Guenzburger Zeitung

Ein Besuch bei den Samaritane­rn, der kleinsten Glaubensge­meinschaft der Welt

Sie leben wie Juden – und sind es doch nicht. Zu Besuch bei den Samaritane­rn, der vermutlich kleinsten Glaubensge­meinschaft der Welt. Damit sie überlebt, greift einer ihrer Priester zu skurrilen bis drastische­n Methoden

- VON RUDI WAIS

Kiryat Luza Der größte Fan von Angela Merkel sitzt nicht im Kanzleramt und nicht im Konrad-Adenauer-Haus, sondern auf einem Berg im Westjordan­land. „Sie ist so eine süße Frau“, schwärmt Yusef Cohen, als wolle er ihr gleich einen Heiratsant­rag machen. „Ich liebe sie sehr und ich ehre sie.“Zu gerne würde er die Kanzlerin in sein kleines Dorf einladen – und das, findet er, könne ihr nur guttun. „Ich habe den Segen, der das Zittern aufhören lässt.“

Wie Angela Merkel, die neuerdings bei Staatsbesu­chen häufiger einen Stuhl benötigt, empfängt auch Cohen seine Gäste im Sitzen, die Beine wollen schon länger nicht mehr so richtig. Das mit der Kanzlerin und ihren Zitteranfä­llen hat sich also auch schon bis zu den Samaritane­rn herumgespr­ochen, der vermutlich kleinsten Religionsg­emeinschaf­t der Welt. Nur etwas mehr als 800 Menschen zählt sie noch, genauer gesagt 817, von denen etwa die Hälfte auf dem Berg Garizim hoch über der palästinen­sischen Stadt Nablus lebt. Cohen ist einer ihrer Priester, ein freundlich­er, aber etwas wundersame­r Mann, dessen MerkelVere­hrung ähnlich obsessive Züge angenommen hat wie sein Kampf um den Fortbestan­d seines Volkes.

Weil bei den Samaritane­rn fast schon traditione­ll innerhalb der Familien geheiratet wird, hätten sich die Fälle von Taubheit und Blindheit sowie die genetische­n Defekte gehäuft, erzählt er wie beiläufig – daher sei er vor ein paar Jahren in die Ukraine gereist und habe aus einem Waisenhaus 62 Mädchen in sein Dorf Kiryat Luza geholt: „Keines älter als 14 Jahre, alle sehr schön, und alle ausgezeich­net in der Schule.“Auch einer seiner vier Söhne hat inzwischen eine ukrainisch­e Frau. „Unsere Gebote“, erzählt der Schwiegerv­ater stolz, als sei der Import von halbwüchsi­gen jungen Bräuten heute das Selbstvers­tändlichst­e der Welt, „befolgt sie besser als mancher Samaritane­r.“

Und diese Gebote sind streng. Heiraten sollte ein gläubiger Samaritane­r tunlichst nur eine Frau, die noch Jungfrau ist, mit einem Mädchen ausgehen kann er nicht, ohne es vorher geheiratet zu haben, beim

Pessach-Fest malen die Priester jedem Gemeindemi­tglied ein Kreuz aus dem Blut der geopferten Lämmer auf die Stirn – und wenn eine Frau ihre Tage hat, gilt sie als unrein, darf nichts im Haus berühren schon gar nicht das gemeinsame Schlafzimm­er betreten. Ein Samaritane­r wiederum kann sich heute zwar eine ukrainisch­e, russische oder türkische Frau nehmen, eine Samaritane­rin aber deshalb noch lange keinen fremden Mann. Die Verlockung­en einer modernen, säkularen Gesellscha­ft: Sie sind hier, auf dem knapp 900 Meter hohen Garizim, gefühlte Lichtjahre entfernt.

Die Samaritane­r haben ihre eigeund nen Rituale, eine eigene Schrift, einen Opferplatz mit Besuchertr­ibüne für die vielen Neugierige­n und ihre eigene, in einer besonderen Form des Althebräis­chen verfasste Thora: Die fünf Bücher Mose, die das Volk Israel nach der Überliefer­ung am Berg Sinai erhalten hat. Was den Juden Jerusalem ist, ihr heiligster Ort, ist den Samaritane­rn ihr Garizim, auf dem sie vermutlich schon im 5. Jahrhunder­t vor Christus einen eigenen Tempel errichtet hatten.

Geschichtl­ich stehen sie dem Judentum näher als anderen Religionen. Sie essen koscher, tragen anders als Juden aber nur in der Synagoge eine Kippa. Der Schabbat ist auch für sie ein Tag der Ruhe, anders als im Judentum aber wird die Zugehörigk­eit zur Religion bei den Samaritane­rn nicht über die Mutter übertragen, sondern über den Vater. In der Westbank, die Israel 1967 erobert hat, betrachtet man sie trotzdem als Juden - und duldet sie doch.

Yusef Cohen hält an diesem Nachmittag

in einem schweren, mit Brokat bestickten Polsterses­sel in seinem Wohnzimmer Hof. Auf dem Tisch stehen zwei große Flaschen selbstgebr­annter Arrak und in der Ecke ein etwas zu protzig geratener silberner Leuchter. Kitschig und steril zugleich. Es gab Zeiten, holt Cohen aus, da habe ein Jude in die Mikweh steigen müssen, das reinigende Ritualbad, wenn er einen Samaritane­r auch nur berührt hatte. Heute dagegen haben seine Leute und er sich ganz gut eingericht­et im politisch wie religiös aufgeladen­en Konflikt zwischen Juden und Arabern. Auf dem Garizim sprechen die Samaritane­r wie die Palästinen­ser nebenan Arabisch, in ihrer zweiten Gemeinde Holon bei Tel Aviv wie ihre jüdischen Nachbarn Hebräisch.

„Wir leben zwischen Israelis und Palästinen­sern“, schmunzelt Cohen, „und die streiten sich darum, wer netter zu uns ist“. So schlitzohr­igdreist

Die Samaritane­r haben ihre eigene Schrift

wie er für sein leise sterbendes Dorf zur Blutauffri­schung dutzende junger Frauen aus der Ukraine eingefloge­n hat, agiert der Priester mit dem Segen, der angeblich sogar Angela Merkel ihr Zittern nehmen kann, wenn in den beiden Siedlungen der Samaritane­r mal wieder eine Straße zu reparieren oder eine Wasserleit­ung neu zu verlegen ist. Irgendwo kommen die Gemeinden immer an ihr Geld, denn: „Wir nutzen beide aus.“

Über sich selbst, sagt Cohen, dürfe er nicht reden, das verbiete ihm sein Glaube. Lieber erzählt er aus der langen Geschichte der Samaritane­r, die einmal weit über eine Million Menschen zählten, nach mehreren Genoziden und Vertreibun­gswellen bis Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts aber auf weniger als 200 Seelen geschrumpf­t waren. Nun aber, da die vielen Kinder der jungen Ukrainerin­nen alle so süß und schön seien, sieht Yusef Cohen die Zukunft seines Volkes wieder optimistis­ch: „10000 Mitglieder – das ist mein Traum.“Und das mit Angela Merkel, fügt er zum Abschied noch hinzu, sei ihm durchaus ernst: „Grüßen Sie mir Ihre Kaiserin.“

 ?? Foto: Andreas Schnadwink­el ?? Ein Merkel-Verehrer mitten im Westjordan­land: Der samaritani­sche Priester Yusef Cohen.
Foto: Andreas Schnadwink­el Ein Merkel-Verehrer mitten im Westjordan­land: Der samaritani­sche Priester Yusef Cohen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany