Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (10)
Eine Verbindung des preußischen Rittmeisters Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg
Und er baute diese Kirche“, fuhr die Kleine fort, und baute zuletzt auch das Dorf „und nannt es Tempelhof, weil er selber Tempelhof hieß. Und die Berliner sagen ,Templow‘. Aber es ist falsch.“
All das nahmen die Damen in Andacht hin, und nur Schach, der neugierig geworden war, fragte weiter, „ob sie nicht das ein’ oder andre noch aus den Lebzeiten des Ritters wisse“.
„Nein, aus seinen Lebzeiten nicht. Aber nachher.“Alle horchten auf, am meisten das sofort einen leisen Grusel verspürende Tantchen, die Kleine hingegen fuhr in ruhigem Tone fort: „Ob es alles so wahr ist, wie die Leute sagen, das weiß ich nicht. Aber der alte Kossäte Maltusch hat es noch miterlebt.“„Aber was denn, Kind?“
„Er lag hier vor dem Altar über hundert Jahre, bis es ihn ärgerte, daß die Bauern und Einsegnungskinder immer auf ihm herumstanden und ihm das Gesicht abschurrten, wenn sie zum Abendmahl gingen.
Und der alte Maltusch, der jetzt ins neunzigste geht, hat mir und meinem Vater erzählt, er hab es noch mit seinen eigenen Ohren gehört, daß es mitunter so gepoltert und gerollt hätte, wie wenn es drüben über Schmargendorf donnert.“„Wohl möglich.“
„Aber sie verstanden nicht, was das Poltern und Rollen bedeutete“, fuhr die Kleine fort. „Und so ging es bis das Jahr, wo der russische General, dessen Namen ich immer vergesse, hier auf dem Tempelhofer Felde lag. Da kam einen Sonnabend der vorige Küster und wollte die Singezahlen wegwischen und neue für den Sonntag anschreiben. Und nahm auch schon das Kreidestück. Aber da sah er mit einem Male, daß die Zahlen schon weggewischt und neue Gesangbuchzahlen und auch die Zahlen von einem Bibelspruch, Kapitel und Vers, mit angeschrieben waren. Alles altmodisch und undeutlich, und nur so grade noch zu lesen. Und als sie nachschlugen, da fanden sie: ,Du sollst deinen Toten in Ehren halten und ihn nicht schädigen an seinem Antlitz.‘ Und nun wußten sie, wer die Zahlen geschrieben, und nahmen den Stein auf und mauerten ihn in diesen Pfeiler.“
„Ich finde doch“, sagte Tante Marguerite, die, je schrecklicher sie sich vor Gespenstern fürchtete, desto lebhafter ihr Vorhandensein bestritt, „ich finde doch, die Regierung sollte mehr gegen dem Aberglauben tun.“Und dabei wandte sie sich ängstlich von dem unheimlichen Steinbild ab und ging mit Frau von Carayon, die, was Gespensterfurcht anging, mit dem Tantchen wetteifern konnte, wieder dem Ausgange zu. Schach folgte mit Victoire, der er den Arm gereicht hatte.
„War es wirklich ein Tempelritter?“fragte diese. „Meine Tempelritterkenntnis beschränkt sich freilich nur auf den einen im ,Nathan‘, aber wenn unsre Bühne die Kostümfrage nicht zu willkürlich behandelt hat, so müssen die Tempelritter durchaus anders ausgesehen haben. Hab ich recht?“
„Immer recht, meine liebe Victoire.“Und der Ton dieser Worte traf ihr Herz und zitterte darin nach, ohne daß sich Schach dessen bewußt gewesen wäre.
„Wohl. Aber wenn kein Templer, was dann?“fragte sie weiter und sah ihn zutraulich und doch verlegen an. „Ein Reiteroberst aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Oder vielleicht auch erst aus den Tagen von Fehrbellin. Ich las sogar seinen Namen: Achim von Haake.“
„So halten Sie die ganze Geschichte für ein Märchen?“
„Nicht eigentlich das, oder wenigstens nicht in allem. Es ist erwiesen, daß wir Templer in diesem Lande hatten, und die Kirche hier mit ihren vorgotischen Formen mag sehr wohl bis in jene Templertage zurückreichen. Soviel ist glaubhaft.“
„Ich höre so gern von diesem Orden.“
„Auch ich. Er ist von der strafenden Hand Gottes am schwersten heimgesucht worden und eben deshalb auch der poetischste und interessanteste. Sie wissen, was ihm vorgeworfen wird: Götzendienst, Verleugnung Christi, Laster aller Art. Und ich fürchte, mit Recht. Aber groß wie seine Schuld, so groß war auch seine Sühne, ganz dessen zu geschweigen, daß auch hier wieder der unschuldig Überlebende die Schuld voraufgegangener Geschlechter zu büßen hatte. Das Los und Schicksal aller Erscheinungen, die sich, auch da noch, wo sie fehlen und irren, dem Alltäglichen entziehn. Und so sehen wir denn den schuldbeladenen Orden, all seiner Unrühmlichkeiten unerachtet, schließlich in einem wiedergewonnenen Glorienschein zugrunde gehen. Es war der Neid, der ihn tötete, der Neid und der Eigennutz, und schuldig oder nicht, mich überwältigt seine Größe.“
Victoire lächelte: „Wer Sie so hörte, lieber Schach, könnte meinen, einen nachgebornen Templer in Ihnen zu sehen. Und doch war es ein mönchischer Orden, und mönchisch war auch sein Gelübde. Hätten Sie’s vermocht, als Templer zu leben und zu sterben?“
„Ja.“
„Vielleicht verlockt durch das Kleid, das noch kleidsamer war als die Supraweste der Gensdarmes.“
„Nicht durch das Kleid, Victoire. Sie verkennen mich. Glauben Sie mir, es lebt etwas in mir, das mich vor keinem Gelübde zurückschrecken läßt.“
„Um es zu halten?“
Aber eh er noch antworten konnte, fuhr sie rasch in wieder scherzhafter werdendem Tone fort: „Ich glaube, Philipp le Bel hat den Orden auf dem Gewissen. Sonderbar, daß alle historischen Personen, die den Beinamen des ,Schönen‘ führen, mir unsympathisch sind. Und ich hoffe, nicht aus Neid. Aber die Schönheit, das muß wahr sein, macht selbstisch, und wer selbstisch ist, ist undankbar und treulos.“Schach suchte zu widerlegen. Er wußte, daß sich
Victoirens Worte, sosehr sie Pikanterien und Andeutungen liebte, ganz unmöglich gegen ihn gerichtet haben konnten. Und darin traf er’s auch. Es war alles nur jeu d’esprit, eine Nachgiebigkeit gegen ihren Hang zu philosophieren. Und doch, alles, was sie gesagt hatte, so gewiß es absichtslos gesagt worden war, so gewiß war es doch auch aus einer dunklen Ahnung heraus gesprochen worden.
Als ihr Streit schwieg, hatte man den Dorfeingang erreicht, und Schach hielt, um auf Frau von Carayon und Tante Marguerite, die sich beide versäumt hatten, zu warten. Als sie heran waren, bot er der Frau von Carayon den Arm und führte diese bis an das Gasthaus zurück. Victoire sah ihnen betroffen nach und sann nach über den Tausch, den Schach mit keinem Worte der Entschuldigung begleitet hatte.
„Was war das?“Und sie verfärbte sich, als sie sich, aus einem plötzlichen Argwohn heraus, die selbstgestellte Frage beantwortet hatte. Von einem Wiederplatznehmen vor dem Gasthause war keine Rede mehr, und man gab es um so leichter und lieber auf, als es inzwischen kühl geworden und der Wind, der den ganzen Tag über geweht hatte, nach Nordwesten hin umgesprungen war.
»11. Fortsetzung folgt