Weiß-blaue Küche mit Charme und Humor
Es muss nicht immer schwer und traditionell sein. Der Münchner Koch Andreas Geitl erfindet die bayerische Küche neu: modern, kreativ, aber einfach. Seine Knödelvariationen sind legendär, jetzt verhilft er dem Sonntagsbraten zum Comeback
Ein bisschen ist er immer noch der Geheimtipp unter den Fernsehköchen geblieben. Auch wenn Andreas Geitl schon seit 15 Jahren alle zwei Wochen im Nachmittagsprogramm des Bayerischen Fernsehens zeigt, was die weiß-blaue Küche alles kann, wenn man sie modern und zeitgemäß auf dem Stand hält. Anders als andere bayerische Spitzenköche hat Geitl trotz Ausbildung in der Topgastronomie nie nach den Michelin-Sternen zu greifen versucht. Dennoch mischt Geitl die bayerische Küche nicht nur mit einem kreativen spielerischen Erfindergeist auf, sondern auch mit jeder Menge Humor und Bodenständigkeit, sodass er damit oft selbst dem Platzhirsch Alfons Schuhbeck die Schau auf dem Teller stehlen kann.
Der „Obazda brûlée“ist so ein typischer Geitl: Der BiergartenKlassiker mit einem Hauch braunem Zucker unter dem Flambierbrenner überkrustet zur italienisch angehauchten Antipasti abgewandelt, serviert an im Weißbier-Dressing mariniertem Grillgemüse. Keine Spinnerei, sondern tausendfach verkauft, als Geitl bis 2017 auf dem Münchner Nockherberg eineinhalb Jahrzehnte als Küchendirektor für volles Haus sorgte. „Ich wollte schon immer für möglichst viele Menschen möglichst gut und möglichst frisch kochen“, sagt der 63-Jährige. Auf dem Münchner Nockherberg waren das in Hochzeiten bis zu 8000 Plätze im großen Saal, Restaurant und Biergarten.
Als Wiesn-Küchenchef schraubt Geitl gleichzeitig den kulinarischen Ruf des Paulaner-Festzelts „Winzerer Fähndl“nach oben, in dem er seine Ansprüche auch an die einfache Küche stellte: „Wir haben jedes Jahr 24000 Fleischpflanzerl für die Brotzeitplatten vorbereitet und schockgefrostet“, sagt Geitl. „Wirtschaftlich ist das Blödsinn, aber ich wollte die nicht fertig kaufen.“In den Wochen vor der Wiesn ließ er drei Tonnen Sauerkraut vorkochen, auch das Blaukraut kam aus der eigenen Küche. „Man kann auf der Wiesn natürlich nicht Schäumchen und Türmchen auf die Teller zaubern, aber eine geile Soße, ein selbst gemachter interessanter Knödel, perfektes Kraut, tolles Salatdressing und eine schöne Brotzeitplatte gehören da schon zur Ambition“, sagt Geitl.
Doch einen Freudenschrei stieß Geitl nicht aus, als er kurz nach Übernahme der NockherbergKüche das Wiesnzelt bekam. Denn eigentlich liebt der Koch das Spielerische, setzt gern im Herbst ein raffiniertes Schweinefilet mit frischer Feige, als „feige Sau“auf die Karte. „Das Thema, das mich dabei mein ganzes Leben begleitet, ist die feine bayerische Küche“, sagt Geitl. „Ich
als junger Koch viel unterwegs und habe dabei die Glorifizierung ausländischer Küchen erlebt.“Als er aus Kalifornien, Italien, der Schweiz und Frankreich wieder heimkam, sah er die heimische Küche mit anderen Augen: „Die bayerische Küche ist mit ihrem Reichtum an Produkten toll, aber sie bekommt oft nicht die Wertschätzung, die sie eigentlich verdient.“Von da
ging Geitl seinen ganz eigenen Weg: „Ich hab’ ein Faible für die italienisch-bayerische Kombination – eine Verbindung aus sonniger Leichtigkeit und der Strenge der Tradition.“
Der „Obazda brûlée“ist so ein Beispiel, den Geitl nun auch in sein neues Kochbuch aufgenommen hat: Fast schon untertrieben uneitel nennt sich Geitls wunderbare Entwar
deckungsreise durch eine höchst kreative, aber auf dem Boden bleibende bayrische Küche auf dem Buchdeckel schlicht „Sonntags Braten“. Es könnte genauso gut „Die neue bayerische Küche“heißen – Geitl huldigt darin mit 52 Hauptrezepten die klassische Sonntagsküche, angeführt von klassischen Braten, aber er tischt auch Lachs oder Wallerfilet auf oder auch mal vegean tarisch Topfennockerl auf gebratenem Fenchel und Orangensauce. Bietet Vorspeisen, Dressings, Gemüsebeilagen und Tipps. Vor allem aber präsentiert sich der Koch als König des Knödels.
Geitl liebt die Variation, zum klassischen Schweinsbraten mischt er Stangensellerie in den Semmelknödel, zum BürgermeisterSchmorbraten Preiselbeeren in den Kartoffelknödel, auch zum Rehschlegelbraten gibt’s einfach aber raffiniert Besonderes: Geitl bindet 750 Gramm Kartoffelknödelteig aus der Kühltheke mit zwei Eigelb, würzt mit Muskat und rollt ihn aus. Darauf kommt eine Mischung aus je 50 Gramm kurz aufgekochten und gehackten getrockneten Feigen, gebratenem Speck und Zwiebeln, sowie etwas Semmelbrösel. Das Ganze wird in Frischhalte- und Alufolie aufgerollt und gut eine halbe Stunde in siedendem Wasser gegart und in
„Die bayerische Küche bekommt oft nicht die Wertschätzung, die sie verdient.“
Andreas Geitl
kaltem Wasser abgekühlt. Danach brät er ein Zentimeter dicke Scheiben leicht in Butter an und serviert sie zur Soße des Schmorbratens.
Und wer’s witziger mag, für den hat Geitl einen „Brezenkugelhupf“aus Brezenknödelteig oder einen „Wolpertinger Knödel“parat: Seine Spezialkreation für alle, die sich nicht zwischen Semmel- und Kartoffelknödel entscheiden können. Zu Geitls Lieblingen gehört ein aufwendiger Böhmischer Teigknödel, den er nach dem Originalrezept seiner Oma kocht.
Neben allen Geitl’schen bayerischen Spielereien kann jeder in dem ausgezeichnet von Oliver Brachart durchfotografierten Kochbuch lernen, wie man perfekt saftig gegarte Braten im Otto-Normal-Backofen zubereiten kann: Egal ob ganze Kalbshaxe, Ente oder Krustenbraten – es kommt auf perfektes Zusammenspiel und Ablauf der Hitze an: Erst wird hoch auf bis zu 200 Grad vorgeheizt, dann sofort je nach Braten auf 130 bis 140 Grad runtergeregelt und ganz am Schluss gibt’s noch mal hohe Hitze zum Bräunen. Für Fans der bayerischen Küche liefert Geitl das Kochbuch des Jahres.