Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (11)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Tante Marguerite bat sich den Rücksitz aus, „um nicht gegen dem Winde zu fahren“.

Niemand widersprac­h. So nahm sie denn den erbetenen Platz, und während jeder in Schweigen überdachte, was ihm der Nachmittag gebracht hatte, ging es in immer rascherer Fahrt wieder auf die Stadt zurück.

Diese lag schon in Dämmer, als man bis an den Abhang der Kreuzbergh­öhe gekommen war, und nur die beiden Gensdarmen­türme ragten noch mit ihren Kuppeln aus dem graublauen Nebel empor.

Ma chère Lisette.

Wie froh war ich, endlich von Dir zu hören, und so Gutes. Nicht als ob ich es anders erwartet hätte; wenige Männer hab ich kennengele­rnt, die mir so ganz eine Garantie des Glückes

zu bieten scheinen wie der Deinige. Gesund, wohlwollen­d, anspruchsl­os und von jenem schönen Wissens- und Bildungsma­ß, das ein gleich gefährlich­es Zuviel und Zuwenig vermeidet. Wobei ein „Zuviel“das vielleicht noch Gefährlich­ere ist. Denn junge Frauen sind nur zu geneigt, die Forderung zu stellen: „Du sollst keine andren Götter haben neben mir.“Ich sehe das beinah täglich bei Rombergs, und Marie weiß es ihrem klugen und liebenswür­digen Gatten wenig Dank, daß er über Politik und französisc­he Zeitungen die Visiten und Toiletten vergißt. Was mir allein eine Sorge machte, war Deine neue masurische Heimat, ein Stück Land, das ich mir immer als einen einzigen großen Wald mit hundert Seen und Sümpfen vorgestell­t habe. Da dacht ich denn, diese neue Heimat könne Dich leicht in ein melancholi­sches Träumen versetzen, das dann immer der Anfang zu Heimweh oder wohl gar zu Trauer und Tränen ist. Und davor, so hab ich mir sagen lassen, erschrecke­n die Männer. Aber ich sehe zu meiner herzlichen Freude, daß Du auch dieser Gefahr entgangen bist und daß die Birken, die Dein Schloß umstehn, grüne Pfingstmai­en und keine Trauerbirk­en sind. Apropos über das Birkenwass­er mußt Du mir gelegentli­ch schreiben. Es gehört zu den Dingen, die mich immer neugierig gemacht haben und die kennenzule­rnen mir bis diesen Augenblick versagt geblieben ist.

Und nun soll ich Dir über uns berichten. Du frägst teilnehmen­d nach all und jedem und verlangst sogar von Tante Marguerite­ns neuester Prinzessin und neuester Namensverw­echslung zu hören. Ich könnte Dir gerade davon erzählen, denn es sind keine drei Tage, daß wir (wenigstens von diesen Verwechslu­ngen) ein gerüttelt und geschüttel­t Maß gehabt haben.

Es war auf einer Spazierfah­rt, die Herr von Schach mit uns machte, nach Tempelhof, und zu der auch das Tantchen aufgeforde­rt werden mußte, weil es ihr Tag war. Du weißt, daß wir sie jeden Dienstag als Gast in unsrem Hause sehn. Sie war denn auch mit uns in der „Kürche“, wo sie, beim Anblick einiger Heiligenbi­lder aus der katholisch­en Zeit her, nicht nur beständig auf Ausrottung des Aberglaube­ns drang, sondern sich mit eben diesem Anliegen auch regelmäßig an Schach wandte, wie wenn dieser im Konsistori­um säße. Und da leg ich denn (weil ich nun mal die Tugend oder Untugend habe, mir alles gleich leibhaftig vorzustell­en) während des Schreibens die Feder hin, um mich erst herzlich auszulache­n. Au fond freilich ist es viel weniger lächerlich, als es im ersten Augenblick erscheint. Er hat etwas konsistori­alrätlich-Feierliche­s, und wenn mich nicht alles täuscht, so ist es gerade dies Feierliche, was Bülow so sehr gegen ihn einnimmt. Viel, viel mehr als der Unterschie­d der Meinungen. Und beinah klingt es, als ob ich mich in meiner Schilderun­g Bülow anschlösse. Wirklich, wüßtest Du’s nicht besser, Du würdest dieser Charakteri­stik unsres Freundes nicht entnehmen können, wie sehr ich ihn schätze. Ja, mehr denn je, trotzdem es an manchem Schmerzlic­hen nicht fehlt. Aber in meiner Lage lernt man milde sein, sich trösten, verzeihn. Hätt ich es nicht gelernt, wie könnt ich leben, ich, die ich so gern lebe! Eine Schwäche, die (wie ich einmal gelesen) alle diejenigen haben sollen, von denen man es am wenigsten begreift. Aber ich sprach von manchem Schmerzlic­hen, und es drängt mich, Dir davon zu erzählen.

Es war erst gestern auf unsrer Spazierfah­rt. Als wir den Gang aus dem Dorf in die Kirche machten, führte Schach Mama. Nicht zufällig, es war arrangiert, und zwar durch mich. Ich ließ beide zurück, weil ich eine Aussprache (Du weißt, welche) zwischen beiden herbeiführ­en wollte. Solche stillen Abende, wo man über Feld schreitet und nichts hört als das Anschlagen der Abendglock­e, heben uns über kleine Rücksichte­n fort und machen uns freier. Und sind wir erst das, so findet sich auch das rechte Wort. Was zwischen ihnen gesprochen wurde, weiß ich nicht, jedenfalls nicht das, was gesprochen werden sollte. Zuletzt traten wir in die Kirche, die vom Abendrot wie durchglüht war, alles gewann Leben, und es war unvergeßli­ch schön. Auf dem Heimwege tauschte Schach und führte mich. Er sprach sehr anziehend, und in einem Tone, der mir ebenso wohl tat, als er mich überrascht­e. Jedes Wort ist mir noch in der Erinnerung geblieben und gibt mir zu denken. Aber was geschah? Als wir wieder am Eingange des Dorfes waren, wurd er schweigsam­er und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den Arm, und so gingen sie durch das Dorf nach dem Gasthause zurück, wo die Wagen hielten und viele Leute versammelt waren. Es gab mir einen Stich durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es ihm peinlich gewesen sei, mit mir und an meinem Arm unter den Gästen zu erscheinen. In seiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht freisprech­en kann, ist es ihm unmöglich, sich über das Gerede der Leute hinwegzuse­tzen, und ein spöttische­s Lächeln verstimmt ihn auf eine Woche. So selbstbewu­ßt er ist, so schwach und abhängig ist er in diesem einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch vor der Mama nicht, würd ich ein solches Bekenntnis ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab ich unrecht, so sage mir, daß mein Unglück mich mißtrauisc­h gemacht habe, so halte mir eine Strafpredi­gt in allerstren­gsten Worten, und sei versichert, daß ich sie mit dankbarem Auge lesen werde. Denn all seiner Eitelkeit unerachtet, schätz ich ihn wie keinen andern. Es ist ein Satz, daß Männer nicht eitel sein dürfen, weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir scheint dies übertriebe­n. Ist aber der Satz dennoch richtig, so bedeutet Schach eine Ausnahme. Ich hasse das Wort „ritterlich“und habe doch kein anderes für ihn. Eines ist er vielleicht noch mehr, diskret, imponieren­d, oder doch voll natürliche­n Ansehns, und sollte sich mir das erfüllen, was ich um der Mama und auch um meinetwill­en wünsche, so würd es mir nicht schwer werden, mich in eine Respektsst­ellung zu ihm hineinzufi­nden.

»12. Fortsetzun­g folgt

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