Klimanotstand – na und?
Das EU-Parlament schlägt Alarm. Doch selbst Umweltaktivisten sehen darin kaum mehr als ein harmloses Symbol
Straßburg Das Europäische Parlament macht ernst. 24 Stunden vor dem heutigen Aktionstag für mehr Klimaschutz und kurz vor dem Umweltgipfel in der kommenden Woche in Madrid hat die europäische Abgeordnetenkammer den Klimanotstand ausgerufen. 429 Parlamentarier unterstützten einen entsprechenden Beschluss, 225 stimmten dagegen, 19 Volksvertreter enthielten sich. Er sei „stolz, eine Mehrheit im Parlament erreicht zu haben, um Europa zum ersten Kontinent zu machen, der den Klima- und Umweltnotstand ausruft“, sagte der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin, nach der Abstimmung. Damit würde die Erwartung der europäischen Bürger erfüllt.
Die Parlamentarier fordern in der Resolution die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten und die globalen Akteure auf, umgehend konkrete Maßnahmen gegen den Klimawandel zu ergreifen. Außerdem müsse die neue EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen ihre gesamte Arbeit auf Folgen für Klima und Umwelt abklopfen. Das klingt nach Symbolpolitik, ist es wohl auch. Selbst Greenpeace kommentiert den Beschluss mit einem kühlen „nicht genug“. Das Europäische Parlament habe einen flammenden Appell verabschiedet, aber es reiche nicht, danebenzustehen und alles zu beobachten, sagte Sebastian Mang, der Klimaschutz-Beauftragte der Organisation.
Der Text der Entschließung hatte für heftigen Streit gesorgt. Vor allem die christdemokratischen Parlamentarier aus Deutschland wehrten sich gegen den Begriff „Notstand“, weil der von den Nationalsozialisten nach 1933 missbraucht wurde, um die Demokratie abzuschaffen, wie der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Markus Pieper (CDU), erklärte. „Der Begriff löst in erster Linie Angst aus und weckt Erwartungen an Sofortmaßnahmen, die Europa nicht liefern kann“, sagte Peter Liese, der umweltpolitische Experte der christdemokratischen EVP-Fraktion. Doch der Versuch der Gegner, das Wort „Notstand“durch „Notfall“oder „Dringlichkeit“zu ersetzen, scheiterte letztlich. „Wer heute den Klimanotstand ausruft, fordert nichts anderes als
Entscheidungen ohne demokratische Legitimation und zielt darauf ab, demokratische Rechte außer Kraft zu setzen“, sagte der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber nach der Abstimmung. Er fügte hinzu: „Entweder diese Menschen wissen nicht, wovon sie sprechen, oder sie empfinden es als legitim, den demokratischen Prozess auszuschalten. Beides ist zutiefst erschreckend, gerade vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte und dem Jahr 1933.“
Immerhin ist die Bereitschaft in der EU, eine Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2030 auf 50 oder gar 55 Prozent gegenüber 1990 festzuschreiben, ist groß. Bisher hatte sich die Union auf 40 Prozent geeinigt. Doch nicht wenige dringen auf eine Folgenabschätzung der einzelnen Maßnahmen, um deren Wirksamkeit vorab zu prüfen – und auf Absprachen mit großen Industrienationen wie China, Indien, Südafrika und Kanada. Die signalisierten im Vorfeld der Madrider Konferenz ebenfalls, zu größeren Anstrengungen bereit zu sein.
In Brüssel wird nun mit Spannung ein Auftritt des neuen Kommissionsvizepräsidenten Frans Timmermans erwartet. Der will erste Eckpunkte des Green Deals vorlegen, also jenes Klimaschutzpaketes des Von-der-Leyen-Teams. Die neue Präsidentin, die am Sonntag ihr Amt übernimmt, hatte vor dem EU-Parlament versprochen, innerhalb der ersten 100 Tage ein ehrgeiziges Programm zum Klimaschutz auf den Weg zu bringen.