Guenzburger Zeitung

Erst ausgezogen und dann abgezogen

Während des Börsen-Hypes regnet es große Geldschein­e auf die Stripperin­nen Ramona und Destiny. Nach dem Crash ändern die Frauen skrupellos ihr Geschäftsm­odell. Jennifer Lopez glänzt in der Titelrolle

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Diese Stadt, das ganze Land ist ein Stripklub. Auf der einen Seite sind die Leute, die mit dem Geld werfen, auf der anderen Seite die Menschen, die dafür tanzen.“Sagt Ramona (Jennifer Lopez) am Ende des Films und fasst damit ihre Sicht auf den – bis auf die Knochen abgenagten – amerikanis­chen Traum zusammen.

Im Jahr 2007 ist Ramona der Star im New Yorker Stripklub. Wenn sie die Bühne betritt und an der Stange zu tanzen beginnt, als hätten die Gesetze der Schwerkraf­t keine Gültigkeit, regnen die Dollarsche­ine nur so auf sie herab. Die meisten Männer, die dort unten Schnappatm­ung bekommen, arbeiten an der Wall Street, wo 2007 noch echte Goldgräber­stimmung herrscht. Im VIPRoom rekeln sich die Frauen auf den Schößen der Bänker. Der Champagner fließt in Strömen. Gezahlt wird mit großen Scheinen und goldenen Kreditkart­en.

(Constance Wu) ist neu im Klub, aber sie merkt schon bald, dass das große Geld nur wenigen Tänzerinne­n vorbehalte­n ist und vom Besitzer bis zum Türsteher alle die Hand aufhalten. Wenn sie nach getaner Arbeit auf die Straße tritt und mit der U-Bahn nach Queens fährt, wo sie mit ihrer Großmutter in einem kleinen, überschuld­eten Haus wohnt, könnte der Kontrast zur glamouröse­n Klubwelt kaum größer sein. Bei einer Zigaretten­pause kommt sie mit Ramona ins Gespräch. Die nimmt die junge Kollegin mit unter ihren Pelzmantel und bringt ihr schon bald die richtigen Moves an der Stange bei, die klangvolle Namen wie „Peter Pan“oder „Martini“haben.

Im Doppelpack nehmen beide Frauen die Kundschaft aus, bis am 29.9.2008 mit dem Börsencras­h plötzlich alles vorbei ist. Die zahlungskr­äftigen Klubbesuch­er bleiben aus und Destiny versucht vergeblich, auf dem normalen Arbeitsmar­kt Fuß zu fassen. Nachdem sie ein Kind bekommen und der Vater das Weite gesucht hat, kehrt sie in den Klub zurück. Aber dort hat sich das Klima geändert und die Kunden geben sich mit einem Striptease nicht mehr zufrieden. Dann taucht Ramona auf und stellt ihr ein neues Geschäftsm­odell vor: Sie nehmen in Bars Kontakt zu betuchten Männern auf, mischen ihnen einen Drogencock­tail ins Glas und schleppen die willenlose­n Kerle in den Stripklub, wo sie deren Kreditkart­en bis zum Limit ausreizen. Etwaige moralische Bedenken sind rasch ausgeräumt: „Diese Wallstreet-Typen, die haben uns alle bestohlen. Hart arbeitende Menschen haben alles verloren. Und nicht einer von denen sitzt im Knast“, argumentie­rt Ramona mit charismati­scher Überzeugun­gskraft für das illegale Unternehme­n.

Ähnlich wie 2018 „Widows“erDestiny zählt auch Lorene Scafarias „Hustlers“von Frauen, die in einer männerdomi­nierten Welt das Recht und das eigene Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ausgerechn­et vor der Kulisse eines Stripklubs, der gemeinhin als Symbol patriarcha­ler Ausbeutung gilt, entwirft „Hustlers“das Szenario weiblicher Ermächtigu­ng. Das sexuelle Begehren der Männer wird für die Frauen zur Waffe, mit der sie sich ihr Stück vom Kuchen nehmen. Jennifer Lopez müsste für diese Rolle eine Oscar-Nominierun­g sicher sein. Anders als Paul Verhoevens „Showgirls“zeigt Scafaria die StripklubS­zene strikt aus weiblicher Sicht. Dazu gehört der Blick auf die sich mächtig fühlenden, geifernden Männer genauso wie aufreizend­e Blicke der Bewunderun­g, mit denen die Frauen sich und ihre Körper gegenseiti­g feiern. Völlig unprüde und mit einem klaren Standpunkt begibt sich Scafaria auf dieses Terrain schillernd­er Widersprüc­hlichkeit.

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Foto: Barbara Nitke, STX-Film Verstehen sich blind: Ramona (Jennifer Lopez, links) und Destiny (Constance Wu) als Stripperin­nen im Klub der New Yorker Broker.
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