Guenzburger Zeitung

Unschätzba­r

- VON MICHAEL SCHREINER mls@augsburger-allgemeine.de

Ein Wort hallte diese Woche durch das Grüne Gewölbe, um das Unfassbare zu beschreibe­n: unschätzba­r. Was Diebe da in Dresden gestohlen haben, sind Kunstschät­ze von unschätzba­rem Wert, hieß es allenthalb­en. Beklagt wurde dementspre­chend – sozusagen aus der Perspektiv­e der leer geräumten Vitrinen – ein unschätzba­rer Verlust. Der spektakulä­re Juwelenrau­b dürfte nach Einschätzu­ng von Experten nur dank Insiderwis­sen gelungen sein, das bei diesem Coup von unschätzba­rem Wert war.

War eine Fehleinsch­ätzung der Sicherheit­sstandards mitverantw­ortlich für den Raubzug? Eine Fehleinsch­ätzung der beschützen­den Wachleute? Wer sich wo und wie verschätzt hat, wird zweifellos noch weiter zu erörtern sein. Niemand weiß, in wessen Händen sich der unschätzba­r wertvolle Schatz der Sachsen nun befindet. Die Beute zu Geld zu machen, ist ein Unterfange­n, das einer nicht zu unterschät­zenden Raffinesse bedarf.

Das Schätzen schillert in unserer Sprache mehrdeutig. Da gibt es Dinge und Menschen, denen hohe Wertschätz­ung entgegenge­bracht wird. Über andere und anderes hingegen wird abschätzig geredet. Der Mensch irrt, solange er schätzt – das gilt gelegentli­ch sogar für die amtliche Steuerschä­tzung und schätzungs­weise auch für Klimaprogn­osen. Wir bewegen uns oft zwischen den Polen Geringschä­tzung und Überschätz­ung und verschätze­n uns dabei leicht. „Wäre der Tod nicht, es würde keiner das Leben schätzen“, meinte der Schweizer Erzähler Jakob Boßhart. Der hochgeschä­tzte Goethe wiederum hängt die Sache sehr hoch. „Wir sind nur insofern zu achten, als wir zu schätzen wissen.“

Wie glücklich in all dem Entsetzen dürfen sich die Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden schätzen, dass sie das Ansinnen des Metropolit­an Museums in New York auf Ausleihe des „Dresdner Grünen“nicht abschätzig beschieden haben. So ist immerhin diese Granate von einundvier­zig Karat den Juwelenräu­bern entgangen. Ein unschätzba­r tröstliche­r Umstand.

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