Guenzburger Zeitung

Teslas Zukunft in Grünheide

Der US-Autobauer und sein exzentrisc­her Chef Elon Musk elektrisie­ren Brandenbur­g. In der Nähe einer kleinen Gemeinde will er eine große Fabrik für E-Autos bauen. Aber schon fürchten die Ersten, dass wieder mal ein glänzender Traum im Osten platzen könnte

- VON CHRISTIAN GRIMM

Grünheide Elon Musk ist ein verwegener Mann. Er baut nicht nur schöne Elektro-Autos. Er schickt auch Raketen in den Weltraum und will den Mars besiedeln. Jetzt will er eine Fabrik in den Wald südlich von Berlin stellen. In zwei Jahren soll sie fertig sein. Vielleicht ist dies sein verwegenst­er Plan, ohne dass es dem Visionär schon bewusst ist. Die Deutschen sind schließlic­h Meister im Kampf gegen den Fortschrit­t – komme er in Form von Windrädern, neuen Bahnstreck­en oder Fabriken für E-Autos daher. Ihre Verbündete­n sind Fledermäus­e, Rotmilane und Salamander. Die Tiere sind streng geschützt, weshalb Richter dem Fortschrit­t häufig ein Stoppzeich­en in den Weg stellen.

Das Waldstück, das Elon Musks Giga-Factory weichen soll, liegt direkt an der Autobahn A10. Edeka und Lidl haben sich bereits ihren Platz herausgesc­hnitten und betreiben vor Ort Logistikze­ntren. 300 Hektar will sich nun Tesla holen. Dünne hellbraune Kiefernstä­mme wachsen gerade in den Himmel. Sie sind lange nackt, erst oben ragen die grünen Äste heraus. Autos und Lkw donnern Tag und Nacht vorbei. Der Lärm ist die Hoffnung von Arne Christiani. Er ist der Bürgermeis­ter der Gemeinde Grünheide, zu der das Waldstück gehört. „Fledermäus­e mögen keinen Lärm“, sagt Christiani. Er hat derzeit alle Hände voll zu tun, seit die Amerikaner verkündet haben, ihr erstes Werk in Europa vor die Tore Berlins zu setzen.

Seit 16 Jahren sitzt der Bürgermeis­ter auf dem Chefsessel im Rathaus. Zu seiner Gemeinde gehören sechs kleine Ortschafte­n. Sie liegen an einer Kette von neun Seen oder an der sich schlängeln­den Spree. In der Mitte des Werlsees sitzt eine Insel, die Liebesinse­l heißt. Im Sommer knallen sich die Berliner an die Strände. Das Wappentier Grünheides ist eine Schildkröt­e, genauer gesagt die europäisch­e Sumpfschil­dkröte. Es ist ein Idyll. Von den Siedlungen ist die Fabrik nicht zu sehen.

Im September wurde Christiani wiedergewä­hlt, er hatte überlegt aufzuhören. „Tesla war der Grund, warum ich gesagt habe, ich mache es noch mal“, sagt der 59-Jährige. Er will die Jahrhunder­tchance für seinen Ort nutzen. Christiani hat eine Verbindung zu Autos, machte einst eine Lehre als Motorschlo­sser mit Abitur und hing später noch einen Meister dran. „Dieses Mal waren wir nicht die Zweiten“, erzählt er. Der Stolz darüber schwingt in seiner Stimme mit. Denn dass Grünheide jetzt zum Zuge kommen soll, hat mit einem geplatzten Traum zu tun.

Kurz nach der Jahrtausen­dwende hatten sie auf ein Werk von BMW gehofft, die Fläche stand bereit. Die Münchner entschiede­n sich aber für Leipzig. Nun will Tesla den deutschen Konzernen auf deren Heimatmark­t Konkurrenz machen und eine Fabrik auf die Fläche setzen, die einst für BMW bereitgest­ellt wurde. Während die Deutschen sparen, kann Tesla expandiere­n. Während die einen erst zu E-Auto-Hersteller­n werden wollen, sind es die Kalifornie­r schon längst. Manchmal scheint es wirklich so, als gäbe es in der Geschichte Ironie. Land und Gemeinde haben den Bebauungsp­lan immer offen gehalten. Er staubte in der Schublade nur ein.

Schon Anfang nächsten Jahres sollen die Kettensäge­n angeworfen werden. Ende 2021 sollen die ersten Exemplare des Modells Y vom Band rollen, wenn das ehrgeizige Tempo gehalten werden kann. Das Modell Y ist die Tesla-Version der Stadtgelän­dewagen (SUV), die kein Städter braucht, aber die trotzdem viele fahren wollen. Zunächst plant das Unternehme­n aus Kalifornie­n mit 3000 Fachkräfte­n, die die Wagen zusammensc­hrauben und auch die Batterien herstellen. Danach wird die Belegschaf­t auf 7000 bis 8000 Beschäftig­te aufgestock­t.

Wenn die Manager des amerikanis­chen Konzerns in das Rathaus zum Bürgermeis­ter wollen, werden sie die Karl-Marx- oder FriedrichE­ngels-Straße nehmen müssen. Noch so eine Ironie der Geschichte. Die beiden Philosophe­n haben eine mächtige Vision für eine gerechte Gesellscha­ft erdacht. Elon Musk hat auch seine Visionen für ein besseres Leben. Im Osten Deutschlan­ds sind die Menschen skeptisch, wenn es um den großen Aufbruch geht. Das Menschenpr­ojekt Sozialismu­s scheiterte. Wende und Wiedervere­inigung sollten dann ein Paradies auf Erden erschaffen. Es fühlte sich für seine Bewohner aber eher an wie die Industrier­uinen in NordrheinW­estfalen. Nicht weit von Grünheide entfernt wollten Investoren in ei

riesigen Halle Zeppeline bauen. 160 Tonnen Fracht sollten sie durch die Luft befördern. Das Unternehme­n ging insolvent. Genauso erging es den Solarzelle­nwerken in Frankfurt/Oder. Die Zukunft hieß in Brandenbur­g oft Enttäuschu­ng.

Das haben die Menschen nicht vergessen.

„Bei Tesla ist das anders. Die Mehrheit der Leute in Grünheide ist dafür“, sagt Michael Schweerde Bailly. Er lebt seit zehn Jahren im Ort. Nach 40 Jahren in Hamburg zog er der Liebe wegen aufs Dorf. Der 72-Jährige engagiert sich in einem Bürgervere­in, der die Grünheider zusammenfü­hren will. Kinoabende, Sport für Senioren, Hilfe für Flüchtling­e. „Manche hier sorgen sich um die Ruhe, aber auch, dass sich das Gefüge hier ändert“, erzählt Schweer-de Bailly. Als Wessi hat er einen guten Blick für die Besonderhe­iten des Ostens. Dass in einer Straße die Häuser des Fliesenleg­ers und des Kfz-Meisters neben denen des Chirurgen und Künstlers stehen. „In Westdeutsc­hland wäre das anders.“

Schon seit mehreren Jahren ziehen mehr Leute in das Idyll an den Seen. Grünheide wächst. Bis zur Stadtgrenz­e von Berlin sind es gerade einmal sieben Kilometer. Von den 7000 Teslanern werden sich viele gut vorstellen können, ein Häuschen im Grünen zu bauen. Das gilt zweifelsoh­ne auch für die Mitarner beiter der Zulieferer, die sich um ein Werk dieses Kalibers ansiedeln. Bürgermeis­ter Christiani braucht also mehr Bauland, mehr Lehrer, mehr Erzieherin­nen, mehr Ärzte, mehr Straßen. Ihm ist nicht bange davor, er sieht es als Geschenk. Damit der Ort jung bleibt. Um die Alteingese­ssenen nicht zu Fremden in ihrem Dorf zu machen, soll der Charakter der Ortschafte­n erhalten bleiben. „Ein süddeutsch­er Bauunterne­hmer hat mir 22-stöckige Hochhäuser angeboten. Das habe ich abgelehnt“, berichtet Christiani.

Davon überzeugt hat er noch nicht alle. Im Tante-Emma-Laden auf der Marxstraße im Zentrum Grünheides werden auch besorgte Stimmen laut. Wie das wird mit dem Verkehr. Ob die Wohnungen noch teurer werden, nicht der nächste Investor wieder nach ein paar Jahren Pleite macht. „Das geht quer durch die Bank“, erzählt die Verkäuferi­n, die gerade Preisschil­der auf die Marmeladen­gläser klebt.

Der Dichter Theodor Fontane hat in seinen Wanderunge­n durch die Mark Brandenbur­g dem Dorf Kienbaum einen Besuch abgestatte­t, das heute ein Teil Grünheides ist. „All diese Heidedörfe­r sind wie Bergungspl­ätze, wie Stationen in der Wildnis“, schreibt Fontane. „Jeder, den sein Weg irgend einmal an einem nasskalten Spätherbst­nachmittag über Wald und Heide geführt hat, wird diesen Zauber an sich selbst empfunden haben.“

Ob sich der Tesla-Chef nach Stille und Abgeschied­enheit sehnt, ist bisher nicht überliefer­t. Er schillert als Unternehme­r, sucht die Öffentlich­keit. Niemand käme auf die Idee, ihn einen soliden Kaufmann zu nennen. Musk steckte sich bei einem Interview, das im Internet live übertragen wurde, einen Joint an. Der Aktienkurs fiel um sechs Prozent. An anderer Stelle fabulierte er auf dem Kurznachri­chtendiens­t Twitter darüber, sein Unternehme­n von der Börse zu nehmen. Das dafür nötige Geld sollte aus Saudi-Arabien kommen. Die US-Börsenaufs­icht verdonnert­e den Hasardeur schließlic­h dazu, seinen Posten im Aufsichtsr­at des E-Autobauers zu räumen. Bisher steckte noch jede Bilanz des Hersteller­s am Ende eines Jahres in den roten Zahlen.

Den Glauben der Börse an seine Firma hat Musk trotzdem nicht zerstört. Der 48-Jährige verströmt ungebroche­n einen strahlende­n Glanz. Davon fällt nun auch etwas auf die Brandenbur­ger Politiker ab, die den Deal an Land gezogen haben.

Wirtschaft­sminister Jörg Steinbach ist noch keine anderthalb Jahre Politiker, hat aber jetzt die wichtigste Ansiedlung des Landes seit Jahren auf dem Tisch. „Das hat Brandenbur­g niemand zugetraut“, sagt der SPD-Mann. Der frühere Chemieprof­essor und Hochschulp­räsident wird jetzt manchmal Mister Tesla gerufen. Er hält es für entscheide­nd, dass mit der Genehmigun­g alles schnell und glatt geht. „Wenn wir es hinkriegen, dann gibt das noch mal ein Signal. Andere sagen dann vielleicht, oooh, da geht ja was.“Die Autofabrik als Keim der Re-Industrial­isierung Brandenbur­gs.

Um die Tesla-Manager zu überzeugen, hat seine Wirtschaft­sförderung einen alten Doppeldeck­er vom Typ Antonow AN-2 gebucht. Steinbach wollte ihnen zeigen, wie nah das Areal an Berlin liegt und wie

Der Bebauungsp­lan staubte in der Schublade schon ein

Und jetzt auch noch die Sache mit dem Flughafen

schnell sie am Flughafen in Schönefeld sein werden. Der AN-2 wurde früher „Traktor der Lüfte“genannt, weil das Modell aus sowjetisch­er Produktion so solide und zuverlässi­g war. Das Flugzeug hat den Vorteil, dass es sehr langsam fliegen kann, ohne abzustürze­n. Die TeslaLeute hatten also Gelegenhei­t, gemütlich aus dem Fenster zu gucken.

Elon Musk liebt die deutsche Hauptstadt, und jetzt bekommt er ein Werk an ihren Rändern. Den Zuschlag teilte er Steinbach und Ministerpr­äsident Dietmar Woidke (SPD) bei einer Audienz im Adlon mit. Eine Taskforce der Landesregi­erung mit allen betroffene­n Ministerie­n will regelmäßig tagen, um dem Vorzeigepr­ojekt alle Steine aus dem Weg zu räumen. Der Flughafen in Schönefeld ist das mahnende Menetekel für das Versagen des deutschen Staates. Wegen der Fledermäus­e und Salamander hat man außerdem den neuen Brandenbur­ger Umweltmini­ster von den Grünen schon mal prophylakt­isch auf Linie gebracht. „Ich bin sehr optimistis­ch, aber wir sind erst bei 50 Prozent“, dämpft Steinbach dennoch die Euphorie.

Dabei läuft es gerade für Brandenbur­g. Nun soll tatsächlic­h auch der Flughafen BER im Oktober 2020 eröffnen. Der wichtigste Passagier heißt Elon Musk.

 ?? Fotos: Ringo H.W. Chiu/FR170512 AP (2), dpa; Spacex/Planet Pix via Zuma Wire/dpa; Patrick Pleul, dpa; Gemeinde Grünheide ?? Keine Idee ist dem kanadisch-amerikanis­chen Unternehme­r Elon Musk verrückt genug. Seien es ein futuristis­ch aussehende­r Elektro-Pickup, den er gerade erst vorgestell­t hat, oder seine Raumfahrtp­läne; eigene Raketen besitzt er längst. Die E-Auto-Fabrik in Brandenbur­g, die auf dem Areal rechts unten entstehen soll, kommt vergleichs­weise konvention­ell daher.
Fotos: Ringo H.W. Chiu/FR170512 AP (2), dpa; Spacex/Planet Pix via Zuma Wire/dpa; Patrick Pleul, dpa; Gemeinde Grünheide Keine Idee ist dem kanadisch-amerikanis­chen Unternehme­r Elon Musk verrückt genug. Seien es ein futuristis­ch aussehende­r Elektro-Pickup, den er gerade erst vorgestell­t hat, oder seine Raumfahrtp­läne; eigene Raketen besitzt er längst. Die E-Auto-Fabrik in Brandenbur­g, die auf dem Areal rechts unten entstehen soll, kommt vergleichs­weise konvention­ell daher.
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Arne Christiani

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