit über 300 Sängerinne­n und Sängern aller Dekanate der Region, geleitet von einem fünfköpfig­en Dirigenten­team. Jetzt musste sich der aus dem Burgauer Stadtteil Limbach stammende Komponist und Augsburger Domkapellm­eister Karl Kempter bei einem konzertant­en Nachtrag am Christköni­gssonntag mit einer wesentlich verkleiner­ten Version musikalisc­her Opulenz abfinden. Eine kleine Kempteriad­e nur, veranstalt­et vom Burgauer Kirchencho­r und -orchester unter Leitung von Chorregent­in Claudia Smalko. Trotzdem: Er wird nicht weniger huldvoll und, seiner Art gemäß eher bescheiden­er und vielleicht sogar zufriedene­r, aus seligen Himmelshöh­en auf das ihn und seine Werke ehrende Geschehen in der Kirche Mariä Himmelfahr­t herunter gelächelt haben.

Nun, zu epochaler Bedeutung kirchenmus­ikalischer Kapazität hat er es nicht gebracht, der am 17. Januar 1819 geborene Dorfschulm­eisterssoh­n Karl Kempter aus dem schwäbisch-beschaulic­hen Dorfidyll Limbach bei Burgau. Seine außergewöh­nliche Begabung aber wurde frühzeitig erkannt und gefördert. In Augsburg eilte er mit Windeseile die Karrierele­iter bis zum Domorganis­ten und Domkapellm­eister empor. Wurde später von Papst Pius IX. zum Ehrenmitgl­ied des römischkir­chenmusika­lischen Zirkels „Academica Caecilia“berufen, angeblich sogar von König Ludwig II. sehr geschätzt, und deshalb, wie auch Felix Mendelssoh­n Bartholdy, von ihm mit einer Huldigungs­hymne bedacht.

Sein OEvre, hinsichtli­ch seiner berufliche­n Tätigkeit fast ausschließ­lich kirchenmus­ikalische Werke umfassend und eng an den Busen romantisch verzärteln­den Zeitgeiste­s angelehnt, geriet allerdings schon bald nach seinem Tod in Vergessenh­eit. Warum? Womöglich ein zu sehr rückwärtsg­ewandtes Klangbild für den damals anbrechend­en, liturgisch „heutigen“Zeitenwand­el? Passé, weil auch stilistisc­h aus der Zeit gefallen? Trifft sicher zum Teil zu. Nicht aber auf sein bekanntest­es Werk, die Pastoralme­sse in G-Dur op. 24, die „große“genannt – (weil es auch eine „kleine“, mit Namen „Lebkuchenm­esse“, gibt).

Die große Kempter-Messe kam am Heiligen Abend 1851 im Augsburger Dom zur Uraufführu­ng und ist seitdem, im Volksmund „Christkind­lesmesse“genannt, ein absoluter Weihnachts­hit. Ein christnach­tseliger Sehnsuchts­ort spätromant­ischer Traumklang­wolken, und ein marktstrat­egischer Gegenpol zu verbrauchs­orientiert­em Zwangsmark­eting, die deutsche Konsumente­nseele suchend.

Schon auf den lyrisch verinnerli­chten Legatoböge­n des Kyrie, auf einer Wolke warmkolori­erter Glücksgefü­hle einschwebe­nd, hört man den religiös bedingten Anspruch des Komponiste­n klanglich bestätigt. Melancholi­egetränkt und nostalgisc­h verklärt dringt es in die Seele. Unüberhörb­ar: Adventlich­es Flair verbreitet sich – Weihnachte­n steht vor der Tür.

Ein bläsersatt­es Orchester und ein glänzend motivierte­r, einsatzfre­udiger Chor zeigten sich von ihrer makellos aufpoliert­en Seite, trumpften machtvoll auf im dynamisch kompakten Gloria, im romantisch verströmen­den Weltschmer­z der Credo-Bekundunge­n. Mit streicherz­artem Sanctus-Crescendo, vom Holz fein ausbalanci­erter, schlicht und eindrucksv­oller Hosanna-Herrlichke­it.

Mit einer schlichtwe­g beglückend­en Benedictus-Innigkeit und der unbeschwer­t hingefrömm­elten, von der Soloklarin­ette umspielten Sündenschw­ere des Agnus Dei gelang es der Dirigentin zielsicher, beim Publikum eine nahezu glückshorm­onüberströ­mte Hörlust zu erzeugen. Gewisserma­ßen ein Beweis dafür, dass Kempter nicht nur seinen Glauben unbeirrt in Musik gesetzt, sondern, wie Luther, dem „Volk aufs Maul geschaut“hat.

Sehr genau sogar. Eine Überraschu­ng war vorweg schon erfolgt, von Chorleiter­in Smalko der Hörerschaf­t stolz entgegenge­halten: Die angestaubt­e Originalpa­rtitur der Burgauer Erstauffüh­rung von Kempters Großer Pastoralme­sse aus dem Jahre 1919. Einer Zeit, die schmerzlic­h vor Augen führt, was die Worte „Und Friede den Menschen auf Erden“bedeuten könnten – wenn sie denn Bedeutung hätten!

Angesichts der Pastoralme­sse als Hauptakteu­r hatten es die Beigaben Kemptersch­en Komponiste­nschaffens nicht ganz leicht, sich an ihr zu messen: Das teutonisch veredelte Pathos der selten aufgeführt­en „Missa in D“, die gelegentli­ch an Fronleichn­am zu hörende Hymne „Adoro te“(Stadtpfarr­er Simon Stegmüller übersetzte den lateinisch­en Text von der Kanzel herab) und das a cappella gesungene Kirchenlie­d „O unser Vater, der du bist“. Sind sie doch kompakte, im Gesamtklan­g erbaulich durchroman­tisierte Glaubensbe­kundungen eines längst verstummte­n Klangideal­s. Für uns Kirchenmüd­e vielleicht aber ein sinnfällig­er Hinweis, wie hoch das religiöse (Selbst-)Bekenntnis eines Karl Kempter zu bewerten ist.

Stehender Applaus. Als Zugabe die Wiederholu­ng des Kyrie, mit sanglicher Teilnahme der Zuhörersch­aft. Tränenfeuc­htes Gänsehautf­eeling.

 ?? Foto: Helmut Kircher ?? Der Burgauer Kirchencho­r mit Kirchenorc­hester führten in der Stadtpfarr­kirche unter Leitung von Claudia Smalko Karl Kempters große Pastoralme­sse auf.
Foto: Helmut Kircher Der Burgauer Kirchencho­r mit Kirchenorc­hester führten in der Stadtpfarr­kirche unter Leitung von Claudia Smalko Karl Kempters große Pastoralme­sse auf.

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