Guenzburger Zeitung

Wolkig mit Aussicht auf ein Abenteuer

Jürgen Klinsmann ist vor allem eines: Das Verspreche­n auf eine spannende Zeit in Berlin. Um seine Vorstellun­gen umzusetzen, fehlt ihm ein wichtiger Faktor

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Berlin Im Eiltempo verpasst der prominente Trainer-Zugang Jürgen Klinsmann der 127 Jahre alten und arg schwächeln­den Hertha eine Frischzell­enkur. Und schon nach den ersten Kennenlern-Stunden mit den Berliner Profis und allen anderen Protagonis­ten des Bundesligi­sten wird deutlich: Der ehemalige Weltmeiste­r und Bundestrai­ner ist weit mehr als ein Helfer in der Not. „Wenn du A sagst, also Aufsichtsr­at, musst du auch B sagen“, erklärte Klinsmann vor seinem zweiten Trainer-Arbeitstag beim deutschen Meister von 1930 und 1931. Heißt: Gemeinsam mit dem neuen Investor Lars Windhorst bringt Klinsmann einen größeren Umgestaltu­ngsplan ins Rollen.

„Für den Verein insgesamt ist der Einstieg von Klinsmann und seinem Team ein tolles Signal mit Aufbruchst­immung“, sagte Windhorst. Jene, die angenommen hatten, der erstmals öffentlich­keitswirks­am im Fußball engagierte Finanzinve­stor würde die 224 Millionen Euro seiner Tennor-Gruppe ohne größeren Einfluss der Hertha überlassen, dürften inzwischen anders denken. Zunächst hatte er seinen Bevollmäch­tigten Klinsmann in den Aufsichtsr­at gehievt, jetzt ist Klinsmann Trainer. „Unsere Idee – das Zusammensp­iel von Kapital und FußballVer­stand – funktionie­rt“, erklärte Windhorst, noch bevor der erste Ball unter Klinsmann rollt.

Überrascht dürfte niemand sein, wie Klinsmann das Projekt Hertha angeht. Gleich fünf neue Fachkräfte brachte er mit. Schon als Bundestrai­ner von 2004 bis 2006 hatte der gebürtige Schwabe ein System mit vielen Spezialist­en und neuen Methoden installier­t, das auch Opfer forderte. Dazu kommt, dass der 108-malige Nationalsp­ieler ein „Mann mit enormer Strahlkraf­t“ist, wie auch Hertha-Manager Michael Preetz feststellt­e.

Trotz der kurzfristi­gen Fixierung auf ein schnelles Ende der sportliche­n Krise steht die Kombinatio­n Klinsmann/Windhorst für mittelund langfristi­ge Veränderun­gen und rüttelt an der bisherigen Klub-Hierarchie mit den Chefs Preetz und Werner Gegenbauer. Der HerthaPräs­ident hatte vor nicht einmal drei Wochen auf der Mitglieder­versammlun­g zu den möglichen Gefahren der Partnersch­aft mit Windhorst noch betont: „Wir behalten das Kommando.“„Die Zusammenar­beit von Tennor und Hertha ist noch nicht so alt, als dass wir uns in allen Bereichen aufgestell­t haben. Wir sind in der Sondierung­sphase. Wie wollen wir miteinande­r arbeiten und voneinande­r profitiere­n?“, sagte Preetz bei der KlinsmannV­orstellung.

Über viele Jahre war der Geschäftsf­ührer Sport und Ex-Vereins-Rekordtorj­äger das bekanntest­e Hertha-Gesicht. Die Richtung der Sondierung bestimmen nun zunächst „der Lars“, wie Klinsmann als Windhorst-Vertrauter oft sagt, und der neue Trainer. „Das Investment von Lars Windhorst hat auch das Ziel, in der Stadt etwas zu bewegen. Es ist superspann­end, dass ich daran mitkurbeln kann“, bemerkte Klinsmann. Das Problem dabei: Zuerst muss es ihm gelingen, die sportliche Situation schnell zu entspannen. „Das gibt Micha Zeit zu definieren: Wer könnte an Bord kommen? Wer bringt das Schiff langfristi­g nach vorne?“, bemerkte Klinsmann in Richtung seines Freundes und Vorgesetzt­en Preetz.

Der jüngst abgelöste BayernCoac­h Niko Kovac, der einen kurzfristi­gen Einstieg bei Hertha abgelehnt hatte, soll noch immer die favorisier­te Langzeit-Lösung sein. Der erste Eindruck von seinem Team sei „sehr positiv“, so Klinsmann nach dem Kennenlern­en auf dem Trainingsr­asen mit. „Ich kenne auch das Potenzial. Ich weiß um das ganze Talent, das da ist.“Doch der 55-Jährige wies auch auf eine der größten Herausford­erungen für sich und seinen neuen Stab hin: „Der Profisport lässt kaum Zeit.“

Schon am Samstag (15.30 Uhr, Sky) empfängt Klinsmanns Mannschaft Borussia Dortmund mit dem unter Druck stehenden Ex-HerthaCoac­h Lucien Favre. „Wichtig ist, dass wir Selbstvert­rauen aufbauen, dass sich alle gegenseiti­g unterstütz­en“, betonte Klinsmann. Nach vier Liga-Pleiten nacheinand­er und dem Absturz heran an die Abstiegszo­ne musste der in der Bundesliga unerfahren­e Trainer Ante Covic weichen. „Jetzt ist nur eins angesagt: der Mannschaft zu helfen mit allem Drum und Dran, um zu punkten. Um aus der prekären Situation so schnell wie möglich herauszuko­mmen. Das Abenteuer haben wir gestartet“, sagte Klinsmann.

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Sunnyboy im Regen: Jürgen Klinsmann lässt sich die Stimmung von so etwas Profanem wie dem Wetter nicht vermiesen. Der 55-Jährige hat allerhand vor. Fraglich ist, ob die Zeit dafür genügt.
Foto: Britta Pedersen, dpa Sunnyboy im Regen: Jürgen Klinsmann lässt sich die Stimmung von so etwas Profanem wie dem Wetter nicht vermiesen. Der 55-Jährige hat allerhand vor. Fraglich ist, ob die Zeit dafür genügt.

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