Schavan warnt vor einer heimatlosen Kirche
Die CDU-Politikerin gibt einen Einblick in ihre Arbeit als frühere deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Sie ist nicht mit allem einverstanden, was die Katholische Kirche macht. In Ichenhausen wird sie konkret
Ichenhausen Geht es nach Annette Schavan, die von der Katholischen Erwachsenenbildung im Landkreis Günzburg eingeladen worden war, sind Christen die „Menschen des neuen Weges“. Oft genug wurden in den 2000 Jahren Christentum neue Wege beschritten. Beispiele liefert die ehemalige Botschafterin Deutschlands am Heiligen Stuhl bei ihrem Vortrag in Ichenhausen auch. Franz von Assisi, der zu seiner Zeit ein Tabu brach und sich um Kranke und Aussätzige kümmerte, der Orden der Franziskaner, der die Barmherzigkeit lebt. Oder die Benediktiner, ein Orden, der Europa kultiviert habe. „Soziale Innovation würden wir es heute nennen“, so Schavan.
Geht die Christenheit in unserer Zeit einen neuen Weg mit Papst Franziskus? Dem ersten Papst, der sich nach Franz von Assisi benennt, dem ersten Papst, der nicht am 2. Vatikanischen Konzil teilnahm, da war er nämlich noch gar nicht geweiht. Und dem ersten Papst aus einem anderen Kontinent nach dem Polen Johannes Paul II. und dem Deutschen Benedikt XIV.
Drei wesentliche Impulse habe Papst Franziskus gegeben: Erstens den Auftrag, dass die Christen an die Peripherie gehen sollen, raus aus dem Zentrum und den Bibliotheken, dorthin, wo die Not am Größten sei. Zweitens, dass die Wirklichkeit wichtiger als die Ideen sei, man solle sich nicht zu stark mit Ideen beschäftigen. Drittens, dass Verantwortung nicht teilbar sei. Es gebe kein „Wir und die Anderen“, sondern nur eine einzige Verantwortung für die ganze Welt, in der wir leben.
Annette Schavan spricht Klartext, wenn sie sagt, dass die junge Generation auch ganz gut ohne Kirche leben könne. Zumal schon die Generation ihrer Eltern nichts mit der Kirche am Hut habe. „Man muss aufpassen, dass Kirche kein Projekt von eineinhalb Generationen wird.“Es sei seit dem 2. Vatikanischen Konzil so vieles nicht erneuert worden. „Frauen im Priesteramt und verheiratete Priester – das ist nicht besser, sondern natürlicher.“Der Zölibat sei eine mönchische Lebensform, aber 1000 Jahre lang nicht die Lebensform von Weltpriestern. Und wer das Charisma von Frauen nur als Dienstleistung nehme, habe im 21. Jahrhundert keine Chance.
Das sind markante Sätze, zu denen im 20-köpfigen Publikum oft zustimmend genickt wird. Es ist ein Genuss, Annette Schavan zuzuhören. Die 64-Jährige, die seit ihrer Rückkehr als deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl in Rom wieder in Ulm lebt, erinnert sich an einen früheren Besuch in der Synagoge Ichenhausen. Und natürlich kennt sie Prälat Eugen Kleindienst, ein gebürtiger Reisensburger und in ihrer Anfangszeit in Rom als Geistlicher Botschaftsrat tätig.
Schavan ist sich sicher, dass Papst Franziskus dem Neuen etwas abgewinnen kann, die Besonderheiten von Kirche je nach Region erkenne. Aber es gebe auf allen Ebenen welche, die jede Veränderung falsch fänden. „Das ist nicht inspirierend.“Schleierhaft ist es der langjährigen Bundesministerin für Bildung und Forschung (2005-2013) auch, warum die Kirche, die in ihrer Ministerzeit immer Subsidiarität einforderte – also dem Prinzip, die Verantwortung der jeweils kleinsten geeigneten Einheit zu übertragen – heute riesige Einheiten schafft. „Nehmen wir an, wir haben im Jahr 2040 genau 40 Priester, dann haben wir 40 Einheiten. Das ist nicht nur gegen Subsidiarität, sondern verschleißt Priester und macht Kirche heimatlos!“
Schavan plädiert für neue Wege, in der Kirche am Ort zusammenzukommen. Zum Gebet, zu Psalmen, zu Musik, zum Kennen der Armen. „Hierarchie und Brimborium brauchen wir nicht. Christen können das Ursprüngliche wiederentdecken und die Botschaft des 2. Vatikanischen Konzils, das vom damaligen Papst 1962 einberufen wurde, um die Botschaft der Kirche zu aktualisieren.“
Es gehe uns heute in Deutschland so gut wie nie zuvor, über 70 Jahre Frieden, viel geschafft. Und doch fehle uns die Großzügigkeit, an dessen Stelle Mobbing, Hassmails und Shitstorms träten. Christen hätten eine Botschaft gegen diese Verengungsgeschichten.
Nach dem kurzweiligen Vortrag ist Gelegenheit, Fragen zu stellen. Und Annette Schavan erzählt, dass sie in Rom nicht die einzige Frau im Diplomatischen Korps war, dass auch muslimische Länder diplomatische Beziehungen haben und es keinen zweiten Ort auf der Welt gibt, der so viel über Gott und die Welt weiß. Gefragt nach den Entschädigungsforderungen von Missbrauchsopfern der katholischen Kirche bezieht sie klar Stellung. „Nicht aus Kirchensteuern bezahlen, keine Pauschalsumme, sondern individuelle Lösungen, und ein zügiges Handeln der Bistümer.“
Und ein allerletztes Statement der gläubigen Katholikin, bevor sie sich Zeit nimmt, Bücher zu signieren, lautet: „Religion muss zum Frieden beitragen. Vor 30 Jahren haben wir gedacht, Religion ist nicht wichtig. Das hat sich nicht bewahrheitet.“