Teslas Zukunft in Grünheide
Der US-Autobauer und sein exzentrischer Chef Elon Musk elektrisieren Brandenburg. In der Nähe einer kleinen Gemeinde will er eine große Fabrik für E-Autos bauen. Aber schon fürchten die Ersten, dass wieder mal ein glänzender Traum im Osten platzen könnte
Grünheide Elon Musk ist ein verwegener Mann. Er baut nicht nur schöne Elektro-Autos. Er schickt auch Raketen in den Weltraum und will den Mars besiedeln. Jetzt will er eine Fabrik in den Wald südlich von Berlin stellen. In zwei Jahren soll sie fertig sein. Vielleicht ist dies sein verwegenster Plan, ohne dass es dem Visionär schon bewusst ist. Die Deutschen sind schließlich Meister im Kampf gegen den Fortschritt – komme er in Form von Windrädern, neuen Bahnstrecken oder Fabriken für E-Autos daher. Ihre Verbündeten sind Fledermäuse, Rotmilane und Salamander. Die Tiere sind streng geschützt, weshalb Richter dem Fortschritt häufig ein Stoppzeichen in den Weg stellen.
Das Waldstück, das Elon Musks Giga-Factory weichen soll, liegt direkt an der Autobahn A10. Edeka und Lidl haben sich bereits ihren Platz herausgeschnitten und betreiben vor Ort Logistikzentren. 300 Hektar will sich nun Tesla holen. Dünne hellbraune Kiefernstämme wachsen gerade in den Himmel. Sie sind lange nackt, erst oben ragen die grünen Äste heraus. Autos und Lkw donnern Tag und Nacht vorbei. Der Lärm ist die Hoffnung von Arne Christiani. Er ist der Bürgermeister der Gemeinde Grünheide, zu der das Waldstück gehört. „Fledermäuse mögen keinen Lärm“, sagt Christiani. Er hat derzeit alle Hände voll zu tun, seit die Amerikaner verkündet haben, ihr erstes Werk in Europa vor die Tore Berlins zu setzen.
Seit 16 Jahren sitzt der Bürgermeister auf dem Chefsessel im Rathaus. Zu seiner Gemeinde gehören sechs kleine Ortschaften. Sie liegen an einer Kette von neun Seen oder an der sich schlängelnden Spree. In der Mitte des Werlsees sitzt eine Insel, die Liebesinsel heißt. Im Sommer knallen sich die Berliner an die Strände. Das Wappentier Grünheides ist eine Schildkröte, genauer gesagt die europäische Sumpfschildkröte. Es ist ein Idyll. Von den Siedlungen ist die Fabrik nicht zu sehen.
Im September wurde Christiani wiedergewählt, er hatte überlegt aufzuhören. „Tesla war der Grund, warum ich gesagt habe, ich mache es noch mal“, sagt der 59-Jährige. Er will die Jahrhundertchance für seinen Ort nutzen. Christiani hat eine Verbindung zu Autos, machte einst eine Lehre als Motorschlosser mit Abitur und hing später noch einen Meister dran. „Dieses Mal waren wir nicht die Zweiten“, erzählt er. Der Stolz darüber schwingt in seiner Stimme mit. Denn dass Grünheide jetzt zum Zuge kommen soll, hat mit einem geplatzten Traum zu tun.
Kurz nach der Jahrtausendwende hatten sie auf ein Werk von BMW gehofft, die Fläche stand bereit. Die Münchner entschieden sich aber für Leipzig. Nun will Tesla den deutschen Konzernen auf deren Heimatmarkt Konkurrenz machen und eine Fabrik auf die Fläche setzen, die einst für BMW bereitgestellt wurde. Während die Deutschen sparen, kann Tesla expandieren. Während die einen erst zu E-Auto-Herstellern werden wollen, sind es die Kalifornier schon längst. Manchmal scheint es wirklich so, als gäbe es in der Geschichte Ironie. Land und Gemeinde haben den Bebauungsplan immer offen gehalten. Er staubte in der Schublade nur ein.
Schon Anfang nächsten Jahres sollen die Kettensägen angeworfen werden. Ende 2021 sollen die ersten Exemplare des Modells Y vom Band rollen, wenn das ehrgeizige Tempo gehalten werden kann. Das Modell Y ist die Tesla-Version der Stadtgeländewagen (SUV), die kein Städter braucht, aber die trotzdem viele fahren wollen. Zunächst plant das Unternehmen aus Kalifornien mit 3000 Fachkräften, die die Wagen zusammenschrauben und auch die Batterien herstellen. Danach wird die Belegschaft auf 7000 bis 8000 Beschäftigte aufgestockt.
Wenn die Manager des amerikanischen Konzerns in das Rathaus zum Bürgermeister wollen, werden sie die Karl-Marx- oder FriedrichEngels-Straße nehmen müssen. Noch so eine Ironie der Geschichte. Die beiden Philosophen haben eine mächtige Vision für eine gerechte Gesellschaft erdacht. Elon Musk hat auch seine Visionen für ein besseres Leben. Im Osten Deutschlands sind die Menschen skeptisch, wenn es um den großen Aufbruch geht. Das Menschenprojekt Sozialismus scheiterte. Wende und Wiedervereinigung sollten dann ein Paradies auf Erden erschaffen. Es fühlte sich für seine Bewohner aber eher an wie die Industrieruinen in NordrheinWestfalen. Nicht weit von Grünheide entfernt wollten Investoren in ei
riesigen Halle Zeppeline bauen. 160 Tonnen Fracht sollten sie durch die Luft befördern. Das Unternehmen ging insolvent. Genauso erging es den Solarzellenwerken in Frankfurt/Oder. Die Zukunft hieß in Brandenburg oft Enttäuschung.
Das haben die Menschen nicht vergessen.
„Bei Tesla ist das anders. Die Mehrheit der Leute in Grünheide ist dafür“, sagt Michael Schweerde Bailly. Er lebt seit zehn Jahren im Ort. Nach 40 Jahren in Hamburg zog er der Liebe wegen aufs Dorf. Der 72-Jährige engagiert sich in einem Bürgerverein, der die Grünheider zusammenführen will. Kinoabende, Sport für Senioren, Hilfe für Flüchtlinge. „Manche hier sorgen sich um die Ruhe, aber auch, dass sich das Gefüge hier ändert“, erzählt Schweer-de Bailly. Als Wessi hat er einen guten Blick für die Besonderheiten des Ostens. Dass in einer Straße die Häuser des Fliesenlegers und des Kfz-Meisters neben denen des Chirurgen und Künstlers stehen. „In Westdeutschland wäre das anders.“
Schon seit mehreren Jahren ziehen mehr Leute in das Idyll an den Seen. Grünheide wächst. Bis zur Stadtgrenze von Berlin sind es gerade einmal sieben Kilometer. Von den 7000 Teslanern werden sich viele gut vorstellen können, ein Häuschen im Grünen zu bauen. Das gilt zweifelsohne auch für die Mitarner beiter der Zulieferer, die sich um ein Werk dieses Kalibers ansiedeln. Bürgermeister Christiani braucht also mehr Bauland, mehr Lehrer, mehr Erzieherinnen, mehr Ärzte, mehr Straßen. Ihm ist nicht bange davor, er sieht es als Geschenk. Damit der Ort jung bleibt. Um die Alteingesessenen nicht zu Fremden in ihrem Dorf zu machen, soll der Charakter der Ortschaften erhalten bleiben. „Ein süddeutscher Bauunternehmer hat mir 22-stöckige Hochhäuser angeboten. Das habe ich abgelehnt“, berichtet Christiani.
Davon überzeugt hat er noch nicht alle. Im Tante-Emma-Laden auf der Marxstraße im Zentrum Grünheides werden auch besorgte Stimmen laut. Wie das wird mit dem Verkehr. Ob die Wohnungen noch teurer werden, nicht der nächste Investor wieder nach ein paar Jahren Pleite macht. „Das geht quer durch die Bank“, erzählt die Verkäuferin, die gerade Preisschilder auf die Marmeladengläser klebt.
Der Dichter Theodor Fontane hat in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg dem Dorf Kienbaum einen Besuch abgestattet, das heute ein Teil Grünheides ist. „All diese Heidedörfer sind wie Bergungsplätze, wie Stationen in der Wildnis“, schreibt Fontane. „Jeder, den sein Weg irgend einmal an einem nasskalten Spätherbstnachmittag über Wald und Heide geführt hat, wird diesen Zauber an sich selbst empfunden haben.“
Ob sich der Tesla-Chef nach Stille und Abgeschiedenheit sehnt, ist bisher nicht überliefert. Er schillert als Unternehmer, sucht die Öffentlichkeit. Niemand käme auf die Idee, ihn einen soliden Kaufmann zu nennen. Musk steckte sich bei einem Interview, das im Internet live übertragen wurde, einen Joint an. Der Aktienkurs fiel um sechs Prozent. An anderer Stelle fabulierte er auf dem Kurznachrichtendienst Twitter darüber, sein Unternehmen von der Börse zu nehmen. Das dafür nötige Geld sollte aus Saudi-Arabien kommen. Die US-Börsenaufsicht verdonnerte den Hasardeur schließlich dazu, seinen Posten im Aufsichtsrat des E-Autobauers zu räumen. Bisher steckte noch jede Bilanz des Herstellers am Ende eines Jahres in den roten Zahlen.
Den Glauben der Börse an seine Firma hat Musk trotzdem nicht zerstört. Der 48-Jährige verströmt ungebrochen einen strahlenden Glanz. Davon fällt nun auch etwas auf die Brandenburger Politiker ab, die den Deal an Land gezogen haben.
Wirtschaftsminister Jörg Steinbach ist noch keine anderthalb Jahre Politiker, hat aber jetzt die wichtigste Ansiedlung des Landes seit Jahren auf dem Tisch. „Das hat Brandenburg niemand zugetraut“, sagt der SPD-Mann. Der frühere Chemieprofessor und Hochschulpräsident wird jetzt manchmal Mister Tesla gerufen. Er hält es für entscheidend, dass mit der Genehmigung alles schnell und glatt geht. „Wenn wir es hinkriegen, dann gibt das noch mal ein Signal. Andere sagen dann vielleicht, oooh, da geht ja was.“Die Autofabrik als Keim der Re-Industrialisierung Brandenburgs.
Um die Tesla-Manager zu überzeugen, hat seine Wirtschaftsförderung einen alten Doppeldecker vom Typ Antonow AN-2 gebucht. Steinbach wollte ihnen zeigen, wie nah das Areal an Berlin liegt und wie
Der Bebauungsplan staubte in der Schublade schon ein
Und jetzt auch noch die Sache mit dem Flughafen
schnell sie am Flughafen in Schönefeld sein werden. Der AN-2 wurde früher „Traktor der Lüfte“genannt, weil das Modell aus sowjetischer Produktion so solide und zuverlässig war. Das Flugzeug hat den Vorteil, dass es sehr langsam fliegen kann, ohne abzustürzen. Die TeslaLeute hatten also Gelegenheit, gemütlich aus dem Fenster zu gucken.
Elon Musk liebt die deutsche Hauptstadt, und jetzt bekommt er ein Werk an ihren Rändern. Den Zuschlag teilte er Steinbach und Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bei einer Audienz im Adlon mit. Eine Taskforce der Landesregierung mit allen betroffenen Ministerien will regelmäßig tagen, um dem Vorzeigeprojekt alle Steine aus dem Weg zu räumen. Der Flughafen in Schönefeld ist das mahnende Menetekel für das Versagen des deutschen Staates. Wegen der Fledermäuse und Salamander hat man außerdem den neuen Brandenburger Umweltminister von den Grünen schon mal prophylaktisch auf Linie gebracht. „Ich bin sehr optimistisch, aber wir sind erst bei 50 Prozent“, dämpft Steinbach dennoch die Euphorie.
Dabei läuft es gerade für Brandenburg. Nun soll tatsächlich auch der Flughafen BER im Oktober 2020 eröffnen. Der wichtigste Passagier heißt Elon Musk.