Jetzt kann der „Neustart für Europa“beginnen
Nach dem klaren Votum für die Kommission von Ursula von der Leyen sind die Erwartungen hoch. Die Präsidentin will Führungsstärke beweisen. Doch muss sich erst zeigen, wie gut ihr Team funktioniert. Die Deutsche setzt auch einen sehr persönlichen Schwerpunkt ihrer Arbeit
Straßburg Die Wahl mit großer Mehrheit für Ursula von der Leyen und ihr Team im Europäischen Parlament war erst wenige Minuten alt, da hagelte es schon Appelle, Aufrufe, Mahnungen und Wunschzettel. Der Bundesverband der Deutschen Industrie forderte „zügig“eine EUIndustriestrategie. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks appellierte an das Führungsteam der EU, die bürokratischen Auflagen abzubauen. Die Maschinenbauer wollen künftig mit den USA und China „auf Augenhöhe verhandeln“– und so weiter.
Nach monatelangem Gezerre um Europas neue Spitzencrew war die Erleichterung mit Händen zu greifen: 461 der 707 anwesenden Abgeordneten aus 28 Staaten hatten den 15 Männern und zwölf Frauen ihr Vertrauen ausgesprochen. 157 Parlamentarier vor allem vom rechten und linken Flügel votierten mit „Nein“, 89 enthielten sich, darunter die europäischen Grünen.
„Ich bin glücklich über diese überwältigende Mehrheit“, kommentierte von der Leyen das Ergebnis. „Ein Vertrauensvorschuss, den die neue Kommission erst noch rechtfertigen muss“, reagierte der schwäbische CSU-Abgeordnete Markus Ferber nüchtern. Zufrieden notierte dagegen Jens Geier, Vorsitzender der deutschen SPD-Abgeordneten, dass von der Leyen mehr Stimmen als der scheidende Vorgänger Jean-Claude Juncker vor fünf Jahren für seine Mannschaft bekam – und das, obwohl mehr Volksvertreter im Raum waren.
Manfred Weber, der Chef der christdemokratischen Mehrheitsfraktion EVP, in der auch die deutschen CSU und CDU-Vertreter sitzen, sprach von einem „starken Ergebnis“. Das klingt nicht gerade spektakulär, aber man durfte in gediesem Moment nicht vergessen, dass eigentlich Weber den Job an der Spitze der mächtigsten EUBehörde bekommen sollte. Er war der Spitzenkandidat der Christdemokraten bei der Europawahl. Vor allem die Staats- und Regierungschefs verhinderten ihn als Kommissionschef. Trotzdem war er es, der an diesem Mittwoch für von der Leyen warb: als erste Frau an der Spitze der Kommission, und 52 Jahre nach Walter Hallstein wieder jemand aus Deutschland.
Und die ehemalige Verteidigungsministerin hatte eine Botschaft, bevor gewählt wurde: „Lasst uns an die Arbeit gehen“. Es soll ein „Neustart für Europa“werden, versprach die frühere BundesverteidiDie „Welt braucht unsere Führung mehr denn je“.
Rund um die Vorstellung ihrer Kommissarinnen und Kommissare entfaltete die neue Chefin, die nun am Sonntag ihr Amt übernehmen kann, eine vieles versprechende und teilweise sehr emotionale Rede, in der kein Politikfeld fehlte. Deutlicher denn je plädierte sie für einen Green Deal, der „unsere neue Wachstumsstrategie“sein soll. Für den Übergang zu einer klimaneutralen Gemeinschaft bis 2050 versprach sie Maßnahmen, die sozial ausgewonau gen sein müssten, weil er „sonst nicht gelingt“.
Von der Leyen wurde auch persönlich, als sie vom Krebstod ihrer damals elf-jährigen Schwester erzählte: „Ich erinnere mich an die Hilflosigkeit meiner Eltern.“Nun mache sich die Gemeinschaft auf, dem Krebs den Kampf anzusagen – ein weiterer Schwerpunkt dieser neuen Kommission.
Nur, was kann die neue Führung leisten? Von der Leyen tritt mit einem Team an, das sie nur teilweise selbst zusammensetzen konnte. Denn von Anfang an war klar, dass sie der dänischen Liberalen Margrethe Vestager und dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans, die beide als Vertreter ihgungsministerin. rer Parteienfamilien in die Europawahl gegangen waren, herausgehobene Positionen schaffen sollte. Zum Ausgleich musste noch ein Christdemokrat her: der Lette Valdis Dombrowskis. Dieses Triumvirat arbeitet künftig als exekutive Vizepräsidenten – über den eigentlichen Vizes, denen wiederum die Fachkommissare unterstellt sind. Diese Struktur war mehr ein Wunsch der Staatsund Regierungschefs als eine Idee von der Leyens.
Beobachter fürchten, dass die Präsidentin nun im Kreis dieser europäischen Schwerwichte alle Hände voll zu tun haben wird, um zu verhindern, dass sie politische Reizthemen besetzen und gleichsam für ihre Parteienfamilie okkupieren.
Das Triumvirat hinter ihr war von vornherein gesetzt