Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (22)
Ad libitum mit Fackel oder Schlittenpeitsche. Vorreiter eröffnen den Zug. Kostüme werden dem Theater entnommen oder angefertigt. Ich habe gesprochen.“
Ein ungeheurer Lärm antwortete, bis der Ruhe gebietende Nostitz endlich durchdrang. „Ich nehme diesen Lärm einfach als Zustimmung und beglückwünsche Kamerad Zieten, mit einem einzigen und ersten Meisterschuß gleich ins Schwarze getroffen zu haben. Also Schlittenfahrt. Angenommen?“„Ja, ja.“
„So bleibt nur noch Rollenverteilung. Wer gibt den Luther?“„Schach.“
„Er wird ablehnen.“„Nicht doch“, krähte Zieten, der gegen den schönen, ihm bei mehr als einer Gelegenheit vorgezogenen Schach eine Spezialmalice hegte; „wie kann man Schach so verkennen! Ich kenn ihn besser. Er wird es freilich eine halbe Stunde lang beklagen, sich hohe Backenknochen auflegen und sein Normaloval in
eine bäurische tête carrée verwandeln zu müssen. Aber schließlich wird er Eitelkeit gegen Eitelkeit setzen und seinen Lohn darin finden, auf vierundzwanzig Stunden der Held des Tages zu sein.“
Ehe Zieten noch ausgesprochen hatte, war von der Wache her ein Gefreiter eingetreten, um ein an Nostitz adressiertes Schreiben abzugeben.
„Ah, lupus in fabula.“„Von Schach?“
„Ja!“
„Lesen, lesen!“
Und Nostitz erbrach den Brief und las. „Ich bitte Sie, lieber Nostitz, bei der mutmaßlich in eben diesem Augenblicke stattfindenden Versammlung unsrer jungen Offiziere meinen Vermittler und, wenn nötig, auch meinen Anwalt machen zu wollen. Ich habe das Zirkular erhalten und war anfänglich gewillt zu kommen. Inzwischen aber ist mir mitgeteilt worden, um was es sich aller Wahrscheinlichkeit nach handeln wird, und diese Mitteilung hat meinen Entschluß geändert. Es ist Ihnen kein Geheimnis, daß all das, was man vorhat, meinem Gefühl widerstreitet, und so werden Sie sich mit Leichtigkeit herausrechnen können, wie viel oder wie wenig ich (dem schon ein BühnenLuther contre coeur war) für einen Mummenschanz-Luther übrighabe.
Daß wir diesen Mummenschanz in eine Zeit verlegen, die nicht einmal eine Fastnachtsfreiheit in Anspruch nehmen darf, bessert sicherlich nichts. Jüngeren Kameraden soll aber durch diese meine Stellung zur Sache kein Zwang auf erlegt werden, und jedenfalls darf man sich meiner Diskretion versichert halten. Ich bin nicht das Gewissen des Regiments, noch weniger sein Aufpasser. Ihr Schach.“
„Ich wußt es“, sagte Nostitz in aller Ruhe, während er das Schachsche Billet an dem ihm zunächststehenden Lichte verbrannte. „Kamerad Zieten ist größer in Vorschlägen und Phantastik als in Menschenkenntnis. Er will mir antworten, seh ich, aber ich kann ihm nicht nachgeben, denn in diesem Augenblicke heißt es ausschließlich: wer spielt den Luther? Ich bringe den Reformator unter den Hammer. Der Meistbietende hat ihn. Zum ersten, zum zweiten und zum… dritten. Niemand? So bleibt mir nichts übrig als Ernennung. Alvensleben, Sie.“
Dieser schüttelte den Kopf. „Ich stehe dazu wie Schach; machen Sie das Spiel, ich bin kein Spielverderber, aber ich spiele persönlich nicht mit. Kann nicht und will nicht. Es steckt mir dazu zuviel Katechismus Lutheri im Leibe.“
Nostitz wollte nicht gleich nachgeben. „Alles zu seiner Zeit“, nahm er das Wort, „und wenn der Ernst seinen Tag hat, so hat der Scherz wenigstens seine Stunde. Sie nehmen alles zu gewissenhaft, zu feierlich, zu pedantisch. Auch darin wie Schach. Keinerlei Ding ist an sich gut oder bös. Erinnern Sie sich, daß wir den alten Luther nicht verhöhnen wollen, im Gegenteil, wir wollen ihn rächen. Was verhöhnt werden soll, ist das Stück, ist die Lutherkarikatur, ist der Reformator in falschem Licht und an falscher Stelle. Wir sind Strafgericht, Instanz alleroberster Sittlichkeit. Tun Sie’s. Sie dürfen uns nicht im Stiche lassen, oder es fällt alles in den Brunnen.“
Andere sprachen in gleichem Sinn. Aber Alvensleben blieb fest, und eine kleine Verstimmung schwand erst, als sich unerwartet (und eben deshalb von allgemeinstem Jubel begrüßt) der junge Graf Herzberg erhob, um sich für die Lutherrolle zu melden.
Alles, was danach noch zu ordnen war, ordnete sich rasch, und ehe zehn Minuten um waren, waren bereits die Hauptrollen verteilt: Graf Herzberg den Luther, Diricke den Famulus, Nostitz, wegen seiner kolossalen Größe, die Katharina von Bora.
Der Rest wurd einfach als Nonnenmaterial eingeschrieben, und nur Zieten, dem man sich besonders verpflichtet fühlte, rückte zur Äbtissin auf. Er erklärte denn auch sofort, auf seinem Schlittensitz ein „jeu entrieren“oder mit dem Klostervogt eine Partie Mariage spielen zu wollen. Ein neuer Jubel brach aus, und nachdem noch in aller Kürze der nächste Montag für die Maskerade festgesetzt, alles Ausplaudern aber aufs strengste verboten worden war, schloß Nostitz die Sitzung.
In der Tür drehte sich Diricke noch einmal um und fragte: „Aber wenn’s regnet?“
„Es darf nicht regnen.“„Und was wird aus dem Salz?“„C’est pour les domestiques!“„Et pour la canaille“, schloß der jüngste Cornet.
Schweigen war gelobt worden, und es blieb auch wirklich verschwiegen.
Ein vielleicht einzig dastehender Fall. Wohl erzählte man sich in der Stadt, daß die Gensdarmes „etwas vorhätten“und mal wieder über einem jener tollen Streiche brüteten, um derentwillen sie vor andern Regimentern einen Ruf hatten, aber man erfuhr weder, worauf die Tollheit hinauslaufen werde, noch auch, für welchen Tag sie geplant sei. Selbst die Carayonschen Damen, an deren letztem Empfangsabende weder Schach noch Alvensleben erschienen waren, waren ohne Mitteilung geblieben, und so brach denn die berühmte „Sommerschlittenfahrt“über Näher- und Fernerstehende gleichmäßig überraschend herein.
In einem der in der Nähe der Mittelund Dorotheenstraße gelegenen Stallgebäude hatte man sich bei Dunkelwerden versammelt, und ein Dutzend prachtvoll gekleideter und von Fackelträgern begleiteter Vorreiter vorauf, ganz also, wie Zieten es proponiert hatte, schoß man mit dem Glockenschlage neun an dem Akademiegebäude vorüber auf die Linden zu, jagte weiter abwärts erst in die Wilhelms-, dann aber umkehrend in die Behren- und Charlottenstraße hinein und wiederholte diese Fahrt um das eben bezeichnete Lindencarré herum in einer immer gesteigerten Eile.
»23. Fortsetzung folgt