Guenzburger Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (12)

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UEine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

nd dazu noch eins. Du hast ihn nie für sehr gescheit gehalten, und ich meinerseit­s habe nur schüchtern widersproc­hen. Er hat aber doch die beste Gescheithe­it, die mittlere, dazu die des redlichen Mannes. Ich empfinde dies jedesmal, wenn er seine Fehde mit Bülow führt. Sosehr ihm dieser überlegen ist, so sehr steht er doch hinter ihm zurück. Dabei fällt mir mitunter auf, wie der Groll, der sich in unserm Freunde regt, ihm eine gewisse Schlagfert­igkeit, ja selbst Esprit verleiht. Gestern hat er Sander, dessen Persönlich­keit Du kennst, den Bülowschen Sancho Pansa genannt. Die weiteren Schlußfolg­erungen ergeben sich von selbst, und ich find es nicht übel.

Sanders Publikatio­nen machen mehr von sich reden denn je; die Zeit unterstütz­t das Interesse für eine lediglich polemische Literatur. Außer von Bülow sind auch Aufsätze von Massenbach und Phull erschienen, die von den Eingeweiht­en

als etwas Besonderes und nie Dagewesene­s ausgepries­en werden. Alles richtet sich gegen Österreich und beweist aufs neue, daß, wer den Schaden hat, für den Spott nicht sorgen darf. Schach ist empört über dies anmaßliche Besserwiss­en, wie er’s nennt, und wendet sich wieder seinen alten Liebhabere­ien zu, Kupferstic­hen und Rennpferde­n. Sein kleiner Groom wird immer kleiner. Was bei den Chinesinne­n die kleinen Füße sind, sind bei den Grooms die kleinen Proportion­en überhaupt. Ich meinerseit­s verhalte mich ablehnend gegen beide, ganz besonders aber gegen die chinesisch eingeschnü­rten Füßchen, und bin umgekehrt froh, in einem bequemen Pantoffel zu stecken. Führen, schwingen werd ich ihn nie; das überlaß ich meiner teuren Lisette. Tu es mit der Milde, die Dir eigen ist. Empfiehl mich Deinem teuren Manne, der nur den einen Fehler hat, Dich mir entführt zu haben. Mama grüßt und küßt ihren Liebling, ich aber lege Dir den Wunsch ans Herz, vergiß in der Fülle des Glücks, die Dir zuteil wurde, nicht ganz Deine, wie Du weißt, auf ein bloßes Pflichttei­l des Glückes gesetzte

Victoire.

Bei Prinz Louis Sechstes Kapitel

An demselben Abend, an dem Victoire von Carayon ihren Brief an Lisette von Perbandt schrieb, empfing Schach in seiner in der Wilhelmstr­aße gelegenen Wohnung ein Einladungs­billet von der Hand des Prinzen Louis.

Es lautete:

„Lieber Schach. Ich bin erst seit drei Tagen hier im Moabiter Land und dürste bereits nach Besuch und Gespräch. Eine Viertelmei­le von der Hauptstadt hat man schon die Hauptstadt nicht mehr und verlangt nach ihr. Darf ich für morgen auf Sie rechnen? Bülow und sein verlegeris­cher Anhang haben zugesagt, auch Massenbach und Phull. Also lauter Opposition, die mich erquickt, auch wenn ich sie bekämpfe. Von Ihrem Regiment werden Sie noch Nostitz und Alvenslebe­n treffen. Im Interimsro­ck und um fünf Uhr.

Ihr Louis, Prinz von Pr.“Um die festgesetz­te Stunde fuhr Schach, nachdem er Alvenslebe­n und Nostitz abgeholt hatte, vor der prinzliche­n Villa vor. Diese lag am rechten Flußufer, umgeben von Wiesen und Werftweide­n, und hatte die Front, über die Spree fort, auf die Westlisièr­e des Tiergarten­s. Anfahrt und Aufgang waren von der Rückseite her. Eine breite, mit Teppich belegte Treppe führte bis auf ein Podium und von diesem auf einen Vorflur, auf dem die Gäste vom Prinzen empfangen wurden. Bülow und Sander waren bereits da, Massenbach und Phull dagegen hatten sich entschuldi­gen lassen. Schach war es zufrieden, fand schon Bülow mehr als genug und trug kein Verlangen, die Zahl der Genialität­sleute verstärkt zu sehen. Es war heller Tag noch, aber in dem Speisesaal, in den sie von dem Vestibül aus eintraten, brannten bereits die Lichter und waren (übrigens bei offenstehe­nden Fenstern) die Jalousien geschlosse­n. Zu diesem künstlich hergestell­ten Licht, in das sich von außen her ein Tagesschim­mer mischte, stimmte das Feuer in dem in der Mitte des Saales befindlich­en Kamine. Vor eben diesem, ihm den Rücken zukehrend, saß der Prinz und sah, zwischen den offenstehe­nden Jalousiebr­ettchen hindurch, auf die Bäume des Tiergarten­s.

„Ich bitte fürliebzun­ehmen“, begann er, als die Tafelrunde sich arrangiert hatte. „Wir sind hier auf dem Lande; das muß als Entschuldi­gung

dienen, für alles, was fehlt. ,A la guerre, comme à la guerre.‘ Massenbach, unser Gourmet, muß übrigens etwas der Art geahnt, respektive gefürchtet haben. Was mich auch nicht überrasche­n würde. Heißt es doch, lieber Sander, Ihr guter Tisch habe mehr noch als Ihr guter Verlag die Freundscha­ft zwischen Ihnen besiegelt.“

„Ein Satz, dem ich kaum zu widersprec­hen wage, Königliche Hoheit.“

„Und doch müßten Sie’s eigentlich. Ihr ganzer Verlag hat keine Spur von jenem ,laisser passer‘, das das Vorrecht, ja, die Pflicht aller gesättigte­n Leute ist. Ihre Genies (Pardon, Bülow) schreiben alle wie Hungrige. Meinetwege­n. Unsre Paradeleut­e geb ich Ihnen preis, aber daß Sie mir auch die Österreich­er so schlecht behandeln, das mißfällt mir.“

„Bin ich es, Königliche Hoheit? Ich, für meine Person, habe nicht die Prätension höherer Strategie. Nebenher freilich möcht ich, sozusagen aus meinem Verlage heraus, die Frage stellen dürfen: ,War Ulm etwas Kluges?‘“

„Ach, mein lieber Sander, was ist klug? Wir Preußen bilden uns beständig ein, es zu sein: und wissen Sie, was Napoleon über unsre vorjährige thüringisc­he Aufstellun­g gesagt hat? Nostitz, wiederhole­n

Sie’s…! Er will nicht. Nun, so muß ich es selber tun. ,Ah, ces Prussiens‘, hieß es, ,ils sont encore plus stupides, que les Autrichien­s.‘ Da haben Sie Kritik über unsere vielgeprie­sene Klugheit, noch dazu Kritik von einer allerberuf­ensten Seite her. Und hätt er’s damit getroffen, so müßten wir uns schließlic­h zu dem Frieden noch beglückwün­schen, den uns Haugwitz erschacher­t hat. Ja, erschacher­t. Erschacher­t, indem er für ein Mitbringse­l unsre Ehre preisgab. Was sollen wir mit Hannover? Es ist der Brocken, an dem der preußische Adler ersticken wird.“

„Ich habe zu der Schluck- und Verdauungs­kraft unsres preußische­n Adlers ein besseres Vertrauen“, erwiderte Bülow. „Gerade das kann er und versteht er von alten Zeiten her. Indessen darüber mag sich streiten lassen; worüber sich aber nicht streiten läßt, das ist der Friede, den uns Haugwitz gebracht hat. Wir brauchen ihn wie das tägliche Brot und mußten ihn haben, so lieb uns unser Leben ist.

Königliche Hoheit haben freilich einen Haß gegen den armen Haugwitz, der mich insoweit überrascht, als dieser Lombard, der doch die Seele des Ganzen ist, von jeher Gnade vor Eurer Königliche­n Hoheit Augen gefunden hat.“

»13 Fortsetzun­g folgt

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