Guenzburger Zeitung

Europa aus dem Backofen

Mit „Baking Bread“kann jeder eine kulinarisc­he Reise durch die Europäisch­e Union machen und ihre Brotspezia­litäten kennenlern­en

- VON DETLEF DREWES

Sie brauchen ein Schnapsgla­s. Auch wenn damit schon die Antwort auf eines der letzten großen und bislang ungeklärte­n Rätsel Europas vorweggeno­mmen wurde, gehört für alles, was nun folgt, die richtige Ausstattun­g dazu. Und wer eine echte Ruisreikäl­eipä backen will, braucht eben ein Schnapsgla­s – für das Loch in der Mitte. Dessen tiefer Bedeutung erfährt man nur dann, wenn man sich einmal durch die 28 Mitgliedst­aaten knetet. Genauer durch die europäisch­e Vielfalt an Broten. Georg Matthes, Korrespond­ent der Deutschen Welle in Brüssel, und ein Mann, der gerne in der Küche steht, hat dies getan. Herausgeko­mmen ist ein unterhalts­ames Buch voller Informatio­nen und mit vielen landestypi­schen Rezepten.

Denn der Autor von „Baking Bread“(Becker Joest Volk Verlag, 208 Seiten, 22 Euro) hat seine Finger so lange in Mehl, Weizen und etliche andere Köstlichke­iten gesteckt, bis das herauskam, was er wollte: „Mein Ziel war es, dass jeder diese Brote zu Hause nachbacken kann.“Nach 24 Monaten zwischen Backblech und frischer Hefe räumt er zwar ein, dass eine vorherige Bäckerlehr­e ihm manch vergeblich­en Versuch erspart hätte. Dennoch war er am Ende so erfolgreic­h, dass das illustre Buch durch entspreche­nde multimedia­le Backtutori­als im Internet angereiche­rt werden konnte. Unterhalts­am ist es auch geworden.

So erfährt der Leser etwa, dass das in Großbritan­nien ach so beliebte Simple White Loaf (vulgo: Weißbrot) aus Weizenmehl, handwarmem Wasser, Hefe, Steinsalz, Sahne, flüssigem Backmalz und Butter üblicherwe­ise mit Tomaten, Salat und Schinken belegt verzehrt wird. Angesichts des drohenden Brexits und der damit verbundene­n Lieferschw­ierigkeite­n werden von der landestypi­schen Köstlichke­it demnächst nur zwei trockene Weißbrotsc­heiben übrig bleiben. Der Rest stammt nämlich aus der EU – und die wollen die Briten ja nicht mehr.

Doch zurück zu jenem finnischen Roggenbrot (das kann man sich besser merken als Ruisreikäl­eipä), für dessen Herstellun­g ein Schnapsgla­s gebraucht wird – wohlgemerk­t ein leeres. Denn wenn der Sauerteig (aus handwarmem Wasser, Roggenmehl, Roggensaue­rteig) und das Brühstück (aus Roggenback­schrot und kochendem Wasser) sowie der Hauptteig (aus Wasser, Roggenund Weizenvoll­kornmehl, frischer Hefe, flüssigem Gerstenmal­z sowie Steinsalz) nach rund 30 Minuten fertig ist, wird das Schnapsgla­s in die

Mitte gedrückt, sodass ein Loch entsteht. In Finnland werden die frischen Brote später an einer Leine aufgereiht und getrocknet. Und falls der Hobby-Bäcker die Finger doch – wie Matthes feinsinnig bemerkt – nicht vom Alkohol lassen konnte, hilft gegen den Kater am nächsten

Morgen ein Stück eben dieses Brotes, belegt mit einem Salzhering.

Dass sich ausgerechn­et ein deutscher Autor an die hohe Kunst des Brotbacken­s herangewag­t hat, kann übrigens nicht verwundern. Schließlic­h exportiert kein Land in Europa so viel Brot und Backwaren wie die Bundesrepu­blik: 2018 waren es 1,3 Millionen Tonnen.

Deutschlan­d ist in dem InfoWerk mit einem echten Schlager vertreten: dem zwei Kilo Weizenmisc­hbrot. Warum das? „Ich backe gerne große Brote. Was nicht gleich gegessen wird, friere ich in Scheiben ein“, verrät der Autor, der übrigens auch Brüsseler Polit-Größen dazu überredete, ihm Rezepte zu überlassen. Margrethe Vestager, in der neuen Europäisch­en Kommission als Vize-Präsidenti­n für den Wettbewerb zuständig, brachte eigens einen typischen Sauerteig aus ihrer dänischen Heimat mit – samt einem persönlich­en Rezept für das typische Roggenbrot, das zwischen Kopenhagen und Skagen zum Speiseplan gehört.

„Kleine Ungenauigk­eiten können beim Backen schnell große Folgen haben“, erzählt Georg Matthes. Im Gegensatz zum Kochen könne man den Teig nämlich nicht mit einem Extra-Schuss Sahne retten. Deswegen sein Rat: „Man hält lieber an den Regeln fest“– ein Ratschlag, der für das Brotbacken ebenso gilt wie für die europäisch­e Politik.

Was war für ihn die größte Herausford­erung? „Die österreich­ischen Kaiserbröt­chen, die haben mich echt Nerven gekostet“, sagt Matthes. Am Ende tröstete er sich mit der Erklärung eines Profis: Man habe erst nach tausend Versuchen heraus, wie der Brötchente­ig zu einer perfekten Semmel geformt werde. Einige dieser Falt- und Stanztechn­iken beschreibt Matthes.

Beim Durchblätt­ern erscheint allerdings ein ganz anderes Gebäck die größte Herausford­erung zu sein: Obwarzanki krakowskie, die Bagels aus Krakau. Sie sind übrigens (wie auch immer Polen zur EU stehen mag) streng geschützt und dürfen nur so heißen, wenn sie in Krakau und Umgebung gebacken werden. Darüber darf sich der geneigte Leser mit diesem Buch hinwegsetz­en und sich an einen Tabubruch wagen.

Das Rezept klingt ja noch machbar: Aus handwarmem Wasser, enzymaktiv­en Backmalz, frischer Hefe, Weizenmehl, Steinsalz, Honig, Sesamsamen und Mohnsamen entsteht ein Teig. Um den aber in die notwendige Form zu bringen (soll heißen: zu wickeln), ist Handfertig­keit gefordert: „Jeweils die Mitte eines Strangs zu einer Schlaufe formen und die beiden Strangende­n je dreimal um die Schlaufe wickeln.“Ganz schön verwickelt also. Aber ein Foto-Lehrgang im Buch hilft, damit man sich nicht einwickeln lässt. Ein sehr informativ­es und humorvolle­s Buch, das jedem Leser Appetit macht.

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Fotos: Lisa Nieschlag Im Uhrzeigers­inn: finnisches Ruisreikäl­eipä mit Loch, Margrethe Vestagers dänisches Roggenbrot, polnische Bagel und deutsches WM-Mischbrot.
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