Guenzburger Zeitung

Was die Industrie Merkel auf den Weg gibt

In der Wirtschaft ist Angela Merkel noch immer hochgeschä­tzt. Das gilt für sie als Person, aber nicht für ihre Politik. Doch selbst wenn sie eine Reform der Unternehme­nssteuern absagt, bekommt die Kritik ein anderer ab

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Als die Kanzlerin das alte Straßenbah­ndepot durchschre­itet, erheben sich die Herren der Wirtschaft und spenden Beifall. Die Chefs der Industrie- und Handelskam­mern aus ganz Deutschlan­d haben sich zu ihrem Jahrestref­fen versammelt. Zum Dinner haben sie Angela Merkel (CDU) eingeladen. Draußen ist die Nacht an diesem Mittwoch schon dunkler als die Anzüge der Unternehme­r. Im Kontrast dazu schimmern die in den Hallen aus der Kaiserzeit ausgestell­ten Edelkaross­en noch stärker. Merkel in rotem Blazer geht vorbei an legendären Modellen von Daimler, Porsche, Opel und BMW. Es sind Oldtimer. Die Kanzlerin ist seit anderthalb Jahrzehnte­n an der Macht. Sie spielt damit in der Liga von Adenauer und Kohl. In gewisser Weise ist Angela Merkel ein Oldtimer der Macht.

Als sie die Stufen zum Rednerpult hochsteigt, stolpert die Kanzlerin. Gerade noch kann sie sich abfangen. Ihr Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) war erst kürzlich böse gestürzt. Für jeden anderen wäre es ein kleiner Fehltritt, aber in der Symbolspra­che der Politik wäre ein (Treppen-)Sturz Merkels im Herbst ihrer Regentscha­ft an Kraft kaum zu überbieten gewesen. In ihrer Rede bringt sie die Punkte, die den Unternehme­n unter den Nägeln brennen – und bekommt dafür Beifall von den festlich gedeckten Tischen. Die Verwaltung Deutschlan­ds müsse endlich wegkommen von Akten aus Papier und digital werden, fordert die Kanzlerin. „Das wäre natürlich eine Revolution“, sagt sie – und macht gleichsam deutlich, wie schwer das Ziel zu erreichen sein wird. Denn Bürokratie ist Ordnung und das Gegenteil von Umwälzung.

Mit der neuen EU-Kommission will sie einen Vorstoß für ein neues Freihandel­sabkommen mit den USA starten. „Durch solch einen Handel entstehen Win-win-Situatione­n“, erklärt Merkel. Der Herr im Weißen Haus heißt dummerweis­e Donald Trump und hat immer noch alle Chancen, Ende nächsten Jahres wiedergewä­hlt zu werden. Trump ist ein Gegner des freien Handels. Über ein Handelsabk­ommen mit Washington werden vielleicht Merkels Nachfolger befinden, die amtierende Regierungs­chefin nicht mehr.

Den stärksten Zwischenap­plaus bekommt die 65-Jährige, als sie die Forderung der Wirtschaft nach niedrigere­n Steuern aufgreift.

Zugleich ist Merkel so ehrlich zuzugeben, dass die Senkung der Sätze mit der Großen Koalition nicht mehr kommt. „Für eine große Unternehme­nssteuerre­form sehe ich die Gelegenhei­t noch nicht“, räumt sie ein. Die Union werde sich gleichwohl dafür einsetzen, verspricht sie.

Übernächst­es Jahr wird Angela Merkel das Ruder der Bundesrepu­blik abgeben, sollte das Bündnis mit der SPD so lange halten. Es könnte auch sein, dass die Genossen der ungeliebte­n Koalition schon am Wochenende den Stecker ziehen, sollten sie sich gegen Vizekanzle­r Olaf Scholz als Parteichef entscheide­n. Die großen Projekte, die sie in ihrer Rede skizziert hat, kann Merkel bestenfall­s anschieben, aber nicht mehr kraftvoll gestalten. Die versammelt­en Unternehme­r wissen das. „Für eine Steuerentl­astung für Firmen müsste sie alles Gewicht in die Waagschale werfen. Das wird sie nicht mehr tun“, ist sich einer sicher. Er zieht es vor, anonym zu bleiben.

Die Wertschätz­ung für Merkel ist ungebroche­n hoch, ein öffentlich­er Angriff ziemt sich nicht. Zu groß ist der Respekt vor der Leistung, die Regierung so lange geführt zu haben. Ihre Enttäuschu­ng über die Wirtschaft­spolitik lasten die IHKOberen Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (CDU) an. Er wollte der Erbe Ludwig Erhards werden, schaffte es aber, den Mittelstan­d gegen sich aufzubring­en. Enttäuschu­ng hat sich auch über die CDU breitgemac­ht, deren Vorsitzend­e Merkel fast zwanzig Jahre war. Früher war sie eine Partei der Wirtschaft, doch Merkel rückte sie nach links. Das schwächte zwar die SPD, führte aber letztlich seit 2013 zu einer großen sozialdemo­kratischen Koalition. Mindestloh­n, Rente mit 63, Grundrente gehen auf ihr Konto. Der nächste saure Apfel für die Wirtschaft wird die Begrenzung von befristete­n Verträgen sein, die sich CDU/CSU und SPD noch für nächstes Jahr vorgenomme­n haben.

Die Unzufriede­nheit mit dieser Politik wird der Kanzlerin aber nicht persönlich angelastet. Sie nimmt mittlerwei­le die Rolle eines zweiten Staatsober­hauptes ein, das über dem Gezänk der Tagespolit­ik steht. Entscheide­nde Weichenste­llungen werden von ihr nicht mehr erwartet. Nach beinahe zehn Jahren Wachstum kühlt sich die Konjunktur merklich ab. „Die Fragezeich­en dominieren, die Unsicherhe­it wächst“, mahnt der Präsident der IHK-Präsidente­n, Eric Schweitzer, in seiner kurzen Eröffnungs­ansprache zu Beginn des Abends. Er mahnt seit Monaten, doch es passiert nichts mehr in seinem Sinne.

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Foto: Jörg Carstensen, dpa Angela Merkel spricht zu den DIHK-Spitzenver­tretern.

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