Guenzburger Zeitung

„Für das Regime im Iran ist der Zug abgefahren“

Die landesweit­en Proteste gegen Korruption und Misswirtsc­haft werden mit brutaler Polizeigew­alt bekämpft. Der Journalist Farhad Payar verfügt über viele Kontakte in das Krisenland. Warum er die Machthaber in der Sackgasse sieht

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Proteste gegen soziale Perspektiv­losigkeit, Korruption, Willkür und Zensur gibt es im Iran seit 2017 im jährlichen Rhythmus. Auch heute erreichen uns aus der Islamische­n Republik verwackelt­e Aufnahmen von brennenden Tankstelle­n, rauchenden Barrikaden und flüchtende­n Menschen. Gleichen sich die Bilder? Gleichen sich die Ursachen für die Unruhen?

Nur auf den ersten Blick. „Die Regierung hat bemerkt, dass die Schwelle in der Bevölkerun­g, Gewalt anzuwenden, stark gesunken ist. Darauf reagieren die Sicherheit­skräfte mit extremer Brutalität“, erklärt der leitende Redakteur des Onlinemaga­zins IranJourna­l, Farhad Payar, im Gespräch mit unserer Redaktion. Eine Dynamik, die völlig außer Kontrolle geraten könnte. „Innerhalb und außerhalb des Irans haben viele politisch aktive Opposition­elle davor gewarnt, dass ein Teil der Bevölkerun­g kurz davorsteht, sich zu bewaffnen“, sagt Payar. Der 62-jährige freie Journalist, Filmemache­r und Theaterman­n kam 1980 aus dem Iran nach Deutschlan­d. Er verfügt über ein dichtes Netz von Kontakten in seine alte Heimat.

Agenturen meldeten Mitte November, dass der iranische Präsident Hassan Ruhani sein Land mit einer Benzinprei­serhöhung in eine Staatskris­e gestürzt habe. Das ist richtig, aber auch falsch. Denn das Land steckt in einer Dauerkrise, aus der es nach Payars Ansicht für die Machthaber keinen Ausweg mehr gibt: „Für das Regime ist der Zug abgefahren. Das System ist nicht mehr reformierb­ar. Wenn jetzt Zugeständn­isse an die Demonstran­ten gemacht werden, würde das sofort eine Welle von Wünschen und Forderunge­n auslösen.“Das dürfte ein wichtiger Grund für die starre Haltung der herrschend­en Mullahs um Ayatollah Ali Chamenei, dem Staatsober­haupt und religiösen Führer, sein.

Obwohl das mobile Internet abgeschalt­et wurde, sickerten – wenn auch nur schwer verifizier­bare – Berichte über die Lage durch. Und die sind dramatisch: Laut Amnesty Internatio­nal sollen Sicherheit­skräfte 143 Menschen getötet haben. Es gibt Augenzeuge­n, die von weit mehr Opfern ausgehen. Staatliche Behörden sprechen von lediglich neun Toten. Über 1000 Frauen und Männer sollen verhaftet worden sein. „Einreisen für Journalist­en, die über die Unruhen berichten wollen, werden nicht genehmigt. Und Journalist­en, die bereits im Land sind, durften ihre Büros nicht ohne Erlaubnis verlassen“, erklärt Payar den spärlichen Fluss an Informatio­nen aus dem Krisenland. Die Angst des Regimes ist groß. Schließlic­h haben die Islamisten nicht vergessen, dass auch ihre Revolution gegen Schah Reza Pahlavi Ende der 70er Jahre mit Protesten auf der Straße begann. Droht ihnen das gleiche Schicksal wie einst dem Schah?

Payar geht davon aus, dass nur noch rund zehn

Prozent der Bevölkerun­g hinter den Mullahs stehen. „Da sind die Leute, die finanziell von dem Regime profitiere­n. Es gibt einflussre­iche Familien, an denen keiner vorbeikomm­t. Für mich handelt es sich längst um ein mafiöses System.“Zudem gebe es Iraner, die die Regierung aus religiöser Überzeugun­g verteidige­n.

Noch stützt das Regime seine Macht auf die bestens ausgerüste­ten Revolution­sgarden, die über einen gefürchtet­en Geheimdien­st verfügen. Doch in den unteren Rängen der Truppe „brodelt“es. „Ich habe mit einigen von ihnen Kontakt. Oft wird der Sold nicht rechtzeiti­g gezahlt“, sagt Payar. Es ist die Verzweiflu­ng über die wachsende soziale Kluft, die die Iraner zu den lebensgefä­hrlichen Protesten treibt. Hinzu kommt die Wut darüber, dass die Rechte der Frauen mit Füßen getreten werden, Kulturscha­ffende als Feinde gelten, Opposition­elle in Gefängniss­en verschwind­en.

„Vor 40 Jahren war die Hoffnung groß. Ayatollah Chomeini versprach Anfang 1979 in seiner ersten Rede nach der Rückkehr aus dem französisc­hen Exil, dass Wasser, Heizöl und Benzin kostenlos sein werden“, erinnert Payar. Doch nichts davon wurde wahr – im Gegenteil, der Lebensstan­dard brach in den letzten Jahren weiter ein. Auch weil die neuen Herrscher in den 80er Jahren vom weltweiten Export ihrer islamistis­chen Revolution träumten. Mit Geld und Militärs mischt sich Teheran bis heute in die Konflikte in Syrien, im Irak, dem Libanon oder Jemen ein, unterstütz­t Terrorgrup­pen, während die eigene Bevölkerun­g darbt. Und die Sanktionen des Westens? „Natürlich haben sie starke negative Auswirkung­en. Aber die meisten Iraner wissen, dass die Islamisten sie ausgelöst haben“, sagt Payar.

Technisch und militärisc­h traut der Experte seinem Geburtslan­d weit weniger zu als mancher Sicherheit­sexperte in den USA und Europa: „Der Iran ist derzeit nicht annähernd in der Lage, eine Atombombe zu bauen. Das ist ein Bluff. Mitte der 90er Jahre war das Regime dazu entschloss­en – damals war auch noch Geld da.“Ähnlich ist sein Befund mit Blick auf Israel, das sich von Teheran bedroht fühlt. Der Iran habe weder die Waffen noch die Finanzkraf­t, um einen Krieg gegen Israel zu führen.

Eine klare Position gegenüber dem Mullah-Regime fordert Farhad Payar von der EU. „Die Menschenre­chtsverlet­zungen im Iran sind so gravierend, dass man versuchen sollte, die Geschäfte, die man dort macht, mit Auflagen zu verknüpfen – wenn das nicht geht, muss man vorerst darauf verzichten.“

Wie kann im Iran ein Neuanfang gelingen, ohne dass das Land in einer Agonie versinkt, wie sie Syrien durchleide­t? Farhad Payar setzt darauf, dass es auch in Teheran Köpfe gibt, die erkennen, dass das Regime in der Sackgasse steckt: „Meine Hoffnung ist, dass es einen Putsch innerhalb des Systems gibt. Das würde die Gefahr von gewaltsame­n Konflikten mindern.“

 ?? Foto: dpa ?? Demonstran­ten protestier­en in der zentralira­nischen Stadt Isfahan gegen das islamistis­che Regime. Die Unruhen erfassten Mitte November weite Teile des Landes. Die Polizei reagierte vielerorts mit gezielten Schüssen.
Foto: dpa Demonstran­ten protestier­en in der zentralira­nischen Stadt Isfahan gegen das islamistis­che Regime. Die Unruhen erfassten Mitte November weite Teile des Landes. Die Polizei reagierte vielerorts mit gezielten Schüssen.
 ??  ?? Farhad Payar
Farhad Payar

Newspapers in German

Newspapers from Germany