Guenzburger Zeitung

Ein Übersetzer als Nebenmann

- VON MICHAEL SCHREINER kino@augsburger-allgemeine.de

Kino ist ein Gemeinscha­ftserlebni­s – ob man will oder nicht. Deshalb ist an dieser Stelle ja so oft vom Publikum die Rede, seinen Essvorlieb­en, Launen, seinem Benehmen. Der Kinosaal ist im Prinzip wie ein Großraumwa­gen im ICE. Niemand kann sich aussuchen, wer da neben und hinter und vor einem sitzt. Die Leute haben schließlic­h auch bezahlt und sind 2. Klasse wie alle. Doch während Essen, Reden und Telefonier­en im Zug tolerierba­r sein muss, ist Kino doch bitteschön kein Betriebsau­sflug, sondern eher eine Andacht. Einverstan­den? Dann bitte hier entlang.

Neulich an einem Sonntagnac­hmittag in einem großen Kinocenter als ein Nachzügler (alle haben den Film doch eigentlich schon gesehen, oder?) „Joker“angeschaut. Die synchronis­ierte deutsche Fassung. Der Saal füllte sich überrasche­nd – mit sehr vielen Zuschauern und den inzwischen offenbar üblichen Putzeimern voller Getränke und Popcorn. Soweit alles wie im Großraumwa­gen. Sessel gut, Projektion gut – und als der Film schon ein paar Minuten läuft, erste Erleichter­ung: Es ist ziemlich still, fast andächtig. Doch dann beginnt der Nebenmann, ein netter Kerl übrigens, seiner Begleiteri­n (Freundin? Schwester? Verlobte?) die wichtigste­n Dialoge zu übersetzen. In einer Sprache, die fremd klingt, irgendwie osteuropäi­sch, schwer zu sagen. Der Flüsterer, der zum Glück nicht den Ehrgeiz hat, simultan zu übersetzen, und Mut zu Lücken beweist, löst einige Nachfragen bei seiner Begleiteri­n aus. Man spürt, dass das Paar Rücksicht zu nehmen versucht – aber es stört natürlich schon. Man bucht es ab unter Lebenserfa­hrung, just another Cinema-Story. Als gegen Ende die Vorderleut­e Spaß daran entwickeln, mit ihren Strohhalme­n in ihren leeren ColaEimern Saug- und Leerpumpge­räusche zu erzeugen, beugt sich der Übersetzer vor und zischt: Psst! Psst! Das ist Kino!

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