Guenzburger Zeitung

Das Akkordeon und der Krieg

Kommt ein US-General mit einem Musikinstr­ument in die Eifel: Das klingt wie ein Witz oder ein Schlager aus den 60er Jahren. Tatsächlic­h verbirgt sich dahinter eine große Geschichte

- Jonas-Erik Schmidt, dpa

Schleiden Christel Nierhoff weiß auch nicht so recht, was sie sagen soll. Vor ihr liegt ein Akkordeon, das eine lange Reise hinter sich hat. In den 1940er-Jahren war es sieben Tage auf dem Ozean unterwegs. Mehr als 70 Jahre später kommt es in einem Flugzeug zurück. Und neben dem Akkordeon steht ein hochdekori­erter Nato-General, der ihr dieses Instrument unbedingt vorbeibrin­gen wollte.

Christel Nierhoff, 87 Jahre alt, streicht mit ihren Händen über das Akkordeon. Dann findet sie ein Wort für all das: „Wahnsinn.“Es ist Donnerstag­morgen, ein verregnete­r Novemberta­g im Rathaus im EifelStädt­chen Schleiden, als eine Geschichte, die im Zweiten Weltkrieg ihren Anfang nahm, zu einem vorläufige­n Ende gebracht wird.

Der Bürgermeis­ter von Schleiden hat in den „Pauluskell­er“geladen, auf dem Tisch stehen eine kleine deutsche und eine kleine US-amerikanis­che Flagge. Es ist die Geschichte von zwei Familien. Eine Geschichte der Kriegswirr­en und eine Geschichte über die deutschame­rikanische Freundscha­ft, die im Kleinen noch funktionie­rt. Es ist die Geschichte eines Akkordeons.

Um sie zu verstehen, muss man bei dem amerikanis­chen General namens Scott A. Kindsvater anfangen, der im vollen Ornat und mit seinem Cousin Alan Kindsvater angereist ist. Der Großvater der beiden kämpfte im Zweiten Weltkrieg für die US-Amerikaner an der Westfront. Nach einem Gefecht entdeckte er bei einem toten deutschen Soldaten ein Akkordeon – und nahm es mit. Es war klein genug für seine Ausrüstung. Viel gesprochen habe der Großvater nie über den Krieg, sagt Alan Kindsvater, das sei so gewesen in seiner Generation. Aber an Weihnachte­n, da habe der Opa das kleine Instrument immer rausgeholt und angefangen zu erzählen. Er war verwundet worden. Im AkkordeonK­offer sieht man tatsächlic­h ein Einschussl­och. Die Quetschkom­mode – so die Legende – habe ihm das Leben gerettet.

2011 schließlic­h erbt General

Scott A. Kindsvater, aktuell in Brüssel stationier­t, das Akkordeon. Und eine Sache ließ ihn nicht mehr los – die noch leserliche Inschrift „M. Kupp, Schleiden/Eifel, Blumenthal­erstr. 3“.

„Ich war noch relativ frisch im Amt, als mir jemand mit einer NatoAdress­e eine E-Mail schrieb. Ich dachte mir: Du meine Güte, was will denn die Nato von einem kleinen Dörfchen wie Schleiden?“, erzählt Schleidens Bürgermeis­ter Ingo Pfennings. Es wurde um Amtshilfe gebeten: Ob man herausfind­en könne, wer „M. Kupp“ist oder war. Pfennings schmiss sofort seine Maschineri­e an, was in seinem Fall vier Frauen im Archiv, Standes- und Ordnungsam­t waren. Sie beugten sich über die Kupps der Stadt, landeten aber keinen Treffer.

In seiner Not besann sich Pfennings auf die Vorzüge eines Ortes dieser Größe: Jeder kennt irgendwie jeden. Und der örtliche CDU-Fraktionsv­orsitzende hieß – man ahnt es – Kupp. Jochen Kupp. Um es abzukürzen: Jochen Kupp kannte Stefan Kupp. Der wiederum ist der Bruder von Joachim Kupp. Und der erinnerte sich an eine Tante, die zeitlebens über den Verlust ihres kleinen Akkordeons geklagt hatte: Mia Kupp. Sie stammte aus einer Familie mit zehn Kindern, was nebenbei die große Verbreitun­g des KuppClans erklärt, war aber im Jahr 2011 gestorben. Eine Schwester lebt noch: Christel Nierhoff.

Wie das Instrument von ihrer Schwester an die Front gelangte, das kann sich auch Nierhoff nicht erklären. Mia habe es einer Freundin geliehen, ab da verlor sich die Spur. Nun soll es einen Ehrenplatz bekommen. „Ich hätte nie gedacht, dass das noch mal auftaucht.“

Und die Kindsvater­s? Der General trägt sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Und schließt damit ein Kapitel der eigenen Familienge­schichte. Am Abend werde auf den Opa angestoßen, sagt Cousin Alan. Deutsch spreche man – trotz deutscher Vorfahren – zwar nicht. Aber ein Wörtchen sei gut bekannt: „Prost“.

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Foto: Henning Kaiser, dpa Ein ganz besonderer Moment: General Scott A. Kindsvater übergibt das Akkordeon im Schleidene­r Rathaus an Christel Nierhoff.

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