Das Wettrüsten der Besinnlichkeit
Spätestens Anfang Oktober beginnt das Wettrüsten der Besinnlichkeit. Den Start in den Konsumrausch markieren mannshoch mit Billiglebkuchen beladene Paletten im Supermarkt. Kurz danach erfreuen erste Plastikbäumchen und Kunstschneehäufchen das Auge. Mit jedem kürzer werdenden Tag steigert sich die Pracht. Schaufenster in Grün, Rot und Gold getaucht. Sterne und Kerzen überall. Weihnachtsmänner als Werbeträger für Ladenhüter mit Tannenbaumdekor. Oh Herrlichkeit!
Auch das Ohr wird mit wochenlangem Vorlauf aufs freudige Ereignis eingestimmt. Beinahe unmöglich, der allgegenwärtigen Berieselung von Ihr Kinderlein kommet bis – wir können auch international – Jingle Bells und Feliz Navidad zu entkommen. Oh Wohlklang!
Schließlich diese einmaligen Duftnoten. Ungefragt vor der
Nase gewedelte Parfüm-Teststreifen. Zimtsterngenuss im Fichtennadelvollbad. Großflächig durch Innenstädte waberndes Glühweinaroma. Oh Sinnestaumel!
Und dann diese funkelnde Pracht direkt vor der Haustür. In den vergangenen Monaten, so empfahl es der heilige Zeitgeist in dieser jungen, neuen, von Google, Facebook und Instagram beseelten Welt, haben sich ansonsten völlig normale Zeitgenossen im Teppichausrollen für Klimaaktivisten, Preisefordern für Gretel aus Schweden und Verständnisheucheln für schwänzende Schulkinder übertrumpft. Jetzt pumpen dieselben Leute, weil’s so schön ist, in ein paar Wochen Vorweihnachtsrummel mehr Energie durchs private Vorgarten-Lichtermeer als ein Ozeanriese für eine Atlantik-Überquerung benötigt. Ökologische Bedenken? Also bitte, Herr Nachbar – es ist doch Weihnachten. Oh Wonne!
Der Gipfel der Heimeligkeit wird am finalen Samstag vor Weihnachten erreicht. Weil der Tag der Bescherung
ja so wahnsinnig schwer vorherzusehen ist, überfällt die Menschheit millionenfach genau an diesem Tag der heilige Geist des Einzelhandels mit der großartigen Idee, sie müssten eigentlich noch ein paar Geschenke für ihre Lieben besorgen. Ideenlos ausgesucht? Lieblos zusammengerafft? Egal, denn was von diesen Stress-Einkäufen letztlich unterm Christbaum landet, lässt sich dann beim nächsten Hype mühelos wieder abstoßen. Der beginnt, auch das ist einigermaßen planbar, mit der ersten Umtauschwelle am 27. Dezember. Oh Freude!
Was das alles mit dem Weihnachtsfest zu tun hat? Mit christlichem Glauben? Oder auch nur mit Brauchtum? Nichts. Was immer heute im Namen der Geburt Jesu geschieht, ist maximal entkoppelt vom Ereignis. Es sei denn natürlich, die Familie pflegt den Besuch der Christmette. Dieses eine Mal im Jahr kann man ja wirklich in die Kirche gehen. Weil Weihnachten ist. Oh Heiligenschein!