Wer steckt hinter dem Goldfinger-Trick?
Martin H. war als Anwalt vom Erfolg verwöhnt. Jetzt ist er Angeklagter. Wer ist der Mann, der einen Steuerschaden von gut einer Milliarde Euro verursacht haben soll?
„Goldfinger, he’s the man, the man with the Midas touch.“
(Shirley Bassey im James-Bond-Titelsong „Goldfinger“)
Martin H., 48, machte nicht alles zu Gold, was er anfasste. Aber vieles. Er ist einer dieser Anwälte, die eher selten vor Gericht auftreten und stattdessen große Unternehmen beraten. Bei Verträgen, bei Fusionen. Er hat mitgewirkt an der Entflechtung der sogenannten Deutschland AG und an der Fusion der Mischkonzerne Veba und Viag zum riesigen E.on-Konzern. Er ist Rechtsanwalt und Steuerberater. Er kennt sich aus mit allen Tricks und Fallen. Dachte er zumindest. Bis er am 17. Januar 2018 verhaftet wurde. Der Vorwurf: Steuerhinterziehung in besonders schwerem Fall. Mit einem „Goldfinger“-Modell sollen er und andere den Fiskus um mehr als eine Milliarde Euro geprellt haben. Wer ist dieser Mann, der fast 20 Jahre erfolgreich als Anwalt gearbeitet hat und nun mit einem Ex-Kollegen vor dem Landgericht Augsburg vehement um seine Existenz kämpft?
H. ist 1971 in Goslar (Niedersachsen) geboren, verheiratet und hat zwei Kinder. Nach dem Abitur 1990 absolvierte er den Wehrdienst beim Wachbataillon der Bundeswehr, das damals noch in Siegburg
Die U-Haft verließ der Anwalt im Rollstuhl
bei Bonn stationiert war. Dort lernte er Disziplin und Selbstbeherrschung. Das Wachbataillon bestreitet die Ehrenformationen für Staatsgäste. Da hieß es schon mal, zwei Stunden mit einem dreieinhalb Kilo schweren Gewehr stillstehen. Ab 1991 studierte H. Jura in Würzburg, Liverpool und München, machte sehr gute Staatsexamen und stieg 1999 bei der bekannten amerikanischen Wirtschaftskanzlei Shearman & Sterling ein, die auf Fusionen und Firmenübernahmen spezialisiert ist. Zusätzlich wurde H. 2003 als Steuerberater zugelassen. In diese Zeit fielen auch die großen Projekte, in denen es teils um viele Milliarden ging. 2007 wechselte er mit seinem nun angeklagten Kollegen Diethard G. aus Stuttgart zu AFR nach München, einer kleineren, sogenannten „Boutique“-Kanzlei, die sich ebenfalls vor allem mit Fusionen und Firmenübernahmen beschäftigte und in der Folge eine der renommiertesten Kanzleien in Süddeutschland wurde.
„Golden words he will pour in your ear...“
Ein Jahr bevor H. in die Münchner Kanzlei wechselte, hatte der
Bundestag ein „Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen“erlassen. Es wurde zwar geprüft, ob der Goldhandel im Ausland zum Steuern sparen auch verboten wird, doch der Gesetzgeber sah davon ab – das war quasi die Geburtsstunde des „Goldfinger“-Modells. Denn in den Jahren danach erdachten clevere Finanz- und Steuerberater Konzepte, mit denen Reiche ihre Steuern massiv reduzieren konnten. Es waren tatsächlich „goldene Worte, die den Steuersparern in die Ohren gehaucht wurden“. Martin H. und Diethard G. wollten da mitmischen und setzten in der eigens gegründeten Steuerberatungsgesellschaft Perseus selbst solche Modelle auf. Und da beide ein Talent für Effekte haben, nannten sie die britischen Goldhandelsfirmen zum Beispiel „Midas“, nach dem sagenumwobenen König, der alles zu Gold machte, was er berührte. 2013 schloss der Gesetzgeber das Einkommensteuerschlupfloch. 2018 löste sich die Kanzlei AFR auf.
„Such a cold finger, beckons you to enter his web of sin, but don’t go in.“
Insgesamt wurden mehr als 100 Millionäre akquiriert, die das „Netz der Sünde“betraten und auf diese Weise hunderte Millionen Steuern vermieden. Aber ist dieses „Netz“wirklich rechtswidrig? Darum dreht sich nun der Mega-Prozess am Landgericht Augsburg. Die beiden Angeklagten wehren sich massiv gegen diesen Vorwurf. Vor allem Martin H. hat einen bemerkenswerten Auftritt. Der schlanke, grauhaarige Steuerexperte will die 10. Strafkammer in einer mehrstündigen Präsentation davon überzeugen, dass die Steuergestaltung legal war. Der Bundesfinanzhof habe das „Goldfinger“-Modell in einer bestimmten Praxis für rechtens erklärt. Das Modell, das er und sein Kompagnon G. ausgestaltet haben, entspreche diesen Kriterien. Sie hätten kein eigenes Konzept erdacht, es habe insgesamt rund 500 „Goldfinger“-Modelle in Deutschland gegeben.
„Wenn es einen Initiator für Goldfinger gibt, dann war es der Gesetzgeber selbst“, sagt H.
Es handle sich bei dem in England betriebenen Goldhandel nicht um Scheingeschäfte, wie die Anklage behauptet. Um zu belegen, dass es echte Büros gab, zeigt er Fotos. Er kritisiert scharf, dass die Staatsanwaltschaft die Geschäftsführer der Goldhandelsfirmen erst lange nach Erhebung der Anklage vernommen habe und sehr lange nach dem Haftbefehl. Martin H. wird emotional, als er erzählt, dass er während der fünf Monate Untersuchungshaft im Gefängnis Augsburg-Gablingen seine Kinder nur drei Mal gesehen habe. „Die U-Haft habe ich im Übrigen im Rollstuhl verlassen – weil ein schwerer Bandscheibenvorfall nicht erkannt wurde.“Doch was H. anscheinend am meisten trifft, ist, dass die Staatsanwaltschaft ihm offenbar nicht zutraut, dass er, der alle Tricks und Fallen kennt, das „Goldfinger“-Modell nach den gesetzlichen Regeln gestaltet hat.