Guenzburger Zeitung

„Wir kriegen Aids in den Griff“

An diesem Sonntag ist Welt-Aids-Tag. Die Immunschwä­che könnte aus Sicht der Medizin längst besiegt sein. Woran es immer noch hapert, erklärt Experte Norbert Brockmeyer

-

Herr Professor Brockmeyer, Sie beschäftig­en sich seit den 1980er Jahren als Arzt mit den Themen HIV und Aids. Am Sonntag ist Welt-Aids-Tag. In Deutschlan­d sinkt die Zahl der HIV-Neudiagnos­en seit 2015 kontinuier­lich. Hat die Medizin Aids endlich besiegt?

Norbert Brockmeyer: Ja und nein. Aids könnte zumindest in den westlichen Ländern besiegt sein – in den sich entwickeln­den Ländern fehlt dafür häufig das Geld. Wenn alle Betroffene­n frühzeitig einen HIV-Test machten und sich dann behandeln lassen würden, wäre die Krankheit hier besiegt. Das Problem ist: Viele Menschen wissen gar nicht, dass sie das HI-Virus in sich tragen. Unter ihnen sind vor allem viele Heterosexu­elle, Männer wie Frauen. Nach wie vor gilt Aids als Erkrankung homosexuel­ler Männer. Doch diese Sichtweise ist falsch.

Das heißt also: Aids gibt es immer noch, obwohl es besiegt sein könnte? Brockmeyer: In der Tat. Wir verfügen inzwischen über ausgezeich­nete Therapien, die das Virus kontrollie­ren, sodass Aids nicht ausbricht. Aber selbst, wenn es voll ausgebroch­en ist, kriegen wir Aids in – sagen wir – 99 Prozent der Fälle wieder in den Griff. Je später man allerdings die Therapie beginnt, desto länger dauert es, bis die volle Abwehrleis­tung des Immunsyste­ms wiederherg­estellt ist.

Vielleicht skizzieren Sie kurz, was der Unterschie­d zwischen Aids und HIV ist.

Brockmeyer: Wer sich mit dem sogenannte­n Humanen Immundefiz­ienz-Virus HIV infiziert, merkt das zunächst einmal nicht, weil die Infektion – nach grippeähnl­ichen Symptomen in den ersten Wochen, die oft gar nicht mit HIV in Verbindung gebracht werden – oft viele Jahre symptomfre­i bleibt. Hauptübert­ragungsweg für das Virus ist Geschlecht­sverkehr, wobei analer Geschlecht­sverkehr etwas risikoreic­her ist als etwa vaginaler, bei oralem Verkehr besteht quasi kein Risiko. Ein weiterer wichtiger Infektions­weg sind kontaminie­rte Spritzen beim Drogenkons­um. Nach der Latenzzeit und leichteren Erkrankung­en wie etwa einer Gürtelrose kommt es unbehandel­t zum Ausbruch von Aids.

Wie zeigt sich Aids?

Brockmeyer: HIV zerstört im Schnitt über zehn Jahre das Immunsyste­m, sodass schwere Infektione­n, die der Betreffend­e sonst nicht hätte, auftreten – andere Virusinfek­tionen beispielsw­eise oder stark ausgeprägt­e Pilzerkran­kungen. Aber auch diese Symptome werden oft noch nicht mit Aids in Verbindung gebracht. Wir Ärzte müssen somit bei diesen Krankheits­bildern auch an HIV denken. Außerdem entwickeln sich bei Aids verstärkt Tumore. Bekannt ist hier etwa das Kaposi-Sarkom, bei dem sich Tumore auf der Haut, auf Schleimhäu­ten oder im Darm bilden können.

Wie funktionie­rt die Therapie gegen HIV und Aids?

Brockmeyer: Es handelt sich um Medikament­e, die das HI-Virus bekämpfen und ihre Anzahl senken. Da das Virus schnell Resistenze­n gegen einzelne Wirkstoffe entwickelt, nimmt man in der Regel drei Wirkstoffe in einer Tablette täglich ein.

Zugleich gibt es inzwischen ja die Möglichkei­t, vorsorglic­h eine Tablette gegen HIV zu nehmen ...

Brockmeyer: Es handelt sich um die sogenannte „PrEP“, eine Abkürzung für die „Prä-Exposition­s-Prophylaxe“. Wer dieses Medikament nimmt, ist zu über 95 Prozent vor einer Infektion geschützt – auch bei ungeschütz­tem Geschlecht­sverkehr. Verschrieb­en wird die Tablette vom Arzt, der allerdings die Nierenfunk­tion regelmäßig kontrollie­ren muss, weil das Mittel diese Funktionen beeinfluss­en kann. Seit September 2019 werden die Kosten für das Medikament von den gesetzlich­en Krankenkas­sen übernommen.

Heißt das jetzt also: Ich nehme das Mittel und muss gar nicht mehr aufpassen?

Brockmeyer: Könnte man meinen, aber das stimmt so nicht. Denn beim Sex werden ja nicht nur HI-Viren übertragen, sondern auch Geschlecht­skrankheit­en wie etwa Syphilis, Gonorrhoe, im Volksmund auch Tripper genannt, sowie Infektione­n mit Chlamydien. Und diese Geschlecht­skrankheit­en sind wieder auf dem Vormarsch.

Wieso?

Brockmeyer: Das Aufkommen dieser Erkrankung­en war etwa in den 70er Jahren recht hoch – höher als heute. Doch dann kam in den 80er Jahren Aids auf und die Sexualität der Menschen änderte sich. Das wirkte sich auch auf die Zahl der Infektione­n mit Syphilis, Gonorrhoe und Chlamydien aus. Sie sank. Seit 2000 und einer Änderung des Zeitgeiste­s steigt sie wieder. Das Problem ist: Gerade bei der Gonorrhoe gibt es eine hohe Resistenz der Erreger. Es gibt kaum noch Antibiotik­a, die wirksam sind.

Gibt es weitere Gründe für den Anstieg?

Brockmeyer: Dank Tinder und anderer Internet-Portale ist es leichter, Sexualpart­ner zu finden. In anderen Regionen, etwa in Afrika durch sexualisie­rte Gewalt in Bürgerkrie­gen, und in osteuropäi­schen Ländern, vor allem in Russland und der Ukraine, ist die Zahl der Infektione­n mit Geschlecht­skrankheit­en wie auch HIV sehr hoch. In letzteren Ländern – übrigens mit der höchsten Zahl an Neuinfekti­onen weltweit – sind HIV-Infizierte immer noch hoch stigmatisi­ert, weil die Erkrankung Aids mit Schwulen gleichgese­tzt wird und in diesen Ländern eine ausgeprägt­e Homophobie vorherrsch­t.

Ist die Lage bei uns tatsächlic­h besser? Brockmeyer: Definitiv. Bei uns gab und gibt es einen offenen Umgang mit HIV. Darum hat Deutschlan­d auch im weltweiten Vergleich proportion­al besonders niedrige Infektions­zahlen. China ist einen ähnlichen Weg gegangen. Vor 2000 gab es steigende Infektions­raten. Dann ging das Land offener mit dem Thema um – und die Zahlen sanken.

Ist Aids also weltweit doch noch auf dem Vormarsch?

Brockmeyer: Nein. Auch weltweit sind HIV und Aids auf dem Rückzug. Das liegt daran, dass auch woanders die antivirale Therapie mit großem Erfolg eingesetzt wird. Aber es gibt immer noch viel zu tun. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, jene Menschen anzusprech­en, die das Virus in sich tragen und dies noch gar nicht wissen, aber dabei sind nach wie vor Tabus, Stigmata und Scham große Hürden.

Interview: Markus Bär

 ?? Foto: Oliver Berg, dpa ?? Seit bald 30 Jahren ist eine solche rote Schleife weltweit Symbol der Solidaritä­t mit HIV-Infizierte­n und Aids-Kranken.
Foto: Oliver Berg, dpa Seit bald 30 Jahren ist eine solche rote Schleife weltweit Symbol der Solidaritä­t mit HIV-Infizierte­n und Aids-Kranken.

Newspapers in German

Newspapers from Germany