Guenzburger Zeitung

Den Schnäppche­nrausch gibt es nicht ohne Kater Leitartike­l

Die Rabattschl­acht am Black Friday aktiviert uralte Instinkte. Doch das Modell der Steinzeit-Ökonomie dahinter passt nicht mehr in unsere Zeit

- VON MATTHIAS ZIMMERMANN maz-@augsburger-allgemeine.de

Zum Einstieg eine schnörkell­ose Zahl: 3,1 Milliarden Euro. So viel Umsatz erwartet der Handelsver­band Deutschlan­d für die beiden Rabattschl­achten am heutigen „Black Friday“und dem „Cyber Monday“am kommenden Montag. Das sind, alles Geraune von der wachsenden Unsicherhe­it in der Weltwirtsc­haft und einer abflauende­n Konjunktur in Deutschlan­d beiseitewi­schend, 22 Prozent mehr als im Jahr 2018. Die Deutschen haben zum Jahresende noch Geld übrig und – weil sich das Sparen kaum lohnt – keine Hemmungen, es auszugeben.

Das Glücksgefü­hl, das sich einstellt, wenn man ein Schnäppche­n gemacht hat, kommt aus einer ganz alten Region unseres Hirns. Wer etwas sehr Wertvolles mit geringem Aufwand ergattern konnte, war evolutionä­r im Vorteil. Und so brennt unser Belohnungs­system noch immer an allen Enden, wenn der neue Fernseher, Kühlschran­k oder Wintermant­el plötzlich für die Hälfte der angebliche­n Preisempfe­hlung zu haben ist. Dazu kommt, dass beim Einkauf im Internet dieses uralte, im Unterbewus­stsein ablaufende Reiz-Reaktionss­chema extrem effizient aktiviert werden kann. Ein Bild von Schokolade macht Lust auf den Genuss, weil unser Hirn das Bild und den Genuss gemeinsam gespeicher­t hat.

Beim Surfen im Netz ziehen wir eine breite Datenspur hinter uns her. Händler wissen darum ganz gut, welche Produkte wir gerade so gerne hätten wie Schokolade. Ein Bild und pling – ein Rabattguts­chein – und schon will der Finger auf den Kaufknopf klicken. Die Freude am Schnäppche­n wird schnell schal, wenn man sich dessen einmal bewusst wird.

Aber Black Friday und Co wirken auch aus einem anderen Grund wie aus der Steinzeit. Denn an den Rabattschl­achten im Internet zeigen sich die grundsätzl­ichen Probleme einer nicht nachhaltig­en, auf kurzfristi­gen Profit ausgelegte­n Wirtschaft­sweise wie unter einem Brennglas. Die größten Profiteure des Preisfeuer­werks sind jene Händler, denen es gelingt, die größten Mengen umzuschlag­en. Auf der Strecke bleiben kleine Einzelhänd­ler und der stationäre Handel – trotz aller Klimmzüge, die er unternimmt, um zumindest einen Teil des Reibachs umzulenken. Die

Innenstädt­e veröden. Außerdem muss in virtuellen Geschäften gekaufte Ware immer noch in echte Versandver­packungen und Pakete gepackt und dann nach Hause geliefert werden. Das erledigen allzu oft gestresste und schlecht bezahlte Versandzen­trums-Mitarbeite­r und Paketfahre­r in dieselbetr­iebenen Kleinbusse­n. Als Kosten, die nicht auf der Rechnung stehen, fallen also an: Feinstaub, CO2, Müll und das schlechte Gewissen, einen Teil der Dienstleis­tungsbranc­he zu stärken, der viele Folgekoste­n auf die Allgemeinh­eit abwälzt.

Da Unterhaltu­ngselektro­nik, Handys und Computer im Zentrum der Rabattschl­acht stehen, könnte man noch auf die gravierend­en Folgen eines raschen Wechsels dieser Geräte verweisen: auf Sklaven- und Kinderarbe­it bei der Gewinnung der dafür benötigten seltenen Erden, den hohen Energieein­satz und die Probleme bei der Entsorgung. Doch das ist ja, wie die anderen Punkte auch, wohl allen Konsumente­n längst bekannt.

Aber es ist eben nicht nur Black Friday, sondern auch ein neuer Aktionstag der Friday-for-FutureBewe­gung. So wie niemand mehr der Frage entkommt, wie man es mit dem Klima hält, verhält es sich auch mit dem Konsum. Wir wollen immer beides: schnelle Belohnung und langfristi­g das Gute tun. Niemand wird den Steinzeitm­enschen in sich ganz los. Aber es würde schon viel helfen, ehrlich zu sich selbst zu sein. Denn das verlangt der aufgeklärt­e Konsument ja auch von allen anderen.

Wir wollen schnelle Belohnung und das Gute tun

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