Und wieder werden Medikamente knapp
Welche Arzneimittel betroffen sind. Und warum gerade ein bestimmtes Antidepressivum hierzulande kaum zu haben ist – in Frankreich aber schon
Augsburg Immer wieder gibt es Versorgungsengpässe bei bestimmten Medikamenten. Das ist insbesondere für Patienten ärgerlich, die auf ein ganz bestimmtes Mittel angewiesen sind – und nicht einfach entweder auf ein anderes Präparat mit dem gleichen Wirkstoff oder auf ein Medikament mit einem recht ähnlichen Wirkstoff ausweichen können.
So wie etwa eine Leserin, die das Antidepressivum Venlafaxin braucht. Es ist derzeit hierzulande nur sehr schwer, zu bekommen. Weil es angeblich Lieferschwierigkeiten in den Herstellerländern China und Indien gibt. Sie erhielt darum den Tipp von ihrem Apotheker, es einmal in Frankreich zu probieren. Und siehe da: Ihr Sohn, den sie mit dieser Aufgabe beauftragt hatte, erhielt in dem Nachbarland problemlos Venlafaxin. Zu einem günstigeren Preis als in Deutschland. Und der Apotheker habe versichert, dass es in Frankreich keinerlei Lieferschwierigkeiten mit gebe. Wie kann das sein? „Wir stellen tatsächlich fest, dass es bei unterschiedlichen Medikamenten immer wieder mal zu Versorgungsengpässen kommt“, bestätigt Ulrich Koczian, Vizepräsident der Bayerischen Landesapothekerkammer und Apotheker in Augsburg. Betroffen sind derzeit vor allem Therapeutika aus den Bereichen Blutdrucksenkung, HerzKreislauf, Schilddrüse und Antidepressiva.
„Grundsätzlich entstehen Lieferengpässe wegen plötzlicher erhöhter Nachfrage oder wegen Produktionsproblemen“, erläutert Koczian. Ein Beispiel für eine plötzliche erhöhte Nachfrage ist etwa der Impfstoff gegen Gürtelrose ab dem Alter von 60 Jahren. „Das kam dadurch, dass diese Impfung in mehreren Ländern gleichzeitig empfohlen wurde.“
Produktionsprobleme entstehen unter anderem durch den erheblichen Preisdruck bei der Pharmaherstellung auf der Welt. „Dabei geht es nicht nur um Wirkstoffe, sondern auch etwa um beigemengte Hilfsstoffe oder Verpackungen für Medikamente.“Die Materialien würden wegen des Preisdrucks dort gekauft, wo sie am günstigsten sind. „Auf diese Weise können aber Verzögerungen und Verknappungen entstehen“, berichtet der Apotheker.
Und was ist mit Venlafaxin? „Bei diesem Mittel gibt es weltweit nur zwei Hersteller, die in Asien sitzen. Und tatsächlich ist ausgerechnet bei jenem mit dem größten Marktanteil die Produktionsstätte explodiert.“Der daraus resultierende Ausfall könne von dem übrigen Hersteller nicht ausreichend kompensiert werden. Dass Venlafaxin aber problemlos in Frankreich zu haben ist, liege daran, dass die Hersteller ihre Ware vor allem dorthin liefern, wo es für sie den größten Ertrag gebe. Für Venlafaxin wurden für den deutschen Markt Rabattverträge – für gesetzlich Versicherte – ausgehandelt, die preislich unter jenen etwa in Frankreich oder auch Österreich liegen, sagt Koczian. Darum bekämen diese Länder größere Mengen.
Dass das Medikament sogar günsMedikamenten tiger in Frankreich zu haben war, liege nur daran, dass es wohl als Selbstzahler abgeholt wurde. Das heißt aber auch: Einer französischen Krankenkasse entstehen höhere Kosten, wenn ein gesetzlich versicherter Franzose Venlafaxin benötigt als dem Selbstzahler, der aus dem Ausland kommt. „Der Preis also, der auf dem Kassenzettel steht, entspricht keineswegs dem Preis, der letztlich von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt wird“, erläutert Koczian.
Doch was rät der Apotheker nun Patienten, die von einem Versorgungsengpass betroffen sind? „Man kann sich von seinem Arzt ein anderes Medikament verschreiben lassen. Das ist aber nicht immer möglich.“Bei Venlafaxin etwa, dessen Wirkstoff sehr besonders ist, komme das vielleicht gar nicht infrage. „Es ist auch möglich – mit Genehmigung der Krankenkasse – ein Medikament einzeln aus dem Ausland zu importieren.“Doch das erfordere natürlich einen gewissen Organisationsbedarf.