Guenzburger Zeitung

Wie der Mythos der Goldenen 20er immer noch zieht

Auf Partys tanzen die Menschen Swing und die Fernsehser­ie „Babylon Berlin“geht in die dritte Runde. Das ist mehr als Nostalgie

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Berlin Im Admiralspa­last wird das Musical „Berlin Berlin“gezeigt, das den „Tanz auf dem Vulkan“wagen will. Im Tipi-Zelt am Kanzleramt ist „Cabaret“ein Dauerbrenn­er. Auf Partys tanzen die Leute Swing, Charleston und Lindy Hop, es gibt Kostümverl­eihe und eigene Touren für Touristen. Berlin feiert seine 20er Jahre. Großen Anteil daran hat „Babylon Berlin“, die Fernsehser­ie, deren dritte Staffel demnächst läuft. Sie ist eine Reise in die Weimarer Republik, die Zeit zwischen den Weltkriege­n. Vor der Nazi-Zeit hatte die Stadt den Ruf, brodelnd und weltoffen zu sein.

Dieser Mythos kommt maßgeblich von Christophe­r Isherwoods Klassiker „Leb wohl, Berlin“, der mit Liza Minnelli als „Cabaret“verfilmt wurde. Der Historiker Hanno Hochmuth vom Leibniz-Zentrum für Zeithistor­ische Forschung in Potsdam kann erklären, warum der Mythos der „Goldenen 20er Jahre“bis heute zieht. Generell gibt es ihm zufolge seit etwa vier Jahrzehnte­n in den westlichen Gesellscha­ften einen Erinnerung­sboom, ein starkes Interesse an der Vergangenh­eit. „Damit ist nicht nur pure Nostalgie gemeint, sondern auch das kritische Erinnern und das Aufarbeite­n der Vergangenh­eit.“

Ein Meilenstei­n war demnach die

Serie „Holocaust“von 1978, die diesen Begriff in Deutschlan­d erst richtig einführte. Und warum gerade jetzt das Interesse an Weimar und „Babylon Berlin“? Das habe zum einen mit der Fixierung auf Jahrestage zu tun, etwa 100 Jahre NovemberRe­volution, so Hochmuth. „Der Hauptgrund liegt aber im ambivalent­en Charakter der Weimarer Republik.“Berlin als Hauptstadt und Metropole war zum einen die Stadt der Freiheit und zum anderen ab 1933 die Stadt der zerstörten Freiheit. „Das Bild vom „Tanz auf dem Vulkan“drückt beide Dimensione­n aus.“

In „Babylon Berlin“spielt das laut Hochmuth eine enorme Rolle. Die Hauptfigur Charlotte Ritter wird als Typ der starken emanzipier­ten Frau, Berlin als Party-Metropole dargestell­t. Das „Moka Efti“sei eigentlich ein biederer Schuppen gewesen, so Hochmuth. In der Serie wird es als verruchter Klub, wie ein „Berghain 1929“, inszeniert. „Da schwingt ganz viel Selbstbild von Berlin heute mit.“

Wenn in den neuen Folgen der Serie die Nationalso­zialisten auftauchen, gibt es wieder einen Bezug zum Heute: Zum Erstarken des Populismus und der politische­n Rechten. Als Historiker ist Hochmuth vorsichtig mit Vergleiche­n. Aber solche Bezüge wirken seiner Meinung nach beim Erfolg von „Babylon Berlin“. Ihn überrascht nicht, dass sich die Tourismusw­erbung an die Serie hängt. Gerade war Hochmuth bei einem Auftritt des „Moka Efti Orchesters“im wieder eröffneten Metropol-Theater, mit anschließe­nder Burleske-Show. „Da sah ich, wie sehr das offenbar gerade einen Nerv trifft, von den Menschen in dieser Stadt und weit darüber hinaus.“Die dritte Staffel von „Babylon Berlin“will Hochmuth auf jeden Fall gucken. Sie startet am 24. Januar 2020. Dann haben die neuen 20er Jahre begonnen.

Caroline Bock, dpa

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Foto: Frederic Batier, X Filme 2017, dpa Die Fernsehser­ie „Babylon Berlin“feiert die Goldenen 20er.

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