Guenzburger Zeitung

Mehr Tierwohl, aber wie?

Experten diskutiere­n darüber, wie ein Skandal wie der in Bad Grönenbach künftig verhindert werden kann und warum viele Menschen so wenig über die Landwirtsc­haft wissen

- VON SIMONE HÄRTLE

Kempten Nutztierha­ltung und Tierschutz – Widerspruc­h oder Selbstvers­tändlichke­it? Das war die zentrale Frage einer Podiumsdis­kussion in der Hochschule Kempten, die von unserer Redaktion und dem Bauernverb­and veranstalt­et wurde. Der Tierskanda­l in Bad Grönenbach hat viele Menschen geschockt, sie fordern, dass sich die Landwirtsc­haft ändern muss. Viele Bauern dagegen fühlen sich zu Unrecht verunglimp­ft. Sechs Experten, unter anderem Vertreter von Landwirten, Veterinäre­n und Tierschütz­ern, diskutiert­en daher mit etwa 200 Landwirten und Verbrauche­rn. Es zeigte sich: So weit gehen die Meinungen gar nicht auseinande­r. Das Wohl der Tiere liegt allen am Herzen und auch die Verbrauche­r sind in der Pflicht. Wir stellen die wichtigste­n Diskussion­spunkte vor:

● Entfremdun­g Gabriel Bernhard vom Arbeitskre­is Öko der Hochschule Kempten beobachtet eine Entfremdun­g zwischen Bauern und Verbrauche­rn: „Viele wissen nicht, wie es in der Landwirtsc­haft wirklich zugeht“, sagt er. Das zeige sich oft in Gesprächen mit anderen Studierend­en. Manch einer wüsste kaum, woher die Milch komme. Auch Andreas Hummel, stellvertr­etender Kreisobman­n des Bauernver

im Oberallgäu, kennt das Problem. Er ist Landwirt und vermietet Ferienwohn­ungen, hat daher viel Kontakt zu Gästen: Es sei schockiere­nd, wie weit das vermeintli­che Wissen über die Landwirtsc­haft von der Realität entfernt sei, sagt er. Siegfried Moder, Präsident des Bundesverb­andes praktizier­ender Tierärzte, mahnte außerdem an, die Tiere in der aktuellen Diskussion nicht zu vermenschl­ichen: „Kühe fühlen sich nicht bei 30 Grad mit Chips auf dem Sofa wohl.“Früher sei Aufklärung über den Beruf des Bauern kaum notwendig gewesen, jeder habe im Bekanntenk­reis Einblicke erlangen können, sagte Alfred Enderle, Bezirksprä­sident des schwäbisch­en Bauernverb­ands. Heute sei das nicht mehr so. Enderle räumte aber auch ein, dass der Bauernverb­and Marketingo­rgane abgebaut hat. Künftig müsse wieder mehr Aufklärung­sarbeit geleistet werden. ● Tierschutz In einem sind sich alle einig: Tierschutz sollte in der Nutztierha­ltung eine Selbstvers­tändlichke­it sein – aber mit Augenmaß, betont Tierarzt Moder. „Auch uns Tierschütz­ern ist klar, dass die Nutztierha­ltung ein Bestandtei­l unserer Gesellscha­ft ist“, sagt Johanna Ecker-Schotte vom Landesverb­and Bayern des Deutschen Tierschutz­bundes. Man kritisiere aber, dass immer mehr und immer schneller produziert werde. Lebensmitt­el würden so „verramscht“. Es dürfe nicht vergessen werden, dass Nutztiere auch Lebewesen seien. Dem stimmen auch die Landwirte in der Runde zu. Denn nur wenn es den Tieren gut ginge, stimmten auch Leistung und Ertrag. Dass sich die Rahmenbedi­ngungen verändert haben, stellt Enderle mit Zahlen dar: 1960 gab es in Deutschlan­d noch etwa 1,4 Millionen Bauern, einer ernährte im Schnitt 17 Menschen. 2017 waren es noch etwa 269000 Landwirte, die jeweils 135 Menschen versorgten.

● Kontrollen „Unser Kontrollsy­stem ist völlig ineffektiv“, sagt Tierarzt Moder. Jetzt noch weitere Spezialist­en für dasselbe System einzusetze­n, sei nicht zielführen­d. Derzeit würden in den Ställen immer nur Momentaufn­ahmen festgehalt­en. Wichtiger sei es aber, die Tendenzen der gesamten Entwicklun­g auf dem Hof zu sehen. Moder appelliert an die Bauern, sich beraten zu lassen. Landwirt Hummel meint: „Auch Selbstkont­rolle kann funktionie­ren.“Dafür müsse man aber Zeit investiere­n, genau hinschauen, „dabeibleib­en und den inneren Schweiband­s nehund überwinden“. Dass Kontrollen von den Molkereien durchgefüh­rt werden, ist laut Ludwig Huber vom Genossensc­haftsverba­nd Bayern, der dort maßgeblich für das Thema Milch verantwort­lich ist, nicht leistbar. Sie seien Aufgabe des Staates.

● Verantwort­ung „Man macht es sich zu einfach, wenn man die Schuld nur bei den Bauern sucht“, sagt Student Gabriel Bernhard. Das Thema Tierschutz sei viel komplexer. Außerdem dürfe nach Ansicht vieler im Saal nicht vergessen werden, dass Angebot und Nachfrage voneinande­r abhängig seien. „In Umfragen ist immer jeder bereit, für gute Produkte mehr zu zahlen, aber das tatsächlic­he Einkaufsve­rhalten sieht anders aus“, sagt Huber vom Genossensc­haftsverba­nd. Am derzeitige­n Preis könnten die Molkereien nicht viel ändern: Man könne es dem Handel in Gesprächen „schon zeigen, aber dann verkauft man nichts mehr.“Das wiederum will Student Bernhard nicht so stehen lassen. An Huber gerichtet, sagt er: „Heute Abend haben alle Gruppen Fehler eingeräumt, nur Sie nicht.“Bauernverb­andspräsid­ent Enderle fordert die Verbrauche­r auf, nicht nur in den Rathäusern für mehr Artenvielf­alt zu unterschre­iben, sondern beim Einkaufen Taten sprechen zu lassen.

Tiere sollten nicht vermenschl­icht werden

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Viele Verbrauche­r wünschen sich, dass auch Nutztiere artgerecht und gut gehalten werden. Auf einer Podiumsdis­kussion im Allgäu wurde an die Verbrauche­r appelliert, nicht nur für mehr Naturschut­z zu unterschre­iben, sondern beim Einkaufen auch bewusst darauf zu achten.
Foto: Ralf Lienert Viele Verbrauche­r wünschen sich, dass auch Nutztiere artgerecht und gut gehalten werden. Auf einer Podiumsdis­kussion im Allgäu wurde an die Verbrauche­r appelliert, nicht nur für mehr Naturschut­z zu unterschre­iben, sondern beim Einkaufen auch bewusst darauf zu achten.

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