Der Tag, an dem Alfred Herrhausen starb
Auch 30 Jahre nach dem Mord an dem Chef der Deutschen Bank dauern die Ermittlungen an. Über die dritte Generation der RAF ist nach wie vor wenig bekannt. Bis heute gilt der Ermordete als Ausnahmemanager
Frankfurt/Main Es ist ein kühler Morgen am 30. November 1989. Gegen 8.30 Uhr verlässt DeutscheBank-Chef Alfred Herrhausen sein Haus in Bad Homburg, um sich ins nahe Frankfurt fahren zu lassen. Begleitet von Sicherheitsleuten in zwei weiteren Limousinen rollt der Tross den Seedammweg entlang. Plötzlich ertönt ein lauter Knall. Mehrere Kilo Sprengstoff, deponiert auf einem Kinderfahrrad, gehen in die Luft. Die Bombe trifft den Spitzenmanager, der hinten im Auto sitzt, mit ungeheurer Präzision. Herrhausen stirbt am Tatort, sein Fahrer überlebt verletzt.
Zu dem Attentat bekennt sich kurz darauf die dritte Generation der Rote-Armee-Fraktion. Doch die Täter sind auch nach drei Jahrzehnten nicht gefunden. „Das Verfahren ist noch offen, die Ermittlungen dauern an“, sagt ein Sprecher der Bundesanwaltschaft. Gerade über die dritte Generation ist weiterhin wenig bekannt. Auf ihr Konto sollen mehrere Morde gehen, so auch an Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts (1986) und Treuhand-Chef Detlev Karsten Rohwedder (1991). Führende Köpfe waren Wolfgang Grams und Brigitte Hogefeld. Grams stirbt 1993 nach einer Schießerei mit der Polizei in Bad Kleinen in Mecklenburg-Vorpommern, nachdem er angeschossen seine eigene Waffe auf sich richtete und zuvor einen GSG-9-Beamten erschossen hatte. Hogefeld, die sich widerstandslos festnehmen ließ, wird 2011 aus der Haft entlassen. 1998 hatte die RAF längst ihre Auflösung erklärt.
Zum Attentat auf Herrhausen gehen in den vergangenen drei Jahr1500 Hinweise ein. Die Bombe wurde mithilfe einer Lichtschranke gezündet. Vermutlich konnten die Täter – getarnt als Bauarbeiter – die Technik ungestört vorbereiten. Anfang der neunziger Jahre sieht es nach einem Fahndungserfolg aus, als Siegfried Nonne, ein früherer V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes, mehrere RAF-Mitglieder und sich selbst belastet. Doch die Widersprüche sind groß. Nonne, dem ein Gutachter massive psychische Störungen nachweist, widerruft zwischenzeitlich seine Aussage, um dann den Widerruf zurückzunehmen.
Möglicherweise kostete eine
Schwachstelle in Herrhausens gepanzertem Dienstwagen den Bankmanager das Leben, berichtet der Spiegel in seiner neuen Ausgabe unter Berufung auf Martin Tuffner, den damaligen Leiter der Terrorbekämpfung beim Bundeskriminalamt: Herrhausen habe in eine Fahrzeugtür einen Kurbelmechanismus einbauen lassen, um das Fenster aus Panzerglas öffnen zu können. Dafür hätten Teile der Türpanzerung entfernt werden müssen – und auf exakt diese Stelle sei die Bombe ausgerichtet gewesen.
Später kommt der Verdacht auf, die Stasi könnte an dem Mord beteiligt gewesen sein. Dazu gebe es keizehnten ne konkreten Anhaltspunkte, heißt es heute aus Ermittlerkreisen. An Spekulationen werde man sich nicht beteiligen. Herrhausen gilt seinerzeit als eine der gefährdetsten Personen in der Bundesrepublik – und war sich dessen durchaus bewusst. Bereits zu Zeiten der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer hat er eine Erklärung verfasst, dass im Falle seiner eigenen Entführung nicht auf entsprechende Forderungen eingegangen werden soll, wie seine Frau Traudl Herrhausen vor Jahren in dem Film „Black Box BRD“berichtete.
Denn als Visionär sah er nicht nur die Bilanzzahlen, sondern wollte die Zukunft gestalten. Der gebürtige Essener, der zuvor in der Gas- und Elektrizitätsindustrie aufgestiegen war, kommt als Quereinsteiger zur Deutschen Bank. Das Geldhaus baut er zu einem Institut mit Weltstatus um. „Für ihn gehörten wirtschaftliches Handeln und gesamtgesellschaftliche Verantwortung untrennbar zusammen“, sagt der heutige Deutsche-Bank-Kommunikationschef Jörg Eigendorf. Engagiert vertritt Herrhausen die Forderung nach einem Schuldenerlass für Entwicklungsländer.
Die RAF wertet das in ihrem Bekennerschreiben als Versuch, die „bestehenden Herrschafts- und Ausplünderungsverhältnisse längerfristig zu sichern“. Innerhalb der Bank stößt Herrhausen mit seiner modernen Art, seinem offenen Geist sowie der schonungslosen Analyse
Die Mörder meldeten sich per Anruf bei der Familie
wohl auch auf Widerstand. „Diese Bedenkenträger hat er gehasst“, sagt Traudl Herrhausen im Film. „Ich glaube schon, dass er sich zunehmend auch einsam gefühlt hat.“
Alfred Herrhausen stirbt zwei Monate vor seinem 60. Geburtstag. Die RAF bekennt sich nicht nur per Schreiben zur Tat, sondern auch per Anruf bei der trauernden Familie, wie sich Herrhausens Patentochter, die Publizistin Carolin Emcke kürzlich in dem Podcast „Alles gesagt“erinnert. „Das ist von einer Widerwärtigkeit, die einen schon nachhaltig verstört.“Der Ausnahmebanker hinterlässt seine Frau und zwei Töchter. Am Tatort im Seedammweg erinnert heute ein Denkmal mit Basalt-Stelen an Herrhausen. In eine ist ein Bachmann-Zitat eingelassen: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“Jenny Tobien, dpa