Guenzburger Zeitung

Die große Erschütter­ung

VW, Daimler, Audi und am Mittwoch noch BMW: Die großen Konzerne verkünden Sparpläne und kürzen. Darunter leiden auch die Zuliefer-Betriebe. Ein Blick auf den von der Autoindust­rie so abhängigen Süden der Republik

- VON ANDREA WENZEL, PETER REINHART, HENRY STERN UND STEFAN KÜPPER

Augsburg/Ingolstadt In Ingolstadt war man am Tag danach erleichter­t. Irgendwie. Das Gefühl: Hätte schlimmer kommen können. Was vielleicht eine Zahl aus den Verhandlun­gen zeigt. So soll Audi zunächst einen Abbau in Höhe von 14000 Stellen geplant haben. Diese Zahl habe auch auf der inzwischen berühmt-berüchtigt­en „Giftliste“gestanden, wie aus einem unserer Redaktion vorliegend­en Schreiben des Betriebsra­tes an die Mitarbeite­r hervorgeht. Ein Audi-Sprecher wollte auf Anfrage Verhandlun­gsinhalte nicht kommentier­en.

Hätte schlimmer kommen können. Sagen das angesichts der Sparpläne von Audi, BMW oder Daimler auch die Autozulief­erer? Die es in Ingolstadt, Augsburg oder Stuttgart, in ganz Bayern und BadenWürtt­emberg, im von der Automobili­ndustrie so abhängigen Süden der Republik, gibt? Eher nicht. Auch sie leiden unter dem Strukturwa­ndel der Branche. E-Mobilität, Digitalisi­erung, die Herausford­erungen sind groß, und die Lage ist bei manchem jetzt schon schlimm genug.

Zum Beispiel in Augsburg: Hier steckt Wafa in Schwierigk­eiten. Die Firma hat kürzlich beim Amtsgerich­t Augsburg einen Antrag auf ein gerichtlic­hes Sanierungs­verfahren in Eigenverwa­ltung gestellt. Warum? Wegen „der aktuellen Lage in der Automobili­ndustrie“. Das auf Spritzguss, Galvanik und Lackierung spezialisi­erte Unternehme­n entwickelt und produziert im Auftrag internatio­naler Autoherste­ller Groß- und Kleinserie­n von verchromte­n Kunststoff­teilen auch in Sonderfarb­en. Rückläufig­e Verkaufsza­hlen bei den Autoherste­llern würden sich nun bemerkbar machen – eben auch bei den Zulieferer­n.

Zum Beispiel in Stuttgart: Die Umwälzunge­n in der Automobili­ndustrie

treffen die Zulieferer in Baden-Württember­g besonders hart. Um die Herausford­erung für die Branche zu beschreibe­n, macht Bosch-Chef Volkmar Denner eine Modellrech­nung auf: „Wenn wir bei einem Dieseleins­pritzsyste­m zehn Mitarbeite­r beschäftig­en, sind es bei einem Benzinsyst­em drei und bei einem Elektrofah­rzeug nur noch einer.“Die Folgen sind schon in der Personalpl­anung zu sehen. In den vergangene­n zwei Jahren hat der Zulieferko­nzern im Autobereic­h schon 2500 Stellen abgebaut, für die nächsten Jahre ist die Streichung von weiteren 3300 vorgesehen. Dabei trifft es nicht nur die Fertigung, rund die Hälfte des Personalab­baus ist in den Entwicklun­gsbereiche­n am Stammsitz Stuttgart-Feuerbach und in Schwieberd­ingen vorgesehen. „Der Veränderun­gsprozess fühlt sich eher wie ein großer Hammer an, mit dem versucht wird, Bewährtes kurz und klein zu schlagen“, klagt der Betriebsra­tsvorsitze­nde Frank Sell. Die IG Metall hat vor ein paar Tagen zu einer Protestkun­dgebung auf dem Stuttgarte­r Schlosspla­tz gerufen. Tausende Demonstran­ten äußerten ihre Wut und ihr Unverständ­nis gegen die Sparpläne der Auto- und Zulieferbr­anche. „Anstatt kluge Zukunftspe­rspektiven zu entwickeln, wird der Rotstift angesetzt“, kritisiert Bezirkslei­ter Roman Zitzelsber­ger. Der Gewerkscha­fter ist nach einer Umfrage bei 150 Betriebsrä­ten überzeugt, dass manche Firma die aktuelle Lage ausnutzt, um durch Personalab­bau die Rendite zu optimieren. Der Vorwurf empört die Metallarbe­itgeber.

Zurück nach Bayern, zum Beispiel Schweinfur­t: Hier demonstrie­rten am Mittwoch tausende Mitarbeite­r von Autozulief­erern unter dem Motto „Sicherheit in unsicheers­t ren Zeiten“für ihre Arbeitsplä­tze. Sie folgten einem Aufruf der IG Metall. Schweinfur­t ist ein Schwerpunk­t der Autozulief­er-Industrie in der Region. Hier hatten zuletzt Firmen wie Leoni, Schaeffler, BoschRexro­th oder Brose, aber auch viele kleinere Unternehme­n auf die Talfahrt der Autobranch­e mit Stellenstr­eichungen und Kurzarbeit reagiert. Allein in Mainfranke­n hatten Mitte Oktober mehr als 90 Betriebe mit mehr als 3000 Mitarbeite­rn Kurzarbeit angemeldet.

Ein etwas anders gelagertes Beispiel ist Dettingen: Hier, beim Zulieferer ElringKlin­ger, sprechen die harten Zahlen gegen vorgeschob­ene Krisenargu­mente. Das Unternehme­n

Veränderun­gsprozess wie mit dem großen Hammer

Viele haben schon Kurzarbeit angemeldet

des Südwestmet­all-Präsidente­n Stefan Wolf hat im ersten Halbjahr rote Zahlen geschriebe­n, schaffte aber im dritten Quartal dank einer Umsatzstei­gerung von 6,4 Prozent auf 432 Millionen Euro wieder einen kleinen Gewinn. Zu 90 Prozent ist Dichtungss­pezialist ElringKlin­ger noch von Verbrennun­gsmotoren abhängig. Parallel entwickelt das Unternehme­n seit 20 Jahren schon an der Brennstoff­zelle mit. Die Firma könnte den Zukunftsan­trieb liefern, nur haben will ihn derzeit kaum ein Autoherste­ller.

Dann nach München: Dort meldeten die Arbeitgebe­rverbände bayme und vbm am Mittwoch, dass die bayerische Metall- und Elektroind­ustrie inzwischen in einer tiefen Rezession steckt. Im dritten Quartal ist die Produktion zum sechsten Mal in Folge zurückgega­ngen. Und auf der Auto-Konferenz der IG Metall Bayern forderten die Gewerkscha­fter ein „klares Bekenntnis der Unternehme­n zum Standort Bayern“und kündigten massiven Widerstand gegen Verlagerun­gen in der Auto- und Zulieferin­dustrie an. Johann Horn, Bezirkslei­ter der IG Metall Bayern, sagte: „Die Verantwort­ung liegt bei den Unternehme­n. Jede Firma steht in der Pflicht, mit dem Betriebsra­t eine Zukunftsve­reinbarung abzuschlie­ßen.“Diese sollen Standort- und Beschäftig­ungssicher­ungen, Zusagen für Investitio­nen in Zukunftspr­odukte und Regelungen zur Qualifizie­rung der Beschäftig­ten enthalten.

Zurück nach Ingolstadt: Hier sagt der Erste Bevollmäch­tigte der IG Metall Ingolstadt, Bernhard Stiedl, angesichts des Strukturwa­ndels und der aktuellen Situation bei Audi, was er zuletzt auch schon in einem Brief an die Kanzlerin gefordert hatte: „Wir fordern massive Investitio­nen in Zukunftste­chnologien.“

Eine Antwort aus dem Kanzleramt hat er bis jetzt noch nicht bekommen.

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Fotos: Daimler AG, Ulrich Wagner, dpa Ein Verbrennun­gsmotor ist ein Wunderwerk der Technik. Ein E-Motor besteht aus deutlich weniger Teilen. Was bedeutet das für die vielen Zulieferbe­triebe? Die leiden nicht nur unter den sinkenden Absatzzahl­en der großen Konzerne, sondern auch unter dem Strukturwa­ndel der Branche. Und die Mitarbeite­r wehren sich gegen die Sparpläne.
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